Römerwein-Experiment Amphoren geben Geheimnis preis

Der Römerwein ist nach neun Wochen in der unglasierten Amphoren-Replik durchaus genießbar. © Marcel Bieger

Die Pannen waren nicht erwünscht, aber durchaus erwartet: Wintricher Römerverein entsiegelt seine Repliken antiker Weinamphoren. Autor Marcel Bieger war bei der Verkostung dabei.

Auftakt zur Verkostung

Das ganze Jahr brodelt es schon vernehmlich am Mittellauf der Mosel, wo nämlich die Vigilia Romana Vindriacum aus dem zentral gelegenen Ort Wintrich (berühmt für seine alle fünf Jahre stattfindenden Passionsspiele) ein Antike-Experiment der ganz besonderen Art durchgeführt hat: den Transport und die Lagerung von Wein in Amphoren so originalgetreu wie möglich durchzuführen (chronico berichtete).

Vorläufiger Höhepunkt des Projekts war im September 2007 die Öffnung der nach antiken Vorbildern gefertigten beiden Weinamphoren im Rahmen der Ausstellungseröffnung „Straße der Römer – Spätantike im ländlichen Raum“ im Archäologiepark Belginum in Morbach/Wederath. An jenem Tag lagerte der Wein bereits neun Wochen, nun stand also die Verkostung vor Publikum an.

Zwei Orte bildeten die Grundlage des Amphorenexperiments: der Romanushof und der Archäologiepark Belginum. Ersterer ist ein Weingut im schon erwähnten Ort Wintrich, in dessen Kellerräumen Befüllung, Versiegelung und Gärung des Weins stattfanden. Beim Archäologiepark Belginum handelt es sich um ein 2002 eröffnetes Museum auf dem Standort eines antiken Straßendorfes und führt für Fachbesucher wie für Laien gleichermaßen interessant das Leben an einer Fernstraße in keltischer und römischer Zeit vor. Der Archäologiepark Belginum wurde nach 50-jähriger intensiver Forschungsarbeit gegründet. Der etwa 1.000 Meter lange Rundwanderweg führt an einem Gräberfeld mit Grabhügeln, der ehemaligen Siedlung, Militärlager und einem Brunnen vorbei.

Medienrummel um Römerdarsteller

Am Vorabend der festlichen Amphorenöffnung kommen sie auf das große Freigelände gefahren, die Römerdarsteller der Wintricher und Bitburger. Rasch wird mit bewährten Handgriffen die Lagerstraße aufgebaut, und später an den Lagerfeuern palavert – wie schon seit Jahrtausenden und wie in Jahrtausenden. Ein langer Abend und eine kurze Nacht liegen vor uns, auch das überrascht eigentlich niemanden.

Am nächsten Tag treffen weitere Mitglieder ein, und zum reichhaltigen Frühstück gesellt sich strahlender Sonnenschein. Wir dürfen die Waschräume des Museums benutzen, um uns frisch zu machen. Als keltogermanischer Hunsrück-Bauer befriedige ich nicht so ganz, muss meine Stiefel ausziehen und bekomme Caligae verpasst – die typischen römischen Schnür-Militärschuhe. Königin Zenobia lässt sich herrichten, die Soldaten unterschiedlicher Zeiten und Epochen (vor allem Kaiserzeit, ein schwer gepanzerter Legionär aus den Dakerkriegen, ein paar leichte Veliten der späten Republik und ein Soldat der Spätantike) machen sich bereit.

Die Zivildarsteller sind längst damit beschäftigt, weitere Schaubuden und Stände aufzubauen und zu befüllen. Am späten Vormittag ist dann alles fertig. Ehrengäste treffen ein, normale Besucher kommen, Neugierige lassen sich anlocken, Presse fährt vor, und von den gut bevölkerten Wanderwegen biegen immer wieder Gruppen in Richtung Lager und Museum ab. Die Kapelle fängt an zu spielen, die Sonne brennt mittlerweile vom Himmel, die Lager- und Verkaufsstraße der Römer kann sich sehen lassen, und das allgemeine Gesumme kündet davon, dass hier gleich etwas passieren wird.

