Paxistipp Marketing fürs Mittelalter?

Was wäre ein mittelalterlicher Markt ohne zünftige Marktbuden und Handwerkerstände? Ein Stück Atmosphäre würde fehlen. Dabei wird viel geredet über Qualität und Authentizität der Waren. Das ist die eine Seite der Medaille. Oft wird hingegen etwas ganz anderes völlig außer Acht gelassen: Ob Liebhaberei oder Haupterwerbsquelle - jeder Händler oder Handwerker (oft sind sie es in einer Person) müssen ihre Waren an den Mann oder Frau bringen. Oder noch deutlicher: Ein durchdachtes Marketingkonzept ist für jeden wichtige Voraussetzung. Eine Theorie im Praxistest.

Im Fokus: Ein Handwerker in Herzberg

In meinem Studium gehört die Theorie des Marketing zum Basiswerkzeug. Es erschien mir nur konsequent, diese Theorien und die Wirklichkeit auf Mittelaltermärkten – meinem Hobby! – einmal miteinander abzugleichen. Dies war die Idee, die am Anfang dieser Ausarbeitung stand. Schließlich müssen auch Veranstalter und Händler auf den Märkten ein Konzept zur Kundengewinnung und -bindung entwickeln. Während der Ritterspiele auf Burg Herzberg nahm ich eine Lederei unter die Lupe.
Bei der Ausarbeitung einer Strategie geht es aber zunächst rein theoretisch zu. So geschehen auch während einer Studienarbeit, in der ich ein Marketingkonzept entwickelte, das in der Praxis beispielsweise für Schneider mittelalterlicher Gewandungen passen könnte. Da es sich dabei aber immer noch um ein theoretisches Konzept handelt, fand ich in Andreas Wahl einen geeigneten Kandidaten zum Abgleich. Wahl ist Inhaber der Theater und Kostümschneiderei “The fool” in Eckersweiler und immer mit seinem Leder- und Kleiderangebot auf Märkten unterwegs. Ihm habe ich mein Konzept vorgestellt und mit seinen praktischen Erfahrungen verglichen.

Das Angebot des Lederers

Andreas Wahl bietet ein breites Spektrum von Produkten an, darunter zum Beispiel historische Gewandungen, Schuhe und allerlei andere Lederwaren. Um auch in diesem relativ kleinen aber nicht minder komplexen Marktsegment als gewinnorientierter Händler und Produzent bestehen zu können, ist ein Konzept notwendig. Immerhin bestreitet Wahl mit diesen Einkünften einen Großteil seines Unterhalts. Bei dem Handeln und Offerieren von Produkten ist man den Gegebenheiten des Marktes und seinen Gesetzen unterworfen. Auch auf Mittelaltermärkten.

Doch zuerst kommt die Theorie

Dabei ist es notwendig sich seine möglichen Ziele genau vor Augen zu führen. Die Ziele eines Händlers können unter anderem eine Steigerung des Bekanntheitsgrades sein, die Etablierung des Unternehmens und seiner Produkten auf dem Markt oder die Erhöhung Nachfrage nach den eigenen Produkten. Und natürlich bietet jeder Markt die Möglichkeit, neue Kunden zu gewinnen und sie an sich zu binden. Daraus resultierende untergeordnete Ziele können auch Verkaufsförderungsziele sein: Etwa das Auslösen von Spontankäufen auf den Märkten oder die Schaffung neuer Absatzkanäle. Ebenfalls kann die Ausweitung der Produktpalette wichtig sein – etwa auf Anregung von Kunden oder Konkurrenten. Um diese Ziele zu erreichen, stehen dem Händler so genannnte Marketing-Instrumente zur Verfügung.

Welche Instrumente hat der Händler nun?

Es gibt die so genannten “angebotspolitischen Instrumente”. Mit Hilfe dieses Instruments werden die Produkte festgelegt, die dem Kunden angeboten werden sollen und zu welchem Preis mit welchen Konditionen. Der Preis kann aufgrund verschiedener betriebswirtschaftlicher Kennzahlen erfolgen und kalkuliert werden. Natürlich richtet sich der Preis in erster Linie nach den Herstellungs- und Materialkosten. Alle weiteren Kalkulationsarten bleiben hier ungenannt, da jeder Hersteller durch verschiedene Absatzmöglichkeiten seine Preise variieren kann.
Des weiteren gibt es die “distributionspolitischen Instrumente”. Diese dienen dazu, die Kunden also die Zielgruppen tatsächlich zu erreichen. Es müssen Wege gefunden werden, die Produkte und Leistungen für den Kunden verfügbar zu machen. Neben dem direkten und indirekten Absatzweg, kann ein Händler auch noch mit anderen Händlern Kooperationen eingehen, die durch das Anbieten der “fremden” Ware ihre Produktpalette sinnvoll erweitern können. Somit ist es möglich, eine größere Zielgruppe zu erreichen und die eigenen Produkte auf mehreren Märkten anbieten zu können. Ein weiteres Mittel, die Produkte zu vertreiben, ist das Internet. Tatsächlich haben viele Händler mehr oder weniger Nutzer-freundliche Onlineshops eingerichtet.

Verkaufen – aber wie?

