Hörspiel Schräge Dichter, minnende Könige

Cover des Hörspiels zum Codex Manesse. © PR/CAB

426 Pergamentblätter, 140 Dichter, davon 137 porträtiert, und 5240 mittelhochdeutsche Strophen. Das ist der Codex Manesse. Wem Zahlenmagie nicht genügt, kann der Liederhandschrift auch lauschen. Eine Ohren-Reise ins Mittelalter.

Ein echter Star

Entstanden zwischen 1300 und 1330, ist die Große Heidelberger Liederhandschrift die wichtigste Sammlung für deutschsprachige hochmittelalterliche Lyrik. Von vielen Dichtern wissen wir nur, weil sie in der Manesse auftauchen. Mit ihren Texten und liebevoll gezeichneten Idealbildern ihrer selbst. Und von so manchem Dargestellten hätte man vermutlich gar nicht gewusst, dass Dichterblut in ihm strömte.

Kaiser Heinrich VI. ist mit (vermutlich) eigenen Minneliedern dabei und auch sein Urenkel Konradin, der letzte Staufer. Der starb 1258 – gerade sechzehn Jahre alt – auf dem Marktplatz zu Neapel durch das Beil eines Henkers. So jung er auch war, er schien in seinem kurzem Leben dennoch Zeit für die feineren Lebenskünste gehabt zu haben. Solch königliche Fürsprache für den Minnedienst war den Buchmachern einige Seiten in ihrem Codex wert.

Warum, wie und wann genau das Werk entstand, das ist kaum bekannt. Die magere wissenschaftliche Ausbeute genügt dennoch, den Ursprung des Buches den Züricher Bürgern Rüdiger und Johannes Manesse zuzuschreiben. Beide starben indes, bevor die Sammlung fertig war. Andere haben das Werk vollendet und damit ganze Arbeit geleistet. Das wertvolle Stück – es liegt heute im Hochsicherheitstrakt der Universitätsbibliothek Heidelberg – war einer der ganz großen Stars der im Dezember 2006 zu Ende gegangenen Ausstellung „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation“ in Magdeburg.

Walthers Schmerz und Ulrichs Kampfgeist

Auf die Idee, diese Sammlung selbst zum Thema eines Musikalbums zu machen, ist bislang noch niemand gekommen. Doch die Vorbereitungen zur Magdeburger Ausstellung gaben den Anstoß zu einem ungewöhnlichen Projekt: Wissenschaftler, Autoren, professionelle Sprecher, Soundtüftler und die Musiker der Capella Antiqua Bambergensis (CAB) taten sich zusammen. „Die Inhalte dieses einmaligen historischen Buches sind der Ursprung aller mittelalterlichen Musik“, beschreibt CAB-Musikproduzent den Grundgedanken. Auf ihn baut das gesamte Projekte auf.

Die Ursprünge des Werks wollen die Initiatoren erhellen. Nicht in Form einer trockenen Abhandlung, sondern als zugleich informierendes und unterhaltendes Hörspiel. Wie, fragte sich Hörspielautorin Birge Tetzner, kamen die Manesses wohl auf den Gedanken, alle damals bekannten Lieder in einer einzigen Sammlung zu bündeln. Und wie brachten sie ihr Werk voran? Auch das wird in Szene gesetzt.

Das Album zum Codex Manesse kommt als Doppel-CD daher. Das Hörspiel ist auf der ersten Scheibe zu verfolgen. Es ist wunderbar inszeniert und arrangiert. Die CAB und der Sounddesigner Rupert Schellenberger besorgen die verbindende Musik zwischen den einzelnen Szenen, Christian Brückner – bekannt als Synchronsprecher von Robert de Niro – und andere Stimmenkünstler sprechen die Texte. Einfach klasse: Viele der originalen mittelhochdeutschen Stücke werden nachgesprochen und gesungen – moderne Übersetzung inklusive. Das Hörspiel ist wahrlich eine Zeitreise mit den Ohren.

Der Clou des Albums: Es bleibt beileibe nicht bei der puren Erzählung rund um das Schaffen der Manesses. Tetzner griff sich die markantesten Vertreter der Dichterzunft heraus und lässt das Musiker- und Sprecherensemble die Geschichte dieser Minnesänger erzählen. Von Tannhäuser etwa, oder von Neidhart, dessen sarkastische Dichtungen über die „Dörper“ – also die einfachen Bauern, die angeblich den Minnedienst bloß nachäfften – in ihrer Zeit berühmt waren.

