Otto-Ausstellung Tausend Jahre Kaisertum

Portraitkopf aus dem 1. Jh. n. Chr.: Oktavian erhielt den Titel „Imperator“ sowie den Beinamen „Augustus“. © Römisch-Germanisches Museum Köln.

Museen lieben solche Zahlen: 1100. Geburtstag und 1050. Jahrestag der Kaiserkrönung Otto des Großen. Magdeburg rüstet zur Landesausstellung. Ein Buch gibt vorab Einblicke in ein kaiserliches Jahrtausend.

Editha bleibt im Schatten

Eine der großen archäologischen Sensationsmeldungen der letzten Jahre war das Auffinden des Grabes von Editha (gestorben 946; Königin und erste Frau von Otto I.) in Magdeburg. Auch chronico berichtete darüber. Der Nachrichtenwert nahm noch zu, weil es im Zusammenhang mit der Bergung im Magdeburger Dom Verstimmungen mit dem Archäologischen Landesamt in Halle gab. In Magdeburg sprach man von „einer geraubten Identität“, nur weil die Untersuchungen im Labor in Halle durchgeführt wurden. Die Lokalpresse heizte den Konflikt an (siehe entsprechende Artikel in der Magdeburger Volksstimme); überregionale Zeitungen belächelten den Streit.

Inzwischen ist Editha nach Abschluss der Untersuchungen, die tatsächlich die Identität der Überreste der Königin bestätigten, in ihr Grab im Magdeburger Dom zurückgekehrt. Begraben, vergessen!, könnte fast gedacht werden. Denn nun, wo sich die ottonisch geprägte Landesausstellung von Sachsen-Anhalt im Kulturhistorischen Museum Magdeburg ankündigt – sie läuft vom 27. August bis zum 9. Dezember 2012 –, ist nur wenig von Editha zu hören. Und das obwohl mit Matthias Puhle dem Museum ein scharfer Kritiker des Landesamtes in Halle vorsteht. Nein, Magdeburg versteht sich heuer wohl mehr als Stadt Ottos und nicht mehr als Editha-Stadt: die Kommune will im nächsten Jahr den 1050. Jahrestag der Kaiserkrönung und den 1100. Geburtstag Ottos des Großen mit der Ausstellung „Otto der Große und das Römische Reich“ begehen.

Von der Antike bis ins Mittelalter

Cover zum Tagungsband rund ums Kaisertum. © Schnell und Steiner

Als Ouvertüre zu dieser Ausstellung liegt seit November dieses Jahres der wissenschaftliche Begleitband „Kaisertum im ersten Jahrtausend“ vor. Ausgewiesene Otto-Kenner wie Bernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter fungieren als Herausgeber und Mitautoren dieses Aufsatzbandes. Immerhin lautet der Subtitel zur großen Magdeburger Ausstellung „Kaisertum von der Antike bis zum Mittelalter“. Das Buch nimmt den dort behandelten Inhalt gewissermaßen vorweg.

18 Aufsätze beleuchten die Entwicklung des Kaisertums von den Anfängen bis zur Wiederbelebung unter Karl dem Großen und Otto dem Großen im Mittelalter. Zwar nicht als Gesamtdarstellung, aber als Chor mit mehreren Stimmen kann der Band doch auf 387 Seiten beanspruchen, vielen Fragestellungen in Bezug auf Kaisertum und Mittelalter gerecht zu werden. Ein Anhang mit elf farbigen Abbildungen und Karten, sowie ein Register für das rasche Nachschlagen runden das Buch ab. Das Entstehen des Buches verdanken wir einer Tagung, die zur Vorbereitung auf die Ausstellung vom 6. bis zum 8. Mai 2010 in Magdeburg abgehalten wurde.

Caesar, princeps, Kaiser

Der 1050. Jahrestag der Kaiserkrönung von Otto I. ist also ein Anlass, sich über Geschichte und Entwicklung des Kaisertums vielfältige Gedanken zu machen. Frank Bernstein von der Universität Frankfurt stellt zu Beginn klar, dass „Kaiser Augustus“ zwar der Gründervater des Kaisertums war, aber „… Augustus war ‘nur’ ein princeps, ein ‘Kaiser’ war er nicht.”

