Haefs / Cornwell Meister des historischen Romans

Haefs und Cornwell erzählen Geschichten um England und Antike. © chronico

Gisbert Haefs und Bernard Cornwell – das sind zwei brachiale Erzähler. Die in wortgewaltiger Manier Futter für gutes Kino im Geiste bieten. Die Rede ist von kaiserlicher Rache, Alexander dem Großen und Englands Legenden.

High Level

Wenn es hier um zwei Romanciers des historischen Fachs geht, ist das durchaus eine Auswahl nach Bauchgefühl. Aber ich empfinde Gisbert Haefs, als deutschen Vertreter, und Bernard Cornwell, der britische Kollege, als zwei der besten Autoren, die der Markt derzeit zu bieten hat. Das darf man auch mal in einen Beitrag packen.

Nicht, dass jedes einzelne Buch, das ich von beiden gelesen habe, durchgehend einem hohen Anspruch genügte. Doch wo die Autoren schwächelten, taten sie es noch immer auf hohem Niveau. Das macht sie zum Gegenentwurf zu den vielen blassen Histörchen, die den Buchmarkt regelrecht überschwemmen. Aber lassen wir das und stellen uns lieber einer kleinen Auswahl der Titel von Cornwell / Haefs.

Rachefeldzug durch ein Kaiserreich

„Die Rache des Kaisers“ (Page&Turner) ist das jüngste Werk von Gisbert Haefs. Es beginnt mit einem Schockzustand. Jakob Spengler, 15 Jahre, erlebt, wie das Dorf, in das sein Vater einst flüchtete, von Söldnern in ein Schlachthaus verwandelt wird. Die Familie ist tot. Es stellt sich bald heraus, dass Jakobs Vater einem Auftragsmord zum Opfer gefallen ist. Ein Priester und vier Söldnerführer sind es vor allem, deren Spuren Jakob bald folgen wird, um das Rätsel um den Mord zu lösen. Auftakt zu einem Rachefeldzug durch ein blutiges europäisches Jahrzehnt.

Es sind die 1520er Jahre, Kaiser Karl V. regiert im Heiligen Römischen Reich. Die Lutheraner schicken sich an, die Theologie umzukrempeln. In Deutschland rumoren die Bauern gegen ihre Bedrücker. Für den Leser wird dies die erste Station sein, in der er Jakob als jungem Erwachsenen erneut begegnet. Haefs, der Mann, der seine Geschichten oft in langen Rückblenden zu entwickeln vermag, spart sich bei seinem jüngsten Buch den langen Vorlauf.

Dass der Protagonist nach dem Massaker von dem muslimischen Kundschafter Kassem und dessen Dienern Jorgo und Avram (einem Griechen und einem Juden) aufgenommen wird und den Trupp auf seinen Reisen begleitet – das deutet Haefs mit wenigen Sätzen an. Mag sein, dass hier eine wunderbare Möglichkeit verloren geht, auch den Osten Europas – immerhin führen Kassems nicht detailliert erläuterte Aufträge bis nach Russland – im so aufgewühlten 16. Jahrhundert zu beleuchten. Nehmen wir also hin, dass diese Jahre der Erziehung des Jungen dienen; seiner Vorbereitung auf eine Aufgabe, die Jakob sich selbst stellt: Rache.

Haefs hat es eilig damit, seinen Helden, gemeinsam mit den großzügig von Kassem freigegebenen Jorgo und Avram, durch das gar nicht so heilige Kaiserreich zu schicken. Jakob nimmt die erkalteten Spuren der Mörder auf. Da es sich um Söldner handelt, und das Waffenhandwerk in jener von Kriegen geprägten Zeit buchstäblich das Fortkommen garantiert, reiht sich das Trio in die Söldnerscharen ein, die in Europa ihre blutige Spur hinterlassen. Jakob gerät mit Jorgo also zunächst in die Wirren des deutschen Bauernkriegs; erlebt schlimme Gefechte und allenthalben blutige Rache – die von Bauern an den Adligen und deren Familias; die der Fürsten an den unweigerlich geschlagenen Bauernhaufen.

Jakob durchlebt die schrecklichen italienischen Feldzüge Kaiser Karls und stellt sich türkischen Truppen, die auf Europas Mitte vorrücken. Städtenamen und Höllenszenen reiht Haefs aneinander wie ein düsteres Menetekel: Rom, Prato, Wien. Einen nach dem anderen erlegt Jakob seine fürchterlichen Gegner, die wie Raubtiere von einer Schlacht zur nächsten ziehen – und wird dabei selbst zum mörderischen Tier.

