US-Reenactment Washingtons Winterkrieg

Gut 200 Akteure nehmen jedes Jahr im Dezember am Christmas Reenactment in Washington Crossing teil. © Washington Crossing Historic Park

Eine Doku aus den USA zeigt Washington Crossing als einen Hotspot der US-amerikanischen Living History. Wir präsentieren den Film „Being George“ und berichten über Hintergründe eines Rollenspiels.

Gegen die Hessen

Es ist Dezember; der Himmel zeigt sich bewölkt und Schnee fällt unentwegt auf die Männer herab. Mit ihren langen Musketen treten George Washingtons Soldaten an das Ufer des Delaware River in Pennsylvania. Auf der anderen Seite liegt New Jesey. Mehrere Durham-Boote und ein kleines Flussboot namens „Moon“ stehen bereit, um die Männer überzusetzen. Alles ist fast so, wie damals am Weihnachtstag 1776, als Washington müde Krieger in einen Kampf gegen hessische Regimenter schicken muss, die beim Dörfchen Trenton warten. Aber nur fast – denn hier ist die Rede von Menschen des Jahres 2013. Und es warten an diesem Tag auch keine schießbereiten Hessen.

John Godzieba (3. von rechts) geht ganz in der Rolle des „George Washington” auf. © Washington Crossing Historic Park

Das 5th Pennsylvania Regiment um ihren Kommandanten John Godzieba ist auf Übung. Es ist der 8. Dezember dieses Jahres, und tatsächlich senkt sich winterliche Witterung auf das Treiben der Reenactors. Godzieba – im zivilen Leben ist er Polizist – ist Chef der Living-History-Gruppe, die sich dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg verschrieben hat. Seit einigen Jahren mimt der Mann auch den Oberbefehlshaber: George Washington. Er übt für seine Rolle und die Reenactors trainieren die historisch überlieferte Flussüberquerung in Gewandung und mit Ruderbooten.

Seine Rolle übernahm Godzieba erstmals 2009, und das für einen ganz bestimmten Hotspot der US-amerikanischen Geschichte: den historischen Park Washington Crossing. Der Delaware trennt als Grenzfluss Pennsylvania von New Jersey. An exakt dieser Stelle musste der General am 26. Dezember 1776 übersetzen, um in der nahe gelegenen Siedlung Trenton, NJ, die unter britischem Kommando stehenden Hessen anzugreifen. Es war ein kritischer Moment für die Kontinentaltruppen, die sich nach Rückschlägen moralisch auf dem Tiefpunkt befanden. Dass die Flussüberquerung zu einem erfolgreichen Gefecht gegen die gefürchteten Hessen und damit einen wichtigen Etappensieg im Unabhängigkeitskampf führte, haben die Amerikaner ihrem General bis heute nicht vergessen – und gedenken daran unter anderem mit Filmen wie diesem von 2000.

Ein jährliches Reenactment während der Weihnachtsfeiertage erinnert in Washington Crossing an diesen Tag. Rund 200 Reenactors stellen sich jedes Mal einer anfeuernden Rede ihres „George Washington“, um anschließend in originalgetreuen Nachbauten von Durham-Booten und eben diesem kleinen Schiffchen mit dem verträumten Namen „Moon“ über den Delaware zu fahren. Beobachtet werden sie dann von tausenden Zuschauern.

Reenactment: Washingtons Truppen setzen über den Delaware. © Washington Crossing Historic Park

The Star-Ledger: Zeitung zeigt „George“

Die winterlichen Fotos auf dieser Seite stammen von den Übungen am 8. Dezember. Geschickt hat sie mir der „Washington Crossing Park“, der sich um die Erinnerungskultur im historischen Park samt Gedenkstätte und Museum kümmert und gemeinsam mit einem Freundeskreis auch das Reenactment ausrichtet. Der Freundeskreis setzte auch die Jury ein, die 2012 einen neuen Washington-Darsteller berief.