Erst durch die Nachfolge entwickelte sich die von Augustus begonnene Herrschaftsform und erhielt durch den von ihm weitergeführten Beinamen „Caesar“ seine heute noch gebräuchliche Bezeichnung. Dies war mitnichten eine neue Monarchieform, sondern Senat und Volk von Rom existierten nach wie vor weiter. Die Republik war zunächst nicht abgeschafft. Aber alle Fäden liefen seit Augustus bei einem Mann zusammen, der dank seiner Legionen der eigentliche Regent war. Diese Mischung aus Stadtrepublik und Militärdiktatur – ein in diesen Dimensionen später kaum noch vorstellbares Reich beherrschend – war über Jahrhunderte auffallend stabil.

Karolingisches Evangeliar aus Gandersheim © Kunstsammlungen der Veste Coburg

Wie äußerte sich diese neue und stabile Herrschaftsform baulich und repräsentativ? Das führt Rolf-Michael Schneider von der Universität München weiter aus. Martin Dreher von der Universität Magdeburg führt Bernsteins Artikel mit ständigen Verweisungen auf Theodor Mommsen fort, was nicht verwundert, da er drei Jahre lang Vorsitzender der Mommsen-Gesellschaft war. Wer einen schnellen Zugriff auf Kaiserdefinition und Kaiserbegriff sucht, bitte schön: Martin Dreher macht es mit einer übersichtlichen Darstellung möglich. Fast so schön wie im Schulbuch! Er erklärt sehr klar die unterschiedlichen Bezeichnungen „Princeps“, „Caesar“, „Augustus“ und „Imperator“. Eine Kaiserin gab es im römischen Reich nicht, im Lateinischen ist keine weibliche Form von Caesar gebildet worden.

Cosima Möller von der Freien Universität Berlin erläutert uns das Kaiserrecht, während Josef Wiesehöfer von der Universität Kiel einen Ausflug in das Weltreich der Perser unternimmt. Den Übergang zum Mittelalter gewährleistet Hartmut Leppin von der Universität Frankfurt mit der Frage: „Kann ein Christ denn Kaiser sein?“ Es entwickelte sich neben dem alten Staatsapparat ein weiterer, der bis in unsere Tage auffallend antike und römische Strukturen aufweist, nämlich die christliche(n) Kirche(n). In dem Moment, als das Kaisertum ab Konstantin I. christlich wurde, hatte es sich mit Moral, Lehre und Politik der christlichen Kirche auseinanderzusetzen. Der Kaiser war in diesem Spannungsverhältnis trotz mehrerer Lösungsmöglichkeiten selten erfolgreich.

Das griechische Element

Nach einem interessanten Ausflug zum chinesischen Kaisertum durch Hans van Ess von der Universität München gelangen wir nach Byzanz und damit in die Spätantike, die Völkerwanderungszeit und ins frühe Mittelalter. Michael Grünbart von der Universität Münster stellt sich dem byzantinischen Lösungsansatz, in dem das römische Kaisertum eine Möglichkeit fand, für viele weitere Jahrhunderte in christlicher Gestalt zu überleben. Womit es eine unerreichte Stabilität aufwies.

Am 11. Mai 330 weihte Konstantin I. seine Stadt Konstantinopel ein. Aber lange Zeit war die Stadt nur die Nachahmung von Rom, erst ab 410 überflügelt Konstantins Stadt das alte Zentrum. Justinian machte laut Grünbart „das byzantinische Kaisertum zu dem Kaisertum“. Ab 629 verschwanden sogar die alten lateinischen Bezeichnungen; der Titel „Basileus“ ersetzte den „Imperator“. Die Außensicht irrt nicht völlig, wenn aus dem römischen Kaiser inzwischen ein griechischer Kaiser geworden ist.

