Burgleben Wie waren die Rittersleut? - Ein blumiger Bericht

Auf der Suche nach Abenteuern ist der Phantasie wenig Grenzen gesetzt. Im Mittelpunkt solcher Träumereien stehen oft angeblich geheimnisumwitterte Burgen. Und Fernsehshows wie "Die Burg" auf ProSieben greifen diese Gedankenspiele nur zu gern als Stoff für seichte Unterhaltung auf. Unverdrossen aber bleibt der mal mehr mal weniger ernst gemeinte Wunsch Vieler erhalten: Mal auf einer richtigen Burg zu leben. Doch das dürfte niemanden überraschen: Auch der mittelalterliche Burgbewohner kannte den Alltag. Diesen zu präsentieren - das hat sich Manfred Reitz vorgenommen, Autor populärwissenschaftlicher Bücher.

Mundgerechter Stil

Der Einstieg in das Buch ist symptomatisch für das ganze Werk: In sehr bilderreicher Sprache lässt Reitz den historischen Ritter Ulrich von Hutten über das tägliche Geschäft des einfachen Ritters schwadronieren. Allerdings lebte Hutten (1488-1523) lange nach der Blütezeit der Burgen. Solche “Fehlgriffe” und danebengehende Zitate bietet der Autor leider recht häufig.

Größtes Manko ist indes der durchgehend einfach gehaltene Sprachstil von Reitz. Die solide Anmutung des Buches verwischt den Eindruck – aber das Buch wendet sich eindeutig an jüngeres Publikum sowie Einsteiger in die Materie. Sobald der Leser das akzeptiert, lässt sich das Buch flott lesen. Denn insgesamt bietet Reitz einen kompletten Überblick über alle Lebensbereiche, die einen typischen Burgbewohner etwas angingen. Notgedrungen schweift der Autor auch in andere Themen ab.

Leider bleibt in der Einführung die Geschichte über die Entwicklung der Burgenstile oberflächlich. Zwar bietet Reitz jede Menge statistisches Material, aber eine Bewertung der einzelnen Ausführungen (Holz, Stein etc.) nach Aufwand, Nutzen und Kosten sowie nach zeitlichen Abläufen gibt es nicht. Zu oft fehlen wichtige Daten. Auch deshalb zielen faktisch gut gewählte Hinweise ins Leere. Etwa dann, wenn Reitz vom Fund einer “Steinmauer aus der Zeit der Fluchtburgen” berichtet. An anderen Stellen verliert sich der Autor in Platitüden. So sagt er im Kapitel, in dem er den Stand der Ritter definiert: “Um sich mit Rittern zu einem Streit anzulegen, musste man, wenn man keine Selbstmordabsichten hatte, mindestens ebenso gut durchtrainiert sein wie sie.” Ach ja…

Natürlich gehört zur Beschreibung des Lebens eines Ritters auf der Burg auch ein Blick in die Bevölkerungsstruktur und das Lehnswesen. Auch diesen Blick gewährt Reitz. Doch auch hier fehlen wichtige Einzelheiten, wie etwa die detaillierten Feinheiten zwischen den einzelnen Adelstiteln, die die Einordnung eines Burgherrn erst so recht möglich machen. Zudem fehlen Hinweise auf die Unterschiede zwischen einzelnen Epochen und geografische Regionen. Reitz bleibt in seinen Darstellungen oft sehr allgemein.

Autor kommt spät in Fahrt

So richtig anschaulich wird es erst im zweiten Drittel des Buches. Reitz beschreibt eine typische Burganlage. Er nimmt den Leser mit auf eine Besichtigungstour vom Burggraben bis in die private Kemenate des Burgherrn. Detailliert – aber stets im locker-leichten Erzählstil – geht es mit den Problemen und der Organisation des Burgenbaus weiter.

Auf Hochtouren kommt Reitz mit der Beschreibung des eigentlichen Alltags. Die Heiratspolitik ist mit reichlich Anekdoten garniert, der Leser erfährt Ausführliches über Kindheit und Erziehung des adligen Nachwuchses. Das harte Leben der einfachen Burgbewohner wird leicht gestreift, der Fokus liegt eindeutig auf der oberen Stufe der Hierarchie.

Und nun ergeht sich der Autor in der Betrachtung von Morgentoilette, der Kleidung, der Jagdgewohnheiten und dem Wandel der Jahreszeiten. Sehr schön ist der Abschnitt über die hochmittelalterliche Minne sowie die Unterschiede zwischen höfischer Sprache und der derben Sprache des Alltags. Dafür liefert Reitz einige deftige Kostproben. Abgerundet wird das Kapitel durch Sport und Spiele des Mittelalters (wiederum der oberen Schichten). Die beiden letzten Kapitel sind der ausführlichen Betrachtung des Kriegshandwerks und dem bunten Treiben auf Turnieren gewidmet

Etwas fürs Auge

Eine Augenweide ist die Gestaltung des Buches. Die Grafiker versahen das Werk mit einer verspielten Typografie. Der reich illustrierte Band bietet fast ausschließlich zeitgenössische Abbildungen. Leider ist hier jedoch eine Informationsquelle verschenkt: Keine Bildunterschrift gibt nähere Angaben zu Inhalt und Herkunft des Bildes, was eine bessere Einordnung möglich gemacht hätte.

Was ebenfalls fehlt, ist die Angabe der Quellen für die vielen historischen Zitate. Sie werden zu harmonisch in den Text eingebunden. Ein kleines Lexikon wichtiger Begriffe und ein Stichwortverzeichnis hätten dem Buch gut getan.

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