Ein wenig lässt sich das mit den großen europäischen Napoleonik-Events bei Waterloo, Jena oder Leipzig vergleichen. Der US-Amerikaner Mark Schneider trat in den vergangenen Jahren unter anderem als französischer Feldherr auf (Der Mann ist professioneller Historical Interpreter und mimt unter anderem den französischen General Lafayette im amerikanischen Living-History-Museum Colonial Williamsburg). In Leipzig war es zum 200. Jahrestag der Völkerschlacht der Pariser Anwalt Frank Samson.

Ich gestehe, ich bin neugierig, wie genau die Wahl eines „George Washington“ in den USA an solch einem geschichtsträchtigen Ort wohl vor sich geht. Wenn auch die Größe des Events mit gut 200 Akteuren vergleichsweise klein ausfällt, so hat das weihnachtliche Reenactment doch große Bedeutung für eine ganze Region rund um Crossing Park. Die Details sollen stimmen, der Darsteller zur Rolle passen. Das jetzt folgende Video „Being George“ erläutert genau, wie die letzte Wahl 2012 verlief.

Damals hatte Godzieba schon drei Jahre lang die Rolle gehabt und stellte sich erneut zur Wahl. Das Filmteam porträtiert ihn und drei seiner Mitbewerber in dem gut 38 Minuten langen Streifen. Es ist ein Film von Nyier Abdou und Adya Beasley, produziert von Bumper DeJesus, der die Bereiche Video und Multimedia bei der Regionalzeitung The Star-Ledger aus Newark, NJ, verantwortet. Und die präsentiert den Film auch und stellte ihn jüngst online, so dass ich ihn hier heute einbauen kann.

Spoileralarm: Über den Film

Wer sich erst den Film anschauen möchte und den durchaus spannenden Wettbewerb ohne Kenntnis vom Finale erleben mag, sollte sich den folgenden Abschnitt für später aufheben.

Noch da? Gut. Denn ich verrate jetzt, dass der alte auch der neue „George“ ist. Godzieba hat sich durchgesetzt. Einer seiner Wettbewerber bekam den Zuschlag als eine Art „George“-Ersatz. Denn nicht nur der 25. Dezember 2013 ist ein wichtiger Tag im Leben eines Washington-Darsteller. Das gesamte Jahr über gibt es Events und Vorträge.

Habitus, eine stimmige Ausrüstung – was auch um 3000 Dollar kosten kann, wie einer der Kandidaten berichtet – und das Einstudieren einer überlieferten Anfeuerungsrede des Generals an seine müden Soldaten: Wer Washington verkörpert, muss einige Bedingungen erfüllen. Männer, die mit beiden Beinen im Berufsleben stehen, bewerben sich um die Rolle. Und ein Rollenspiel ist die Angelegenheit auch. Die „Georges“ treten zumindest am Weihnachts-Reenactment als First-Person-Interpreter auf. Sie sind dann der General.

Antreten zur Probe: Am 8. Dezember 2012 übten die Akteure im dichten Schnee für das Event. © Washington Crossing Historic Park

Die Filmemacher von „The Star-Ledger“ verfolgen mit gebotenem Ernst die Vorbereitungen der vier Kandidaten. Keine Spur von Kritik am Event oder einer gewissen süffisanten Amüsiertheit über ein vermeintlich weltfremdes Hobby. Diese gelassene Herangehensweise von Berichterstattern hätte sich so mancher Akteur bei der jüngst von vielen Medien durchleuchteten Leipziger Völkerschlacht auch gewünscht. Als Verherrlichung von Gewalt und Tod wurde das Event häufig kritisiert. Nicht viel besser machten es solche Medien, die das Reenactment mangels tieferer Kenntnis als „Kriegsspiel“ deklarierten.