Mit Stephan Freund, inzwischen an der Universität Magdeburg lehrend, kehren wir in den Westen zurück. Hier ist ab 476 nichts mehr von einem Kaiser zu hören. Die Völkerwanderungszeit hatte den Westen Europas bis hin nach Nordafrika völlig neu geordnet. Das hier erst ab 800 (Kaiserkrönung des Karolingers Karl) entstehende westliche oder mittelalterliche Kaisertum stellt laut Freund „keinen Gegensatz zum Königtum“ dar. Und fortan kam niemand mehr am Papst vorbei, der Kaiser werden wollte.

Erzengel Michael in spätantiker Feldherrentracht auf einem Elfenbeinrelief um 800. Es entstand am Hofe Karls des Großen. © Grassi Museum für angewandte Kunst Leipzig

Ganz anders stellt dies Matthias Becher, Universität Bonn, dar: Die Karolinger bestimmten den Kaiser und der Papst war im neuen römisch-fränkischen Kaisertum nur ein Instrument Karls des Großen. Ernst-Dieter Hehl, Universität Mainz, widmet sich dem Zweikaiserproblem in einem mittelalterlichen Europa. Er stellt dar, dass das östliche Kaisertum, das weiterhin dem universalen römischen Kaisertum anhing, mehr Probleme mit einem neu entstandenen westlichen Kaisertum hatte als es umgekehrt der Fall war. Obwohl es ohne weiteres in der Macht einiger westlicher Kaiser gelegen hätte, das griechische Kaisertum als Konkurrenz zu beseitigen, um einen „wahren“ römischen Kaiser wiederherzustellen, taten sie es nicht. Beide Kaiser waren „wahr“. Probleme gab es nur, wenn sich die Interessen überschnitten.

Der Exkurs von Wolfram Drews, Universität Münster, über den Rückgriff des Islam auf imperiales und universales Denken wirkt improvisiert und fragmentarisch, ist dennoch interessant. Zumal er im Band der einzige Autor ist, der die Imperatoren-Idee im westgotischen Spanien sowie in León und Kastilien zur Sprache brachte. Allerdings erklärt er die Ausrufung von Imperatoren im Doppelkönigreich als Reflex auf die Ausrufung des Kalifats in Córdoba. Was erst im Vergleich mit dem Artikel von Ernst-Dieter Hehl auffällt: Die Imperatoren von León-Kastilien waren dem Kaisertum Karls näher als dem des Basileus’ von Byzanz. Sie beherrschten mehrere regional gelegene Königreiche im Gebiet des alten römischen Reiches, verstanden sich als Beschützer der Kirche und hatten keinen universalen, sondern einen regionalen Anspruch. War es also doch der Papst, der letztendlich einen römisch-mittelalterlichen Kaiser ausmachte?

Klaus Gereon Beuckers, Universität Kiel, widmet sich dem „imperialen Bauen“. Die Kathedrale von Saint-Denis, Alt-St. Peter in Rom, die Pfalzanlage in Aachen stehen z. B. im Fokus des Artikels. Ein längerer Teil am Schluss widmet sich Magdeburg und dem, was Forscher heute von imperialer Bautätigkeit dort noch rekonstruieren können.

Die Rolle der Kalifen

Mit der Durchsicht des Bandes komme ich langsam zum Schluss: Ralph-Johannes Lilie, Berlin, beschreibt die herrschaftliche Repräsentation in Byzanz. Jenny Rahel Oesterle, Universität Bochum, eröffnet neue Perspektiven auf das ottonische Kaisertum, in dem sie Vergleiche zum mächtigen ägyptischen Fatimiden-Kalifat (schiitische Ausrichtung des Islam) bemüht. Viel kommt dabei nicht heraus, da Oesterle die Ottonen und Byzanz sowie die Fatimiden zu einer Troika zusammenholt Sie vergisst dabei aber die vierte Geige im islamisch-hispanischen Córdoba, deren Kontakte zu den Ottonen intensiver waren und die ihre Razzien nicht nach Süditalien, sondern nach Südfrankreich, Burgund und an den Genfer See ausgedehnt hatten und damit das Reich selbst bedrohten. War das Kalifat von Córdoba, mit dem Otto sogar Gesandte austauschte, diesem nicht viel näher?

