Pantagruel Hinter den Kulissen einer Königin

Ensemble Pantagruel (von links): Hannah Morrison, Mark Wheeler, Dominik Schneider. © pr

Hatte Elisabeth I. Zeit für die Liebe? Sie düpierte Spanien, festigte Englands Seemacht und regierte mit fester Hand. Als „Virgin Queen“ ging Elisabeth (1533-1603) in die Geschichte ein. Das Ensemble Pantagruel fragt nach.

Von der Rockmusik nach Elysium

Das Ensemble Pantagruel hat eine Geschichte zu erzählen, die sich musikalisch mit dem Hofe Elisabeths befasst. Das Album „Elizium“ (Elysium) ist das Debüt des 2002 gegründeten Renaissance-Trios. Der Spätrenaissance, also im Wesentlichen die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts, gilt der größte Teil der musikwissenschaftlichen Forschungsarbeit der Ensemblemitglieder. Bevor sie ihr erstes Album aufnahmen, machten sich die Drei bereits mit hochgelobten szenischen Konzertauftritten in Deutschland, England und den Niederlanden einen Namen. Schon das erste Programm zielte auf Elisabeth ab: „Eliza the fairest Queen“ (die schönste Königin) steckt voller englischer Balladen und Tänze.

Dabei sind die grazilen Töne, die man mit höfischer Musik verbindet, keineswegs der musikalische Beginn der Ensemblemitglieder. Ihre ersten Sporen verdienten sich der Essener Dominik Schneider und der gebürtige Engländer Mark Wheeler in der Rock- und Jazzmusik. Wheeler, dessen Interesse für Zupfinstrumente unüberhörbar ist, interessierte sich jedoch bald für die Renaissancemusik. An der Essener Musikhochschule fand er in Schneider, zu jener Zeit bereits Experte für Flöte, einen Gleichgesinnten. Die Sopranistin Hannah Morrison, Kind schottisch-isländischer Musiker, vervollständigt das Ensemble.

Der Name Pantagruel verweist auf eine gewisse Eigenwilligkeit der Gruppe. Er ist dem Klassiker der Renaissance, „Gargantua und Pantagruel“ von Francois Rabelais entlehnt. Rabelais schrieb eine groteske Geschichte um Riesen, die sich ziemlich unbekümmert durch ihre Welt schlugen. Eine solche Unbekümmertheit verbucht auch das Trio für sich. Sie nutzen originale Texte, detailgetreu rekonstruierte Instrumente (Flöten, Renaissancegitarren, Lauten, Cittern – also kleine Zupfinstrumente mit Metallsaiten) und haben auch die Aufführungspraxis, soweit Quellen vorhanden sind, erforscht. Pantagruel mischt jedoch die überlieferte Musik in immer neuen Kombinationen. Auf der Bühne, und genau dort fühlen sich die Musiker zu Hause, zählt die heitere Improvisation mehr als eine zwanghafte Originalität. Ja, Pantagruel hat sich selbst gewissermaßen als ein Original geschaffen. „Pantagruel ist unser musikalischer Mittelpunkt“, sagt Mark Wheeler. Denn freilich sind die Mitglieder auch an anderen Musikprojekten beteiligt.

Konzeptalbum mit Tiefe

So eingeführt, mag sich das Album „Elizium“ besser erschließen. Dafür muss man zwei Dinge wissen: „Wir haben ein Konzeptalbum eingespielt. Und wir liefern keine fertigen Antworten“, meint Wheeler. Das gab es in der Szene für Alte Musik noch nicht sehr oft, dass ein Ensemble seine Musikstücke mit einem Roten Faden zu einem einheitlichen Ganzen verbindet. Selbstbewusst zieht Wheeler die frühen Konzeptalben von Pink Floyd zum Vergleich heran. „Wir liefern die Musik, die Hörer können und sollen sich ihre eigenen Bilder dazu schaffen.“

Schön, jeder Song hat also seine Bedeutung – und zwar genau an der Stelle, an der er zu hören ist. Einzige Hilfestellung der Gruppe sind die vollständigen Texte der altenglischen Lieder – im Booklet wunderbarerweise mit deutscher Übersetzung. Dazu darf man sich das Trio getrost in zeitgenössischer Kleidung vorstellen. Die Sängerin Morrison legt bei den Konzerten großen Wert auf farbenfrohe Kleider, eine gerade Haltung und elegante Bewegungen über die Bühne. Diskret verhalten sich die beiden Herren, meist in gedeckter Kleidung und dunklem Barrett auf dem Haupt. Es ist klar: Auf der Bühne und auf dem Debütalbum gibt Morrisons wunderbar klare Stimme den Ton an. Zielsicher umschifft die Sopranistin auch höchste Klippen. Wheeler und Schneider sind aber keineswegs stille Hintergrundmusiker. In fantastischer Harmonie bauen die beiden mit Lauten und Flöten eine überaus prächtige Kulisse um Morrisons Stimme herum auf.

Jedes einzelne Lied ist sorgfältig arrangiert und folgt einer geheimen Dramaturgie. Ich stelle sie mir tatsächlich auf einer noblen Bühne im elisabethanischen England vor. Vielleicht sogar am Hofe der Königin selbst. Denn die meisten Stücke sind eine musikalische Verehrung der Queen. Oder vielmehr eine Art musikalische Biographie Elisabeths.

Der erste Titel, „Come live with me“, ist ein mythisches Tor in das Reich der Seligen, ein wahrer Opener für „Elizium“. Track zwei ist ein Renaissance-Medley, bestehend aus drei zusammengeführten Liedern, die 1591 zu Ehren Elisabeths entstanden. Der Titel „Eliza is the fairest Queen“ ist eine Replik auf das erste Live-Programm von Pantagruel.

Werfen wir noch einen Blick auf zwei weitere Stücke: „Joy to the person of my love“, aus anonymer Feder stammend, nimmt die schmerzhafte Liebe eines Favoriten der Königin, möglicherweise des Earl of Leicester, unter die Lupe. „Ale and Tobacco“ schließlich treibt diese Liebestragödien auf die Spitze. In dem Lied ist vom „Tabakrausch“, der die Schmerzen betäubt, die Rede. Es geht weiter: „Und köstliches Bier schafft Fröhlichkeit.“ Wheeler erlaubt mir einen kleinen Blick auf das, was Pantagruel damit meinen könnten: „Es geht um eine Art Drogenmissbrauch durch unglückliche Höflinge.“

Offensichtlich spielte Politik und Liebe – wie auch immer sie von den Protagonisten verstanden wurde – am englischen Hofe eine beinahe gleichwertige Rolle. Fest steht für mich: Elisabeths Liebe war immer irgendwie politisch und folgte den Höhen und Tiefen ihrer Regierung. Und genau das versuchen Pantagruel nachzuzeichnen. Aber das mag ein anderer ganz anders sehen oder hören. Letzteres sei dem geneigten Leser unbedingt empfohlen. Ob nun Bilder englischer Damen und Höflinge auftauchen oder nicht – das Album klingt einfach wundervoll. Und es öffnet gewiss die Tür in eine andere Welt – die der Renaissance.

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