Ich finde eine offene Diskussionskultur, die auch Kritik zulässt und Fragen stellt, durchaus wichtig. Bei US-amerikanischen Veranstaltungen gewinne ich bislang den Eindruck, dass es eine solche Diskussionskultur nicht (mehr?) gibt. Der Film „Being George“ jedenfalls nimmt sich wenig Zeit für historische Hintergründe (kennt ja jedes Schulkind vor Ort) oder die Frage, ob ein Ereignis, das den Tod von Menschen bedeutete, volksfestartig gefeiert werden sollte. Diese Grundsatzfragen stellen die Filmemacher gar nicht erst.

Vier für eine Rolle

Dafür nimmt der Streifen seine Helden ernst, und das sagt auch schon viel aus. Die Filmcrew nimmt das Reenactment als selbstverständlich an. Und so taucht auch der Zuschauer ganz sanft hinein in das Leben der Kandidaten, die durchweg erfahrene Reenactors sind und in diversen Gruppen eingebunden sind.

Wir erfahren, dass Patrick Jordan aus Philadelphia schon mit zwölf Jahren in der Geschichtsszene mitmischte. Heute ist er Captain in einer Living-History-Gruppe, die ebenfalls eine militärische Einheit zur Zeit des Unabhängigkeitskriegs darstellt. Kandidat Ron Rinaldi war schon einmal 2007 und 2008 als „George“ im Amt und ist damit Godziebas Vorgänger.

Frank Lyons, Reenactor und Jurymitglied, betont im Film die Wichtigkeit der historischen Flussüberquerung. „Das ist so ein brillanter Moment.“ An diesem Ort als George Washington aufzutreten sei ein Highlight für jeden Reenactor. Wer die Rolle hat, wird zur regionalen Berühmtheit; Menschen wollen ihm die Hand schütteln und wünschen alles Gute. Als würde „George“ tatsächlich gleich zu den Hessen ins Gefecht eilen.

Der jährliche Höhepunkt in Washington Crossing ist also die Nachinszenierung der Flussüberquerung. Der historische General musste mit seinen Booten an Eisschollen vorbei. Wenn heutzutage frühes Eis den Delaware unbefahrbar macht, nutzt „George“ mit seinen Getreuen auch schon mal die benachbarte Brücke. Aber das soll nur ganz selten passiert sein.

Die Wahl fand übrigens im Oktober 2012 statt. Zuvor hatten sich die Kandidaten der Jury präsentieren müssen. „Ich habe wie ein Olympia-Athlet für diesen Tag trainiert. Wirklich“, sagt einer der Wettbewerber.

Wie gesagt, es war Godzieba, der damals für drei weitere Jahre gewählt wurde. Was folgte, war eine kleine Schlammschlacht. Es gab Kritiker, die die Wahl als Farce bezeichneten und die Presse einschalteten (siehe auch Kasten in der Sidebar). In Europa kaum vorstellbar.

Nehmen wir wieder die Napoleonik-Events: Je nach Vorlieben der regionalen Organisatoren und Größe der Veranstaltungen wird dort der jeweils als besonders passend anmutende Bewerber genommen, der dann den Franzosengeneral mimen darf. Ob ein Mark Schneider oder ein Frank Samson in „Napoleon“ sein durfte, interessierte da nur die Szene – und ganz selten auch die Presse. (Ich fand dazu nur diesen nicht ausrecherchierten BILD-Artikel).

Der Wirbel um die „George“-Wahl in den USA zeigt aber auch, wie tief das Reenactment dort in der Gesellschaft verankert ist. Von solch einer Anerkennung ist die Szene hierzulande weit entfernt. Man muss das nicht bedauern, auch wenn es oft zu Verständnisproblemen zwischen Geschichtsdarstellern auf der einen und Publikum, Medien oder Museen auf der anderen Seite führt. Aber man darf das auch mal zur Kenntnis nehmen. Es muss ja nicht so bleiben.

Zum Abschluss ein kurzer Film von Bob Krist; so sieht das Reenactment dann aus:

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