Sozialgeschichte Kindheit im Wandel der Zeit

Die Liebesheirat gab es doch schon im frühen Mittelalter. „Babyklappen“ sind eine Erfindung von Papst Innozenz III. Interessantes und kurioses Wissen bietet Frank Meier in seinem Streifzug durch Kindheit und Familie im Wandel der Geschichte.

Von Panzerreitern und Wickelkindern

Was der Titel nicht verrät: „Kind und Kegel“ ist vor allem ein leicht verdaulicher Einstieg in die Sozial- und Mentalitätsgeschichte des (späten) Mittelalters und der Frühen Neuzeit.

Gedacht für „historische interessierte Laien“ und für Studenten, die einen Einblick in die Lebensverhältnisse von Kindern in der ständischen Welt gewinnen wollen, baut Meier die Publikation folgerichtig ähnlich einer Vorlesung auf. Aufgeteilt in zehn Kapitel mit so eingängigen Titel wie „Wöchnerinnen und Wickelkinder“ oder „Puppe und Panzerreiter“ widmet er sich nach der Klärung grundsätzlicher Familiensituationen den verschiedenen Aspekten des Themas: Wie wurde Kindheit im vorindustriellen Europa verstanden? Wie erzog man Kinder? Welche Rechte, und noch viel wichtiger: Welche Pflichten hatten sie? Wie sahen Zeitvertreib und Bildung aus?

Dass Kinder die eigene Freiheit einschränken, wird heute wie damals thematisiert. Auch Abtreibung und Kindermord, Säuglingspflege und Verhätschelung oder Erziehung und Schulbesuch sind uns heute noch wohl bekannt. Aber das Ende der Kindheit mit sieben Jahren, die geeignete Auswahl einer Amme, die Frage, wohin man ein Kind bei Not verkauft, ja selbst Illegitimität gehören heute nicht mehr zu unserer Vorstellungswelt, beschäftigten unsere Vorfahren aber außerordentlich. „Mit Kind und Kegel“ nähert sich diesen Fragen und macht sie mit vielen, auch regional unterschiedlichen, Beispielen anschaulich.

Quellen über Quellen

Mit Fakten, Märchen, Anekdoten illustriert der Autor historische Begebenheiten und Stellungnahmen. Aschenputtel wird als Beispiel für eine frühe Patchwork-Familie herangezogen, Prozessakten zur Beleuchtung der Rechtssituation, Arztberichte und Hausbücher zur Hygiene-Beschreibung, Kirchenschriften zu damaligen Erziehungsratschlägen.

Verdeutlichen die Quellen an einigen Stellen, wie bei dem schon von Hildegard von Bingen geführte Diskurs, ob Verhalten anerzogen oder vorbestimmt ist, die verschiedenen Standpunkte, wirken sie an anderen Stellen fast schon prahlerisch, so bei sieben langen Zitaten zur Wickelkunst. Dies ist umso ärgerlicher, als dass die meisten genutzten Dokumente nicht zitiert sind, was vor allem den Studenten als Adressat ärgern wird.

Ein weiteres Manko: der mitunter zwanghafte Bezug zu heutigen Verhältnissen. Für die Erfüllung des vollmundigen Versprechens „unserer Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten“ reicht das noch nicht. Zumal beim heiteren Quellenlisten manchmal nicht ganz klar wird, welcher Auffassung man zu welcher Zeit den Vorzug gab. Dafür entschädigt Meier den Leser im letzten Kapitel mit einer sehr guten Zusammenfassung des Buches, wenn auch einige Übergänge, wie der von Verlobung in frühem Alter zur Zwangsarbeit, nicht ganz nachvollziehbar sind.

Schön und kurzweilig

Mehr als eine Entschädigung ist auch die wirklich schöne Aufmachung des Buches. Gedruckt auf schwerem Papier sind vor allem die Bilddokumente eine Augenweide. Illustrationen aus Hausbüchern, Holzschnitte und Miniaturen unterstreichen die gemachten Aussagen.

Frühe Gemälde mit „kleinen Erwachsenen“ zeigen Kinder in Erwartung ihrer späteren Aufgaben, Familiendarstellungen selbst mittlerweile toten Nachwuchs und Kirchenbilder Kinder in den damals üblichen Kitteln – nicht zu vergessen Bruegels titelgegebendes Gemälde „Kinderspiele“, das allein schon mannigfache Entdeckungen zum Thema birgt.

Zusammengefasst ist „Mit Kind und Kegel“ also ist eine kurzweilige, durchaus interessante Lektüre für den Einstieg ins Thema. Es ersetzt nicht die Lektüre der „Klassiker“ wie Ariès’ „Geschichte der Kindheit“, bietet aber zahlreiche Fakten und rüstet mindestens fürs Mitdiskutieren unter Pädagogen, die Autor Frank Meier an der PH Weingarten Geschichte lehrt. Und, gerade im historischen Veröffentlichungsfeld nicht ganz unwesentlich: Wohl dank der Profession Meiers ist das Buch auch für den Laien verständlich und wunderbar lesbar. Fachbegriffe oder historische Bezeichnungen (wie „Kegel“, was ein uneheliches Kind bezeichnete) werden erklärt und in einen sinnigen Zusammenhang gebracht. Wer dann mehr zu den einzelnen Themengebieten wissen will, findet dank der Bibliographie den Weg zu weiterführenden Monografien.

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2 Kommentare

  1. Ein wunderschön aufgemachtes Buch. Leider entspricht der Inhalt nicht der Aufmachung. Der Verfasser, Professor an einer Pädagogischen Hochschule, hat offensichtlich Referate seiner Studenten, bei denen er sich im Vorwort herzlich bedankt, gebündelt und dieses Konvolut als Buch herausgebracht. Das führt natürlich zu Widersprüchen im Text (Beispiel: “Das Spielen von Kindern setzt aber entsprechende Rahmenbedingungen voraus: Freizeit und eine materielle Sicherheit […]” ./. “Der erzieherische Wert des Spieles im modernen Sinne spielte bei den Eltern der unteren Stände, die täglich um das Überleben ihrer Sprösslinge bangten, keine […] Rolle […]” (beides S.106)), zu Wiederholungen im Text oder zu Unverständlichkeiten, wenn z.B. über harte Kinderarbeit gesprochen wird und anschließend eine Quelle folgt, in der es um die Arbeit der Frauen und Mägde geht.
    Mindestens unhöflich, wenn nicht arrogant, ist es, beim Leser das Verständnis der mittelhochdeutschen Texte, die grundsätzlich nicht übersetzt sind, vorauszusetzen. Hilfreich wäre auch gewesen, die Herkunft der Quellentexte zu vermerken oder bei den wiedergegebenen Gemälden wenigstens den Künsler zu nennen. – Die Reihe, in der der Band erschienen ist, nennt sich “populärwissenschaftlich”. Populär – nun gut, aber wissenschaftlich?

    13. August 2007, 18:08 Uhr • Melden?
    von -gl
    1
  2. zu kurz, ich brauche 3 seiten!

    04. Dezember 2007, 13:12 Uhr • Melden?
    von paul
    2

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