Die Römer ziehen aus und bauen in einem Hain, der ausreichend Schatten spendet, die beiden Amphoren auf. Hier erfolgen erste Reden, vor allem aber wird noch einmal erklärt, was es mit dem Ganzen auf sich hat. Keine Feier ohne Panne, beim Durchzählen wird festgestellt, dass ein Träger fehlt (er ist erkrankt, wie sich etwas später herausstellt), und ich darf einspringen. Zusammen mit Plinius trage ich eine Amphore zum Freiplatz im nach einer Seite hin offenen Geviert des Museums. Eine ganze Karawane – wenn auch ohne Tiere – setzt sich in Bewegung; Legionäre, Träger, Römervolk, Königin Zenobia mit römischen Damen, Ehrengäste und Bevölkerung aus dem Umland streben vom Hain zum Hof. Wir erreichen ihn – keineswegs außer Puste, obwohl die Weinbehälter einiges an Gewicht mitbringen –, hieven die Tongefäße zu den zündenden Rhythmen der Kapelle in die Halte-Gestelle und schielen zu den Häppchen, die gleich, nach dem offiziellen Teil gereicht werden sollen. Lastenschleppen macht hungrig. Die amtierende Weinkönigin erscheint mit Gefolge und bildet den lieblichen Rahmen für das, was jetzt folgt.

Wolfgang Friedrich, Chef der Wintricher, spricht ein paar Worte (tatsächlich erfreulich wenige, der Mann versteht es, dass hohe Rednerkunst im Weglassen besteht) und heißt die Anwesenden willkommen. Ihm folgen zwei weitere Redner – der archäologische Leiter des Experiments, Achim Schröder, und der weintechnische Fachmann, Roman Auler –, die beide mit großer Sachkenntnis und verständlich für jedermann den Fortgang des Versuchs aus ihrer Fachsicht kommentieren.

Verluste über weite Strecken

„Ein Tongefäß, das keine Beschichtung oder Glasur aufweist, ist durchlässig. Wenn man also den Wein in den Original-Amphoren aus dem Mittelmeerraum bis hierher zu irgendeinem gallischen Händler brachte, der gern Wein aus dem Mittelmeerraum trinken wollte, dann verbrachte dieser Wein ungefähr drei Monate in seiner Amphore. Er wurde mehrfach geschüttelt, auf Maultierkarren und Schiffen transportiert, über das Meer und auf Flüssen befördert. Kurzum, der Wein kam nicht zur Ruhe und befand sich auch noch in einem Gefäß, das Flüssigkeit durchlässt. Was passiert in der Amphore selbst? Wieviel von dem Ton findet sich im Wein wieder, die Amphore staubt ja auch, wenn sie trocken ist? Wieviel Alkohol enthält der Wein noch, und kann man dieses Gesöff überhaupt noch genießen? Die Herrschaften, die direkt neben unseren Amphoren stehen, werden sagen, nein, das ist ungenießbar, weil sie die Ausdünstungen aus den Amphoren riechen. Wie bei jedem ersten Versuch sind auch uns einige Fehler unterlaufen, die wir inzwischen eingesehen haben und beim nächsten Versuch vermeiden wollen.

Beim nächsten Mal hoffen wir zum Beispiel, etwas mehr von dem Inhalt halten und natürlich dessen Qualität ein wenig besser sichern zu können. Für die entstandenen Pannen kann der Winzer, Romanus, nichts, das haben allein Wolfgang Friedrich und ich, eigentlich hauptsächlich ich als maßgeblicher Archäologe, bei diesem Projekt verbockt. Ich bitte Sie also, Nachsicht mit uns zu üben, und die in den hinteren Reihen mögen bitte vom Genuss des Amphoreninhaltes Abstand nehmen, wenn die in den ersten Reihen umkippen. Vielen Dank.“
(Aus der Rede des verantwortlichen Archäologen Achim Schröder)

Moderne Erkenntnisse über antiken Weintransport

„ … Vor ungefähr einem Jahr wurden mehrere Winzer vom Wintricher Römerverein angemailt und mit Informationen über den bevorstehenden Versuch versorgt. Sie brauchten nämlich Wein und einen dazugehörigen Winzer für ihr Vorhaben. Als ich die Mail gelesen habe, war ich sofort von der Idee begeistert. Allerdings konnte ich zu jenem Zeitpunkt noch nicht ahnen, was da auf mich zukommen würde.

Wir sind uns dann rasch einig geworden, und für den Versuch habe ich einen Rieslingwein mit etwa 90 Grad Öchsle genommen, und laut Vorgabe musste dieser Wein gänzlich unbehandelt sein. Das heißt, keine Filtration war zugelassen, keinerlei Schönung gestattet, weder Bentonit noch sonst etwas. Anfangs wurde sogar eine Schwefelung verneint. Also insgesamt recht schwierige Voraussetzungen, um einen Wein zu produzieren.