Ein Europa am Rande des Chaos, geschüttelt von Machtkämpfen weltlicher und geistlicher Fürsten, das zeigt Haefs. Und Jakob ist das Auge, durch das der Leser den Schrecken erlebt. „Ein frühneuzeitliches Roadmovie“, so hat Haefs seinen Roman selbst umschrieben. Es trifft zu. Nur: Für meinen Geschmack hätte Haefs das Stück auch komplett in Europa spielen lassen sollen. Jakobs Abstecher auf den Spuren der Welser nach Venezuela ist missglückt. Freilich lesen sich die Passagen so spannend wie die anderen zuvor. Nur, wenn der Held in einer Hafenspelunke auf der anderen Seite des Ozeans einen seiner Widersacher trifft, ist wenig exotisches Flair zu spüren. Die Szene hätte genauso gut in Spanien stattfinden können. Die Zeit, die Expeditionen der Welser tiefschürfend aufzugreifen, hat sich Haefs nicht genommen. Es bleibt eine Randnotiz. Dennoch besticht die Idee, mit Jakobs Rachefeldzug einen roten Faden durch das Kaiserreich zu ziehen, einschließlich der frisch kolonisierten Überseegebiete, und auch politische Ränke rund um die Kaiserwahl Karls abzugreifen. Eine schönes Stück Geschichte.

Machtmensch Alexander

Es gibt bei einschlägigen Versandhäusern oft den Vermerk: „Wer dieses Buch gekauft hat, kaufte auch dies: …“ Klar gibt es diese Verknüpfungen auch für Gisbert Haefs „Alexander“, ein zweibändiges Werk über den kriegerischen Makedonen. Aber diese Vergleiche sind Mumpitz; Haefs ist nur mit Haefs vergleichbar. Sein „Alexander“ steckt so voller Tiefe, Wendungen, fein verästelten Vorgeschichten und Erzählungen – der Roman ist eher mit „Troja“ vergleichbar oder „Hannibal“. Diese früheren historischen Romane von Haefs sind meine Favoriten aus seiner Feder. Haefs hat für sie irrsinnig tief in den Farbkasten gegriffen. Und satte Töne mit viel Schmutz, antiker Patina, detaillierter Recherche und einer überbordenden Fabulierlust angereichert. „Troja“, so viel Zeit muss hier sein, ist für mich die beste Romanadaption des Themas, die es auf dem Markt gibt.

Alexander der Große – also auch dieser Feldherr, der im 4. Jahrhundert vor Christus Geschichte schrieb, wurde von Haefs neu gefasst. Und als gewaltiger Erzähler, der er ist, nähert sich der Mann seiner Figur auch aus solchen Richtungen, die kein Leser je vermuten würde. Hier nimmt sich Haefs verdammt viel Zeit. Tunkt die Machtkämpfe um den makedonischen Thron lange vor Alexanders Geburt in mystische und zugleich auch menschliche Dimensionen. Beschreibt die Begegnungen der Eltern, Philipp und Olympias, als einen Zusammenprall der Kulturen mit politischem Kalkül. Wie überhaupt die menschlichen Dimensionen in diesem Romanepos eine wichtige Rolle spielen.

Von direkten Gedanken Alexanders hören wir wenig. Sein Weg von der gewaltsamen Einigung Griechenlands bis zu den Grenzen Indiens wird über Dritte erlebt: Aristoteles vor allem, dem Lehrer Alexanders, der an seinem Lebensende – da ist der Makedonenkönig bereits in Babylon verstorben – dem Offizier Peukestas seine Erinnerungen in den Block diktiert. Und Haefs haucht weiteren Nebenfiguren ein blühendes Leben ein. Aus deren Sicht die Kriegszüge bestechend gründlich erzählt werden.

Diese beiden Romane verlangen Aufmerksamkeit, sie fordern Lust auf Entdeckungen und ein gewisses Namensgedächtnis. So mancher Leser warf Haefs ein kunterbuntes Durcheinander vor – das Gegenteil ist der Fall. Oder anders gesagt: Durchschnittsleser, die seichten Stoff gewohnt sind, stoßen hier schon mal an ihre Grenzen. Recht so! Als Buch unbedingt und grenzenlos zu empfehlen.

Auch das Hörbuch (erschienen bei Radioropa) habe ich mir aufgelegt. Der Sprecher Jürgen Holdorf macht seine Sache gut. Und doch – konzentriertes Zuhören ist angesagt. Wer das über eine Gesamtlänge von rund 23 Stunden durchhält, und auch nach Pausen nicht wieder „zurückblättern“ muss, dem seien die 18 CDs (oder zwei MP3-CDs, die der Pack auch bietet) gern empfohlen.

Legenden Englands

Ein Mann, geboren 1944 in London, bei der BBC tätig gewesen – und in die USA ausgewandert. Hätte er dort eine Green Card bekommen, Bernard Cornwell wäre vermutlich ein achtbarer Journalist geblieben. Er durfte nicht, zum Glück für die literarische Welt. Cornwell avancierte zum Schriftsteller. Erste Sporen und eine treue Fangemeinde verdiente er sich mit seiner Serie über einen britischen Soldaten in den Napoleonischen Kriegen. Davon soll hier nicht die Rede sein. Auch nicht von seinem Bogenschützen Thomas, der auf der (für meinen Geschmack etwas albern begründete) Suche nach dem heiligen Gral den Hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich erlebt.

