Geschichtspodcast 16 Mumienpornografie? Wissenschaftsschau?

Im Test: Vier Sachbuchtitel als Hörbuch. © chronico

Die Vergangenheit beleuchten: Mumien im Rampenlicht, Artefakte zum Anfassen, Landesgeschichte Niedersachsen. Wir stellen Hörbücher vor sowie Neuerungen bei chronico.

Kontakt mit der Geschichte

Bei chronico geht es vor allem darum, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie moderne Menschen mit Geschichte in Berührung kommen können. Um drei Projekte geht es in diesem Kapitel. Projekte, die aus ethischer Sicht auf Empörung bei Wissenschaftlern stoßen oder die Geschichte zum Anfassen bieten – oder die trotz großem Engagements auch Chancen vergeben. Es geht um Mumien, ägyptische Schätze und die Geschichte der Niedersachsen.

„Mumien – Der Traum vom ewigen Leben”

Seit dem 30. September läuft diese Schau im Zeughaus der Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim. Im Zentrum stehen die konservierten Leichname von rund 70 Menschen und Tieren. Das Museum nimmt für seine Ausstellung in Anspruch, die weltgrößte Schau dieser Art zu zeigen. Kern sind 19 beinahe zufällig wiedergefundene Mumien aus dem eigenen Depot. Jahrzehntelang waren die toten Körper vergessen, beim Umbau des Zeughauses tauchten die Mumien vor drei Jahren wieder auf, wurden danach durchleuchtet, vermessen und katalogisiert. Sie stammen aus Ägypten, Asien, Ozeanien und aus dem vorkolumbianischen Südamerika. Damit war der weltumspannende Ansatz zum Thema „Mumien und Mumifizierung“ der Ausstellung vorgegeben. Leihgaben aus internationalen Museen komplettieren die Schau, die Leichname aus der Zeit der Dinosaurier und dem 20. Jahrhundert präsentiert.

Die Ausstellung befasst sich mit den kulturellen Bedingungen der Mumifizierung, der eher zufälligen Konservierung durch klimatische Gegebenheiten, aber auch mit modernen Aspekten wie der Kryonik. Die ganzheitliche Betrachtung ist der Stolz der Mannheimer Ausstellungsmacher. Die Ausstellung der Körper selbst traf jüngst auf herbe Kritik von Dietrich Wildung, Direktor des Ägyptischen Museums in Berlin. Dem Deutschlandradio Kultur sagte Wildung vor einigen Tagen: „Wenn man sagt, sex sells, kann man auch sagen: the mummy sells.“ Der Ägyptologe hält die Mannheimer Konzeption für Effekthascherei und er bezeichnet die Ausstellung als „Mumienpornografie“. In seinem Berliner Museum werden hauseigene Mumien traditionell nicht öffentlich ausgestellt. Es ist also eine Frage der Ethik, wie mit Leichnamen umgegangen wird – wie sie auch schon bei anderen Gelegenheiten, etwa der Ausstellung des Gletschermannes „Ötzi“ in Bozen, diskutiert wurde. Tritt die Totenruhe also vor der Wissenschaft zurück – und sind solche Ausstellungen überhaupt noch wissenschaftlich? Das Interesse ist da: denn wo sonst kann man der Geschichte buchstäblich ins Auge blicken, als beim Betrachten einer Mumie? Die Mannheimer Schau ist noch bis zum 24. März 2008 zu sehen.

Mumienausstellung in Mannheim

Das Alte Ägypten mit allen Sinnen

Ganz auf Familientauglichkeit ausgerichtet ist diese Schau im Historischen Museum zu Speyer, die bereits am 23. September ihre Pforten öffnete und noch bis 30. März 2008 zu sehen ist. Der Clou dieser Schau: Viele Originalobjekte aus Ägypten werden nicht nur gezeigt, sondern dürfen auch ausgiebig betastet werden. Da kann jeder Besucher, ob Kind oder Erwachsener, zum Entdecker werden. Besonders geeignet ist dieser Weg für blinde und sehbehinderte Menschen. Ein echter Kontakt mit mehreren 1000 Jahre alten Hinterlassenschaften wie Inschriften also. Allein für diesen, ich nenne es mal: „Kontaktbereich“, ist eine 250 Quadratmeter große Fläche aufgebaut worden. Alltag, Schrift, Königtum, Götterwelt und der Totenkult der Ägypter sind die Themen dieser Schau. Die Aufbereitung des Ausstellungsteils für Blinde und Sehbehinderte übernahm das Ägyptische Museum der Uni Leipzig gemeinsam mit der Leipziger Zentralbücherei für Blinde. Auch das wird gezeigt: Mit welchen Baumaterialien schufen die Arbeiter die große Cheopspyramide? Was aßen und tranken diese Menschen, wie verbrachten sie ihre Freizeit? Die Besucher betreten ein Handwerkerdorf, können Werkzeuge und Schreibgeräte ausprobieren oder sich als Ägypter verkleiden. Das ist echte Tuchfühlung mit Geschichte.