Als weiteres muss im Voraus die Logistik der Waren festgelegt werden. Um die Ware auszuliefern, muss exakt entschieden werden, wie das erfolgen soll. Nur weil es sich bei Beschickern von Mittelaltermärkten zumeist um kleine Unternehmen handelt, ist die Logistik der Waren nicht zu vernachlässigen.
Bestellte Waren werden nach Eingang des Geldes per Post oder per Lieferdienste versandt. Wobei auch hier durch Unterscheidung von Stammkunden und Neukunden eine Variation der Konditionen erfolgen kann.
Schließlich sind die “kommunikationspolitischen Instrumente” zu nennen. Mit ihnen kann ein Händler festlegen, wie er zum Beispiel seinen Bekanntheitsgrad steigern kann. Möglich ist hier die Mund-zu-Mund-Propaganda oder auch Anzeigenschaltung in historisch orientierten Printprodukten und Internetseiten. Ein wichtiges Kommunikationsmittel ist für Händler auf Märkten der direkte Dialog mit dem Kunden.

Vergleich zwischen Theorie und Praxis

Dies soll als Exkurs in die Marketingwissenschaft genügen. Beim Vergleich dieser theoretischen Strategie und der bereits durch Erfahrung bewährten praktischen Strategie von Andreas Wahl konnte ich feststellen, dass in seinem Fall die Theorie und die Praxis zum größten Teil übereinstimmen.
Er kalkuliert seine Preise nach guter kaufmännischer Art, um auf dem Markt ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis zu erreichen. Ebenfalls bemüht er sich seine Preise auch mit den Preisen von Wettbewerbern abzustimmen. Gegen diese versucht er sich durch die oben bereits genannten Instrumente abzusetzen und die Kunden für seine Produkte und seine Qualität zu überzeugen. Gerade im Bereich der Gewandungen und deren Herstellung, musste Wahl feststellen, herrscht ein hoher Verdrängungswettbewerb. Viele Wettbewerber kopieren das Design bekannter Produkte und lassen diese in Billig-Lohn-Ländern herstellen. Handwerker wie Wahl sind damit gezwungen, ihre qualitativ hochwertigen Produkte mit dem intensiven Einsatz von Kommunikations-Instrumenten und vor allem kostengünstig anzubieten.

Wie Andreas Wahl vorgeht

Wahl und seine Mitarbeiter haben ein immer vorhandenes Basic-Programm an Gewandung, Lederwaren und Accessoires im Angebot, welches sie je nach Art des Marktes am und im Stand präsentieren. Laut Wahl werden auf historischen Märkten, die einen hohen Anspruch haben, die Schuhe und andere Lederwaren in den Vordergrund gestellt, wobei die Stoffwaren und Blusen eher im hinteren Bereich des Standes aufgebaut werden. Damit will er erreichen, dass das “normale” Publikum oder auch gewandeten Besucher des Marktes auf die von Wahl drapierten Produkte aufmerksam gemacht werden. Ebenfalls sollen Käufer angesprochen werden, die primär unter Qualitätsgesichtspunkten ihre Kaufentscheidung treffen.
Seine Produkte und Dienstleistung bietet Wahl auch über seine Homepage an. Mit seinen Kunden hält er auch hier den Kontakt. Dadurch ist es ihm möglich auch spezielle Kundenwünsche, wie zum Beispiel maßgeschneiderte Schuhe anzunehmen. Die Logistik erfolgt über das normale Versenden mit der Post und erfolgt ebenfalls nach Eingang des Geldes. Aber auch er bietet für Stamm- und Großkunden die Möglichkeit an, auf Rechnung zu zahlen. Daneben vertreibt Wahl seine Waren über Kooperationen. Und er nutzt die Möglichkeit, sein Angebot über mehrere Stände zu vertreiben, die er auf verschiedenen Märkten platziert.

Fazit

An diesem Punkt musste ich feststellen, wie nah in diesem Fall die Theorie mit der Praxis Hand in Hand gehen. Jahrelange Erfahrungen und der hohe Bekanntheitsgrad des Unternehmens von Andreas Wahl geben meiner Grundidee und damit der Theorie recht. Auch Mittelalter-Händler benötigen zum dauerhaften Erfolg eine handfeste Marketingstrategie.

Artikel aus der Rubrik „Geschichtsszene“

  • Schlacht bei Waterloo

    Waterloo – die sprichwörtliche Niederlage, trotz guter Planungen. Die hatte Napoleon 1815 erlitten. Auch die Planer des Reenactments 2010 waren davor nicht ganz gefeit. Ein Augenzeugenbericht von Holger Rinke.

  • Qualität mit Zertifikat - im Geschichtstheater

    In die Diskussion: "Gütesiegel für historische Darsteller – ja oder nein?" kommt neuer Schub. Freiburger Forscher bereiten genau das vor. Professor Wolfgang Hochbruck, einer der Projektleiter, stellt den Plan vor.

  • Skandal auf kaiserzeitlichem Jahrmarkt

    Ein Blick in die Neuzeit, genauer in die wilhelminische Ära um 1900: Kommern entwickelt sich zum Treffpunkt für Fans kaiserzeitlicher Kleider und Uniformen. Die waren bei einem zünftigen Jahrmarkt zu bewundern.

  • Kurzurlaub unter Wikingern

    Man kann die Wikinger der „Schlechten Saat“ nicht lang allein lassen. Nicht, dass sie ihr Dorf in Niedersachsen nicht in Schuss halten würden. Im Gegenteil: Es passiert ständig etwas. chronico kehrt zur Siedlung zurück.

Ihr Kommentar zum Artikel „Marketing fürs Mittelalter?“


Sie sind angemeldet als

abmelden