Mit Ulrich von Liechtenstein, einem Ministerialen im 13. Jahrhundert, tritt eine der schrägsten Figuren des Mittelalters auf. Er trieb den höfischen Minnedienst an den Damen so weit, dass er als Frau Venus verkleidet einen ritterlichen Zug von einem Turnier zum anderen anführte. Sein autobiografischer Roman „Frauendienst“ ist Schelmenstück und Aventiure zugleich. Zu Recht ist ein Kapitel des Hörspiels diesem Mann gewidmet.

Und natürlich darf auch er nicht fehlen: Walther von der Vogelweide, dessen Lieder zwischen politischem Wortwitz und Liebesschmerz pendeln. „Was ist Minne“ fragte sich der Dichter, der als einer der wenigen seiner Zunft vom Kaiser mit einem Gut belehnt wurde. Grund genug für ihn, auch diese Wohltat in einem Jubellied, das gleichwohl gewaltige Seitenhiebe auf den Geiz der Fürsten enthielt, zu verewigen. Auch diese Episoden werden erzählt – mit Musik, szenischen Erzählungen und dem angenehm sachlichen Kommentar von Birge Tetzner. Alle Elemente zusammen lassen die Klangwelt des Codex Manesse buchstäblich lebendig werden.

600 Jahre Musikgeschichte

Die zweite Scheibe enthält eine pure Liedersammlung, zusammengestellt von der CAB. Die Capella produzierte Klangbeispiele, die die mittelalterliche Musizierpraxis verdeutlichen. So, wie es tatsächlich gewesen sein könnte. Das Ensemble schöpfte dabei allerdings nicht nur aus dem Dichterkreis aus dem Codex Manesse. Von diesen sind hier nur Walther von der Vogelweide und sein Zeitgenosse Neidhart von Reuenthal vertreten. Die 13 Stücke reichen von 900 bis zur Zeit vor 1500.

Die CAB legte es auf eine möglichst große Vielfalt an. Und so arrangierten die fränkischen Musiker religiöse Werke wie die „Cantigas des Santa Maria“ von Alfonso el Sabio (um 1260), den Saltarello-Tanz eines anonymen Dichters um 1100 oder eben das Palästinalied Walthers (um 1200).

Letztlich ist diese Ausweitung des Repertoires nur folgerichtig: Die Dichter des Codex Manesse zehrten von der Musik anderer Regionen. Und nur wer weiß, wie Lieder klangen, die in Kirchen und Klöstern gesungen wurden, kann auch ermessen, welch neuen Weg die weltlichen Dichter beschritten. Die CAB setzte ausschließlich Instrumente ein, wie sie im Mittelalter üblich waren – und auch in den Illustrationen der Manessischen Liederhandschrift belegt sind.

Wer hört, kann auch sehen

Computerbesitzern sei noch das dritte Element des Albumprojektes ans Herz gelegt. Die Lieder-CD enthält eine Multimediadatei mit fein arrangierten Hintergrundbeiträgen rund um den Codex, die Musik und die Beteiligten. Sie ergänzt das ohnehin schon sehr umfangreiche Booklet zum Album.

Das Feature zeigt beispielsweise einige der Abbildungen aus den Codex Manesse und präsentiert die Biografien der wichtigsten Dichter. Klangbeispiele zu einzelnen Instrumenten vervollständigen das Bild. Fazit: „Codex Manesse. Das Musik-Hörspiel“ ist im Wortsinne ein runde Sache.

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2 Kommentare

  1. Korrektur: die grosse Heidelberger Liederhandschrift ist zwischen 1305 und 1340 entstanden.

    18. Dezember 2006, 14:12 Uhr • Melden?
  2. Naja, das Entstehungsjahr lässt sich recht gut eingrenzen, und die Nachtragsmaler liegen, deutlich ersichtlich an Mode und Wehrtechnik, nach 1330, insofern ist eine Präzisierung vielleicht keine schlechte Idee ;)

    22. Dezember 2006, 15:12 Uhr • Melden?
    von Jens
    2

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