Ägyptenausstellung in Speyer

„Tag der Landesgeschichte” im Niedersächsischen Landtag

Rund 6000 Menschen strömten am 28. September in das Gebäude des niedersächsischen Parlaments, schrieb die Hannoversche Allgemeine Zeitung begeistert am nächsten Tag. Ein phänomenaler Erfolg für eine im Grunde eher sperrige Veranstaltung: Denn wie, bitteschön, bereitet man die Geschichte eines Bundeslandes auf, dass es so erst seit 60 Jahren gibt? Natürlich stand die politische und Wirtschaftsgeschichte Niedersachsens seit 1946 im Zentrum vielen Vorträge und Filme. Doch Landtagspräsident Jürgen Gansäuer und seinen Mitarbeitern ging es um mehr: Um die Geschichte der Regionen, die das moderne Niedersachsen ausmachen. Und damit kommt man ganz selbstverständlich zur Geschichte der Sachsen, der Welfen und der reichen mittelalterlichen Klosterwelt des Gebietes zwischen Nordseeküste und Harz.

Folgerichtig waren auch sie Thema an diesem besonderen Schautag in Sachen Landesgeschichte: die sächsischen Bistümer zur Zeit Karls des Großen, Heinrich der Löwe, religiöse Bewegungen im niedersächsischen Mittelalter, der Dreißigjährige Krieg oder Geschichten um das hannoversche Universalgenie Leibniz. In dutzenden Vorträgen, einigen Filmen und mit Ausstellungen wurde sich um diese schillernde Vergangenheit bemüht. Im Interview mit der Hannoverschen Allgemeinen sagte Landtagspräsident Gansäuer: „Es gibt eine bemerkenswerte Renaissance des Geschichtsinteresses – und zugleich einen gewaltigen Nachholbedarf. Es gibt noch vieles, was es zu entdecken gilt.“ Recht hat er, der Herr Gansäuer. Aber leider hat man eine große Chance vertan: Den echten, lebendigen Kontakt mit Geschichte zu vermitteln. So gut und brillant auch einzelne Vorträge sein können, sie bleiben eine rhetorische Vermittlungsart. Niedersachsen hat eine Menge engagierter Gruppierungen zu bieten, die Geschichte als Reenactment vermitteln können. Gerade im Bereich Mittelalter. Keine einzige dieser Gruppen waren aber in Hannover dabei.

Niedersächsischer Landtag mit Link zum Programm vom 28. September 2007

Geschichte als Hörbuch

Hörbücher boomen: als vorgelesene Roman oder regelrechte Hörspiele. In dieser Episode stellen wir vier Sachbuchtitel vor, die der Theiss Verlag und der Primus Verlag als Hörbücher aufgelegt haben. Wie es sich für einen Podcast gehört, geht das am besten mit Ausschnitten. Und genau diese gibt es auch in dieser Episode zu hören – mit einer wissenschaftlichen Einschätzung von Kalkriese als Ort der Varusschlacht, einem Blick in die Stauferzeit, dem Treiben in römischen Gasthäusern und mit einem Stück zu Tischmanieren in mittelalterlichen Klöstern (alle Ausschnitte mit freundlicher Genehmigung der Verlage).

Vorgestellt werden:

  • Das Mittelalter, von Sabine Buttinger, 2 CDs, Spieldauer 125 Minuten, 16,90 Euro (Theiss Verlag)
  • Die Germanen, von Ernst Künzl, 2 CDs, Spieldauer 121 Minuten, 16,90 Euro (Theiss Verlag)
  • Baden, spielen, lachen, Wie die Römer ihre Freizeit verbrachten, Karl-Wilhelm Weeber, Laufzeit 70 Minuten, 12,90 Euro (Primus Verlag)
  • Hinter Klostermauern, Alltag im mittelalterlichen Kloster, Sabine Buttinger, Spielzeit 70 Minuten, 12,90 Euro (Primus Verlag)

Die Autoren sind allesamt Fachleute in ihrem Gebiet; sachliche Informationen werden verständlich rübergebracht. Allerdings: Die Hörbücher sind jeweils stark gekürzte Fassungen der bereits als Bücher vorliegenden Titel. Schön ist die professionelle Aufbereitung aller Alben – stets wechseln sich zwei Sprecher ab. Dennoch werden wohl nur gute Zuhörer mit Konzentrationsvermögen die Scheiben auf einem Rutsch abspielen. Was den hier vorgestellten Hörbüchern fehlt, ist eine Auflockerung durch Hintergrundmusik oder szenische Sequenzen. Für Letzteres wären beispielsweise die von den Autoren gut ausgewählten zeitgenössischen Zitate geeignet gewesen.