Außer dem Absetzenlassen der Trübstoffe durch oftmaliges Abstechen des Weines war mir nichts erlaubt. Aus Museen und anderen seriösen Informationsquellen haben wir erfahren, dass den Römern zur Schwefelung nur sogenannter gediegener Schwefel bekannt war. Nun ist solcher Schwefel ein pulverförmiger, und dieser konnte nach meinen Recherchen nur gasförmig wirksam sein. So habe ich dann Schwefelschnitten in einen Edelstahltank hineingehängt und die dann angezündet. Dadurch entstand ein Schwefelgas. Danach wurde der Wein in diesen Tank hineingepumpt und durch das Hineinpumpen mittels eines Reißrohres – im Prinzip eine Art Gießkanne, wodurch der Wein sich im Tank schön verteilt – hat der Wein Schwefeldioxid aufgenommen; zwar nicht sehr viel, aber ausreichend, um die Flüssigkeit für eine Weile in dem Tank aufbewahren zu können. Dies waren dann die einzigen ‘modernen’ Zutaten: Luftabschluss und Edelstahltank mit einem variablen Deckel, so dass gar kein, oder besser, nur sehr wenig Sauerstoff an den Wein kommen konnte.

Am 21. Juli 2007 fand dann das Befüllen der Amphoren statt. Schon nach zwei Tagen tauchten die ersten Sorgen bei den Babys auf, wie ich die Amphoren genannt habe, denn die haben gleich Pipi gemacht und waren nicht trockenzukriegen. Die Amphoren standen damals schon in den Halterungen, wie sie jetzt hier stehen, und nach zwei Tagen tropfte schon der erste Wein heraus. Dazu kam es auf der Außenseite zur Hefebildung, der sogenannten Kammhefe, die am Rand der Amphore immer stärker wurde.

Daraufhin kamen wir zu dem Schluss, die Amphoren in eine Schräglage zu bringen, wie das aus Wrackfunden ersichtlich ist. Und zwar in exakt 45 Grad, das war auf Fotos von einem Museum (Schiffslagerung) in der Türkei zu erkennen. Je höher die Wassersäule ist, desto höher der Druck auf die Amphore, deswegen die schiefe Lage. So konnten wir den Druck um etwa 30 Prozent verringern. Doch auch weiterhin leerten sich die Amphoren sichtlich. Ich hoffe, wenn wir sie gleich öffnen, dass noch ein kleines bisschen Wein drin ist.

Im Nachhinein dürfte es also sehr fraglich sein, ob Amphoren vor der Befüllung gewässert werden müssen. Uns lag die Anregung vor, die Amphoren vorher zu wässern, und das haben wir dann auch getan. Ich habe aber in einem zweiten Versuch wenig später mit kleineren Amphoren gearbeitet, von denen eine nicht gewässert und die andere gewässert war. Die gewässerte hat dieses Wasser nach zwei Tagen zur Gänze nach außen abgegeben, die ungewässerte hingegen Flüssigkeit in sich aufgenommen, und diese Menge blieb über viele Wochen in dem Behältnis.

Nach meinem heutigen Erkenntnisstand … müssten die Amphoren vor dem Befüllen mit Hefe ausgeschlämmt werden. Das heißt, vor dem Füllen der trockenen Amphoren Hefe hineinfüllen, die von der Gärung übrigbleibt. Diese Hefe muss dann so verteilt werden, dass die gesamte Innenoberfläche bedeckt ist, und danach erst den Wein einfüllen.

Früher, vor unserem Experiment, herrschte die Meinung vor, Amphoren seien geharzt worden. Wir haben das auch berechnet und hätten eine so große Menge Harz gebraucht – ich spreche hier von einer Menge von 20 bis 25 Gramm –, dass man da schon nicht mehr von Retsina, sondern eher schon von Terpentin sprechen muss. Sie sehen, es ist einiges unternommen worden, und wir setzen die Versuche fort. Viele weitere Idee sind uns gekommen. Denn wie das Sprichwort schon sagt, jede neue Erkenntnis wirft hundert neue Fragen auf.“
(Aus der Rede des Winzerfachmanns Roman Auler)

Die Amphoren werden geöffnet

Wolfgang Friedrich ruft nun die offiziellen Zeugen nach vorn, und Achim nimmt die Öffnung vor und stellt fest, dass die Plomben noch in Ordnung sind. Dann löst er mit einem spitzen Messer die Wachsversiegelung. Mit großen, erwartungsvollen Augen umringen ihn immer mehr Besucher. Als die zwei Daumen dicke Siegelkappe gelöst ist, spielt die Kapelle auf, und alle machen „Ah!“ und „Oh!“.