Seine volle Wucht, für die ich Cornwell so sehr schätze, entwickelte er mit zwei Serien, die gewissermaßen als Gründungsepen Englands gelten dürfen: Die abgeschlossenen Arthur-Chroniken, eine Trilogie, und die sogenannte Saxon Stories – die noch immer in Cornwells Schreiblabor entwickelt werden. Mit Arthur zielt Cornwell auf die Zeit um 500; die Epoche der angelsächsischen Landnahme Britanniens. Die zweite Serie macht einen Sprung ins 9. Jahrhundert. Die angelsächsischen Königreiche haben sich längst entwickelt und sehen nun ihrerseits einer Bedrohung entgegen: dem Einfall der dänischen Wikinger, die um York herum eigene Domänen errichten. Es würde mich nicht wundern, wenn Cornwell die Lücke hin zum Hundertjährigen Krieg dereinst noch mit einer Romanreihe rund um das Jahr 1066 und den Einfall der Normannen schlösse.

Cornwell sieht sich als Geschichtenerzähler, nicht als Historiker. Dennoch ruhen seine Bücher auf einem gut recherchierten geschichtlichen Untergrund. Oder sagen wir: Cornwell hat, im Falle Arthurs, die überlieferten Quellen aus dem Mittelalter gut studiert und sie so aufbereitet, dass sich historische Fakten mühelos einfügen. Man möchte sagen: Ja, genau so muss es doch gewesen sein! Authentische Schlachten und Orte, klingende Namen und dem geneigten Leser so überaus bekannte Geschichten verwebt Cornwell zu einem dicken Teppich mit harmonischen Mustern.

Ja, der Mann ist Engländer und er pflegt einen Spleen: Ob Arthur und der eigentliche Held der Arthur-Chroniken, Derfel, in kriegerische Raserei verfallen oder Uhtred, der Mann zwischen den dänischen und englischen Fronten der Saxon Stories – immer wieder gibt Cornwell ihnen Raum zur blutigen Entfaltung. Yes Sir! – nach dem x-ten Mal wissen auch wir, wie ein Schildwall funktioniert. Die Sache wird durch häufige Erläuterungen nicht noch deutlicher.

Cornwell ist ein direkter Erzähler. Straff marschieren seine Protagonisten und ihre Widersacher voran, stetig entwickelt sich die Geschichte. Auch wenn der Autor bei Arthur einen Kniff nutzt: Als alter Mann berichtet Derfel, Arthurs wichtigster Mann und Nachkomme eines sächsischen Fürsten, einer Königstochter das Erlebte. Eine schöne Idee, denn geschickt verwebt Cornwell das Legendenhafte um Arthur mit der aus Derfels Sicht wahren Geschichte. Bei ihm erscheinen Merlin, Morgana, Mordred & Co. dem Mythos entkleidet. Lancelot etwa ist keineswegs der strahlende Held, als den ihn die Nachwelt sieht. Die Königstochter reagiert denn auch entrüstet und Cornwell deutet an, dass sie Derfels Geschichte umschreiben wird. Dabei liest sich dessen Liebesgeschichte von Tristan und Isolde so viel unmittelbarer, grausiger und gerade deshalb so – unheimlich glaubhafter. Gerade so ging es mir auch mit Merlins magischen Riten, dem ewigen Bemühen Arthurs um ein einiges Britannien oder dem Entschwinden des Herrschers in Avalons Nebel.

Weniger Legende, aber nicht weniger gut erzählte Geschichte bekommt der Leser bei den Saxon Stories. Die ersten Bände hat Rowohlt frisch als Taschenbücher aufgelegt (was auch für die Arthur-Chroniken „Winterkönig“, „Schattenfürst“ und „Arthurs letzter Schwur“ gilt). Erschienen sind bislang die Bände „Das letzte Königreich“, „Der weiße Reiter“, „Die Herren des Nordens“ und „Schwertgesang“. Der nächste Band ist schon auf Englisch erschienen: „Burning Land“; die deutsche Fassung kommt vermutlich im Frühjahr bei uns auf den Markt. Ich bin gespannt auf die Fortsetzung der Geschichte um Uhtred, dem Angelsachsen und Ziehsohn eines Wikingers, der für König Alfred gegen die Nordmänner antritt. Wütend wie ein Berserker, besinnlich wie ein Weiser, auf Freundschaften gestützt und von Feinden auf Trab gehalten. Es sind Bücher, mit denen sich eine Reise durch England oder Wales ganz hervorragend untermalen ließe.

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1 Kommentare

  1. Ich habe bei Bernard Cornwell nachgehakt:

    1. Ist die Saxon-Serie mit dem angekündigten Band “Burning Land” abgeschlossen?

    2. Wird er sich des Themas “Hastings 1066” annehmen?

    Hier seine Antwort:

    “The series is not finished; there will be more to Uhtred’s story. (1.)

    Hastings is possible but, truthfully, it’s not high on my list. (2.)”

    Dann wissen wir auch das. Die Antworten lieferte Mr. Cornwell via Frage-Antwort-Liste auf seiner Website am 7.2.10; ich habe sie hier zitiert.

    08. Februar 2010, 12:02 Uhr • Melden?

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