Sachbuch Am Rand der römischen Welt

Niedergermanien – eine Provinz am Rande des Römischen Imperiums. Im Zabern-Verlag erschien mit dem Buch „Germania Inferior“ ein eindrucksvolles Porträt der Provinz. Bettina von Stockfleth hat hinein geschaut.

Schmelztiegel vieler Kulturen

Germania Inferior – das klingt für unsere „modernen“ Ohren erstmal nicht so interessant. Eher wie „nachrangig“ und „zu vernachlässigen“. Doch tatsächlich hat die im Jahr 89 n. Chr. gegründete römische Provinz, deren Territorium das heutige Nordrhein-Westfalen, Teile der Niederlande sowie ganz Belgien umfasste, einiges zu bieten: Als Schnittstelle und Schmelztiegel und schließlich römischer, keltischer (gallischer) und germanischer Kultur blickt sie auf eine äußerst bewegte Geschichte zurück, die durch zahlreiche Funde rekonstruierbar ist.

Mit der Aufgabe, eben jene turbulente Zeit von den Eroberungsfeldzügen Caesars im ersten vorchristlichen Jahrhundert bis zum Ausgang der Antike lebendig nachzuzeichnen, wurde Tilmann Bechert betraut. Der Autor war bis 2003 Leiter der Stadtarchäologie Duisburg und steht seinem Forschungsgebiet nicht nur geografisch, sondern auch inhaltlich nah. So dürfte vielen Geschichts- und Archäologieinteressierten sein Werk „Römische Archäologie in Deutschland – Geschichte, Denkmäler, Museen“ bekannt sein. Und mit Bechert wurde der Richtige gefunden, um so viel Geschichte flüssig lesbar auf 144 reich bebilderten Seiten unterzubringen.

Weit gespannter Bogen

Die Gliederung ist grundsätzlich chronologisch angelegt und innerhalb der fünf Hauptkapitel mit zahlreichen Untertiteln versehen, was die Orientierung erheblich erleichtert. Leider wurden dem 1. Jahrhundert vor sowie dem 1. Jahrhundert nach Christi nur zwei kurze Kapitel mit etwas mehr als 20 Seiten gewidmet, woran die Quellenlage wohl nicht ganz unschuldig ist. Die Zahl der hier genannten germanischen Stämme und ihrer Bewegungen ist teilweise schwindelerregend; die Umbrüche in der entstehenden Provinz erfolgten mit rasantem Tempo.

Das Kernstück dieses Bandes bilden das dritte und vierte Kapitel, wobei dem Romanisierungsprozesses des 2. und 3. Jahrhunderts der umfassendste Teil des Buchs gewidmet ist, in dem vor allem Veränderungen in der Lebensweise der Bevölkerung geschildert werden, die sich am auffälligsten an veränderten Gebäude- und Siedlungsformen manifestieren. Doch auch Aspekte wie Wirtschaft, Religion und Kunst werden angesprochen, und es entsteht ein greifbares, ausgewogenes Bild des Zivillebens dieser Periode.

„Krisenzeit und späte Blüte“, so der Titel des vierten Kapitels, behandelt vor allem die Krise und nicht die Blütezeit im 3./4. Jahrhundert. Folgerichtig geht Bechert hier verstärkt auf politische Entwicklungen im Römischen Reich ein, die sich auf die Provinz Germania Inferior auswirkten. Ein weiterer Schwerpunkt dieses Kapitels ist der Ausbau militärischer Anlagen im Grenzgebiet in Hinblick auf die zunehmenden Übergriffe der rechtsrheinischen Franken.

Das letzte Kapitel beschreibt den Niedergang der Provinz, die mittlerweile in „Germania secunda“ umbenannt wurde. Wiederholte Übergriffe der Franken und die Zuwanderung weiterer germanischer Stämme führen schließlich zur Aufgabe der römischen Vorherrschaft. Gleichzeitig läutet die stark zunehmende Christianisierung den Ausgang der Spätantike ein. Der darauffolgende, zweiseitige Epilog resümiert den Inhalt des Buchs, lässt sich jedoch ebenso gut als Vorwort oder Orientierungshilfe zum Einstieg lesen.

Auch wenn „Germania Inferior“ innerhalb der Reihe „Orbis Provinciarum“ als einer von Zaberns Bildbänden zur Archäologie ausgewiesen ist, und durchgehend durch sein vielseitiges und hochwertiges Bildmaterial besticht, ist es der Text, der es in sich hat. Bechert musste eine große Menge an Informationen unterbringen. Es ist ihm dabei gelungen, ein vielschichtiges und lebendiges Bild dieser kleinen römischen Provinz und ihrer Hauptstadt Colonia Agrippinensis (Köln) zu zeichnen. Hilfreich für alle, die einzelne Themenschwerpunkte weiter recherchieren möchten, ist das umfassende Literaturverzeichnis. Eine weitere Orientierung liefert das Register, das sich nicht nur auf Personen- und Ortsnamen beschränkt, sondern auch Handwerksberufe und Funde aufführt. Insgesamt also eine runde Sache.

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