Und nach der Logik von Wolfram Drews könnte sogar Otto selbst erst im Reflex auf den mächtigen Kalifen Abd ar-Rahman III. von Córdoba nach dem Kaisertum gegriffen haben. Was nicht zu belegen ist, genauso wenig wie die Deutung in Bezug auf die Imperatoren von León, und damit zeigt sich, wie unvorsichtig mitunter in der Wissenschaft mit Deutungen umgesprungen wird.

Damit sind wir mitten im Kaisertum von Otto I. Rudolf Schieffer, Universität München, befasst sich mit der zweiten Neugründung des westlichen römischen Kaisertums durch die Ottonen Es war ein an Rom und den Papst gebundenes Kaisertum, das immerhin bis 1806 Bestand hatte. Und da wir gerade vom Papst reden: Stefan Weinfurter, Universität Heidelberg, führt im Schlussartikel alle Denkansätze zusammen und fragt sich: „Welche Ordnung ist die bessere?“ Ich hoffe, dies ist so zu verstehen, dass er imperiale Ordnungsprinzipien nur historisch relevant in Betracht zieht. Immerhin notiert Weinfurter noch in diesem Zusammenhang: „… ich denke, es ist keineswegs ein Thema, das in unserer Zeit keine Rolle mehr spielt.“ Ein skeptisches Augenbrauenheben sei bei dieser unpassend klingenden Schlussbemerkung schon zugestanden. Solche Sätze können missverstanden werden!

Wo bleibt der Alltagsbezug?

Sieht man einmal davon ab, dass die Sicht auf das Kaisertum im ersten Jahrtausend, fast eine rein männliche ist (von 18 Beiträgen stammen nur zwei von Frauen), auch Königin Editha taucht nur ganz kurz einmal auf – so fehlt mir doch grundlegend die Bedeutung des Kaisertums für den einfachen Menschen, für den Handel und für die Kunst. Imperiales Bauen kann hier nicht alles gewesen sein. Führen wir die Menschheitsgeschichte wieder auf reine Ereignisgeschichte von oben zurück? Das ist eine Sichtweise, die mir neben den kryptischen Bemerkungen von Stefan Weinfurter in diesem Band sehr missfällt.

Aus Sicht des Geschichtsdarstellers hat der Band also nur sekundäre Bedeutung. Es ist sehr interessant, einmal eine ausführliche Darstellung über das Kaisertum von den Anfängen bis zu Kaiser Otto I. zu bekommen. Um wirkliche Relevanz zu entwickeln, besteht der Band aus zu vielen Fragmenten, was sich bei einem Tagungsband aber kaum vermeiden lässt. Schlimm ist dennoch, dass der Alltagsbezug völlig fehlt.

Was die Ausstellung betrifft: Diese wird historisch Interessierte wieder in Scharen nach Magdeburg locken; der Geschichtsdarsteller wird sich den Besuch indes gut überlegen. Immerhin gibt es eine attraktive Alternative: Noch bis zum 5. Februar 2012 ist eine Schau über König Konrad I. in Fulda zu sehen. Dort geht es um das frühe 10. Jahrhundert und die Epoche zwischen Karolingern und Ottonen. Reenactors, die an Alltagsleben interessiert sind, werden dort fündig, denn Leben und Sachkultur um 900 wird in Fulda Platz eingeräumt.

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1 Kommentare

  1. Du hast vollkommen Recht, für Reenacter oder die “Sicht von unten” auf das Kaisertum ist das Buch sicherlich nicht geeignet. Es ist wohl eher in die Sorte “klassische Historikerliteratur auch für Laien” einzuordnen , was letztendlich dazu führt, das komplexe Themen, siehe Oesterle, stark verkürzt oder nur angeschnitten werden ohne sie voll auszunutzen. Ich muss ehrlich sagen das ich mir mehr von dem Buch erhofft hatte. Es bleibt abzuwarten was der Katalog bringt, wobei durch die letzten Magdeburger Kataloge bereits das Meiste abgedeckt sein dürfte und daher bei mir gewisse Sättigungserscheinungen eintreten.
    Zu Konrad I: Word!

    12. Juni 2012, 20:06 Uhr • Melden?

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