Zwei Römer heben die Amphore an und gießen Flüssigkeit in ein Behältnis – dazu die Kapelle „Im Frühtau zu Berge“ – , und erste Gläser werden gefüllt. Dazu reichen Angestellte des Museums „heutigen“ Wein, der von den weniger Tapferen gewählt wird. Die Wagemutigen (wollen) und die Offiziellen (müssen) probieren. Nach einer Weile kommen auch wir an die Reihe und kosten vorsichtig von der etwas trüben Flüssigkeit. Und siehe da, dieser Wein schmeckt. Zwar nicht ganz so wie das, was man sich unter Wein vorstellt, sondern eher wie Weingeist, aber durchaus trinkbar. Kaum haben die ersten ihre Mutprobe hinter sich und stehen noch, werden Witzchen gerissen („schmeckt nach Korken“; „der zieht einem die Löcher im Kettenhemd zusammen“) und die noch Zögernden unter moralischen Zwang gesetzt. Zur Ablenkung werden auch die Häppchen gereicht, aber eigentlich bedarf es keiner festen Nahrung, um den Geschmack aus dem Mund zu bekommen, im Gegenteil.

Ja, ein kleines Wunder, was von außen so furchtbar (nach Hefe) gerochen hat, entpuppt sich von innen als recht genießbar (ich gestehe, ich habe mir noch einmal nachgießen lassen). Praktischer Zeuge einer solchen Gelegenheit zu sein, belebt Geist, Seele und Zunge, und bald stehen überall auf dem Vorplatz des Museums Grüppchen und Gruppen mit lachenden Gesichtern und sich mählich rötenden Wangen beisammen und vergleichen fachkritisch alten und neuen Wein.

Am Geschmack des Römer-Rieslings lässt sich gewiss noch einiges verbessern, dennoch Respekt an alle Beteiligten, deren Bemühungen doch ernstzunehmende Früchte getragen haben. Wir begleiten das Projekt weiterhin mit ebenso großem Interesse wie Wohlwollen und hoffen, das Ergebnis möge auch in der Folge die Mühe lohnen. Von Seiten der Wintricher und Bitburger ist zu erfahren, dass die Römer gern Speisen und Getränken durch Beimischung von Gewürzen und Tunken den Eigengeschmack genommen haben. So gesehen ließe sich selbst aus dem Ergebnis des ersten Versuches noch etwas Brauchbares für die Tafel zaubern.

Spektakel zum Ausklang

Als die Platten mit den Häppchen geleert sind begibt sich die ganze Gesellschaft hinunter ins ebenfalls aufgeschlagene Lager der XXII. Legion aus Bitburg. Die Soldaten marschieren voran, um noch einmal (und insgesamt zigten Mal) zu überprüfen, ob alles in Ordnung ist. Der Strom ergießt sich durch die aufgebaute Lager- und Budengasse – es ist die Stunde der Fernsehteams (und der hier zuständige SWR ist in der Darstellung auch solcher Ereignisse vorbildlich zu nennen; ein Lob, das gewiss nicht allen dritten Programmen gebührt) und der Honoratioren aus Politik und Verwaltung. Sie lassen sich gern alles erklären und zeigen sich interessiert. Der Chef der Bitburger, Edgar Comes, gleichzeitig Koch der Truppe, hat den köstlichen Legionärs-Eintopf „puls“ zubereitet. Nachdem der erste Schub vorüber ist, lässt es sich selbst Bierkönigin Bianca nicht nehmen, den Römern ihre Aufwartung zu machen. Ein schönes Beispiel für die von vielen erwünschte friedliche Koexistenz von Bier und Wein.

Mit Waffen- und Formationsvorführungen der verschiedenen Legionäre geht die Veranstaltung zu Ende. Ein Tag mit Parade-Wetter klingt aus, und weil in jedem Abschied ein Anfang steckt, freuen wir alle uns auf das, was die weiteren Experimente ergeben; denn nach der Amphorenöffnung ist vor der Amphorenöffnung.

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