Label Raumklang Zeitlose Musik am „Sonnentempel“

Geschichte nebenan: Das Gosecker Sonnenobservatorium. © Marcel Schwarzenberger

Das Schloss Goseck in Sachsen-Anhalt hat schon einiges erlebt: Benediktiner, Pfalzgrafen, Weltkriegsflüchtlinge und Verfall. Seit 1998 wird aber in den mittelalterlichen Mauern am äußerst lebendigen Klang alter Musik gefeilt.

Musikzentrum in altem Gemäuer

Es gibt drei Arten, sich der Arbeit von Sebastian Pank und seinem Label Raumklang zu nähern. Nehmen wir die statistische vorweg: 1993 gründete Pank – zu der Zeit Mitglied des äußerst kreativ daherkommenden Mittelalterensembles Ioculatores – Raumklang in Leipzig. Alte Musik aus Europa ist der Stoff, aus dem die Raumklang-Träume sind. Oder anders ausgedrückt: „Von Hildegard von Bingen bis zum 18. Jahrhundert“, sagt Pank. 1998 zog das Label von der sächsischen Metropole in die Provinz. Und ließ sich nieder in den mittelalterlich-barocken Mauern von Schloss Goseck. Noch im gleichen Jahr etablierte sich dort der Verein Schloss Goseck, der wiederum das „Europäische Musik- und Kulturzentrum Goseck“ aufbaute. Fortan zog und zieht es Künstler und Publikum zu Konzerten und Musikworkshops in die Burganlage – pro Jahr rund 15 Veranstaltungen.

Die zweite Art ist empirischer und genussvoller. Man nimmt schlicht die Tour ins Burgenland an Saale und Unstrut auf sich und betritt das Gelände auf dem Gosecker Schlossberg. Hier liegt die alte Geschichte zum Greifen nah. Sächsische Pfalzgrafen hausten auf der Burg schon vor über tausend Jahren. Für lange Zeit hatten hier oben die Benediktiner in der Abtei das Sagen. Der Bremer Erzbischof Adalbert weihte ihre Klosterkirche im Jahre 1053. In späteren Zeiten hatte die Anlage viele Herren, nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Umsiedler einquartiert. Mehr und mehr verfielen Schloss und Kloster, bis die Schlösserstiftung von Sachsen-Anhalt die Anlage 1997 übernahm. Die Zeit für neues Leben im alten Schloss war gekommen. Genau die richtige Atmosphäre für Pank und seine Mitstreiter.

Akademisch und verspielt zugleich

Die musikalische Welt von Goseck wird freilich vom Label Raumklang getragen. Das ist der wirtschaftliche Kern des Ganzen. Die Abteikirche von Goseck könnte theoretisch eine gewisse Rolle bei den Aufnahmen zu Raumklang-Produktionen spielen. Pank liebt den Klang in weiten Räumen der Kirchenbauten. Der Name des Labels kommt also nicht von ungefähr. Praktisch entstanden die Aufnahmen der Ioculatores oder auch jüngere Produktionen wie die von „ensemble n:un“ (liturgische Musik des Mittelalters) und des Ensembles „Belladonna“ (Musik aus dem mittelalterlichen England) in vielen Kirchen Sachsens.

Für Ohren, die auf kräftige Folkmusik oder den Sound der Mittelaltermärkte geeicht sind, mag der Begriff Alte Musik staubig wirken, womöglich nur für handverlesenes Publikum geeignet. Tatsächlich ist die eher kuschelige Atmosphäre in Kirchen das richtige Ambiente für die Gosecker Aufnahmen. Mit Extravaganz für den verfeinerten Geschmack haben sie aber nichts zu tun, findet Pank. Ja, es gehe um authentische Musizierpraxis, auch im akademischen Sinn. „Aber zuerst wollen wir einfach gute Musik machen, die lebendig wirkt“, sagt er.

Das pralle musikalische Leben findet der Goseck-Besucher vor allem, wenn er zu den Konzerten aufs Schloss kommt. Mittelalter, Barock, Klassik und moderne Weltmusik – all das findet in dem ehrwürdigen Gemäuer statt. Organisiert vom Schloss Goseck e.V., dem Pank vorsteht. Es kommen Künstler, deren Alben bei Raumklang erscheinen oder die Pank auf Reisen oder über die inzwischen engen Kontakte zur internationalen Musikszene kennen lernte. Georgische Musik zum Beispiel oder auch Usbekisches. Fremde Töne, die sich schließlich auch in Raumklang-Produktionen niederschlagen. Das Label, so sehr es auch in historischen Welten schwelgt, ist der Gegenwart und der Weltmusik durchaus nicht abgeneigt.

So gesehen ist der Tisch für Panks Label und für die Konzerte auf Schloss Goseck reich gedeckt. Ginge es nach ihm, Pank würde noch viel mehr Auftritte anbieten. „Das Schloss soll kein musealer Ort sein, sondern voller Leben“, betont Pank. Die Vereinsmitglieder arbeiten ehrenamtlich, und das hat leider seine – zeitlichen – Grenzen. Und doch hegt Pank einen besonderen Traum. Von Musikgruppen, die auch einfach zum Proben aufs Schloss kommen. „Und dann klingt die Musik durchs offene Fenster zu den Touristen unten im Hof.“ So wie Pank davon spricht, klingt es keineswegs nach plumpem Klischee, sondern nach etwas, das auch wirklich geschehen kann.

Ein 7000 Jahre alter Nachbar

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es bald mehr Besucher in Goseck und seiner Schlossanlage geben wird. Die urige Schenke und Gästezimmer gibt es dort schon. Und seit Dezember 2005 lockt in unmittelbarer Nachbarschaft eine noch viel ältere Attraktion: der originalgetreue Nachbau des Sonnenobservatoriums, das vor rund 7000 Jahren erbaut wurde. Bislang die älteste gefundene Anlage dieser Art in Europa. Kreisförmige Gräben, Wälle und Holzpalisaden umschließen einen Platz von 75 Meter Durchmesser. Bestens geeignet zur Feier der Wintersonnenwende. Und seit vergangenem Jahr gibt es im Gosecker Schloss auch ein Informationszentrum zum jungsteinzeitlichen „Sonnentempel“.

Musik mit vorgeschichtlichen Knochenflöten wird es deshalb bei Raumklang oder den Schlosskonzerten sicher nicht geben. Doch der Ort atmet buchstäblich Geschichte. Und sie in akustischer Form wiederzugeben ist die Passion der Musikmacher vom Schloss Goseck. Diese Leidenschaft steckt in den liebevoll gestalteten Alben. Die eben nicht nur für hochgezüchtete Ohren bestimmt sind, sondern auch Laien das Alte in schöner Form präsentieren. Dafür spricht auch die Detailversessenheit, mit der die Booklets von Raumklang aufgemacht sind. Kaum ein Album verlässt das Haus ohne tiefgründige Informationen zu Herkunft und Inhalt der vertonten Stücke. Das also ist – kurz und knapp gesagt – die dritte Art, sich Raumklang zu nähern: reinhören. Was läge wohl näher.

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