Immerhin bietet die CD „Hinter Klostermauern“ klösterliche Gesänge als passende „Raumteiler“ zwischen den einzelnen Kapiteln. Schade: Das Bildmaterial sowie die Karten, von denen die Printausgaben reichlich zu bieten haben, sucht man bei den CDs vergeblich. Hier haben beide Verlage einen Mehrwert vergeben, der digitalen Medien eigentlich leicht beizustellen ist. Der Auftakt zu sorgfältig aufbereiteten Hörbuchreihen ist aber sowohl bei Theiss („Wissen Kompakt Audio“) als auch bei Primus („Geschichte erzählt“) durchaus gelungen. Die guten Ansätze bei weiteren Titeln noch ausgebaut und erweitert – und schon steht einer guten, geschichtlichen Hörbuchsammlung nichts mehr im Wege.

Neues auf chronico.de

Im letzten Kapitel sprechen David Maciejewski und ich über die technischen Neuerungen auf chronico.de der letzten Wochen. David hat fleißig im Untergrund der Webseite gewirkt. Nicht alles ist für unsere Leser vordergründig spürbar (was Absicht ist). Aber zwei Entwicklungen gibt es, auf die wir Ihr Augenmerk legen wollen.

Viele Teilnehmer unserer Sommerumfrage wünschten eine Wiederkehr der alten Fotogalerie, die es bereits beim chronico-Vorgänger „Mittelalter-Spectaculum.de“ gab. Genau das hatten wir auch schon lange vor, nun sind die Fotos der Jahre 2003 bis 2005 wieder in unserem Archiv recherchierbar. Aber wir haben die Galerie komplett neu gestaltet, übersichtlicher gemacht – und überhaupt großen Wert auf gute Bedienbarkeit und vor allem auf Seh-Vergnügen gelegt. Die neueren Galerien aus 2006 und 2007 folgen demnächst.

Schauen Sie mal nach: Im Menüpunkt „erleben“, und dann ein Klick auf Bilderreisen

Einen zusätzlichen Service haben wir auch im chronico-Terminkalender eingebaut. Jedem Termin ist nun auch eine Karte von Google-Maps zugeordnet – für den schnellen geografischen Überblick.

Hier geht’s zu den Terminen

Artikel aus der Rubrik „Geschichtspodcast“

  • Götter, Gräber und Barden

    Die Neujahrsausgabe: Wir lassen diesmal Archäologen zu Wort kommen; besingen mit Poeta Magica die altisländische Edda; gehen einem mysteriösen Schlachtfeld auf den Grund und schwelgen in historischen Terminen.

  • Rebellische Fürstin wird Königin der Herzen

    Jubiläumssendung – ein Jahr Geschichtspodcast: Chronik einer aufmüpfigen Heiligen / Alamannen schicken Teenager auf einen Prüfungsweg / historische Inszenierung in der Kunst.

  • Preußische Ägyptomanie und hussitische Höllenwelten

    Narrenturm, Gottesstreiter, Lux perpetua: Die Hussiten-Trilogie von Andrzej Sapkowski ist komplett. Und wir reisen mit Preußen nach Ägypten und mit Musik von „Kwart“ übers Meer.

  • Troja und die Invasion in der Bronzezeit

    Xerxes, Alexander der Große, Caesar und die Kreuzfahrer beriefen sich auf Troja. Wissenschaftler streiten heute um das Erbe von Homer, Autoren liefern frische Literatur. Eine Spurensuche.

2 Kommentare

  1. Oha! Am Ende dieser Episode ist mir noch ein Lapsus untergekommen: Natürlich wird die nächste Podcastfolge nicht erst im November 2008 kommen, sondern noch in diesem Herbst 2007! So, dann wäre auch das geklärt.

    30. September 2007, 23:09 Uhr • Melden?
  2. tja, Marcel, das sind so die kleinen Fehler, die immer mal vorkommen und dem Hörer dann ein Lächeln entlocken. Also, keine grauen Haare wachsen lassen, dat passiert halt mal.
    Wir freuen uns schon auf die nächste Folge im Herbst …
    2007, ganz klar !

    01. Oktober 2007, 09:10 Uhr • Melden?
    von Torsten Kreutzfeldt
    2

Ihr Kommentar zum Artikel „Mumienpornografie? Wissenschaftsschau?“


Sie sind angemeldet als

abmelden