Waterloo Inszenierung eines Untergangs

Die Website zum Reenactment bei Waterloo, rechts, und der Telegraph-Artikel, links. © Screenshot / chronico

Wenn Jahrestage sich runden, bekommt das erinnerte Ereignis einen besonderen Touch. Was auch für Waterloo zutrifft. Inklusive der Einordnung als Großereignis, Besuchermagnet und Zielscheibe für Medienschelte.

Erwartungen

Tausende Menschen in Uniformen und Zivilkleidung aus dem frühen 19. Jahrhundert. Artillerie, Pferde, Infanteristen und Frauen. Kompanien, die sich in belgischen Flecken in Biwaks sammeln, in Zelten schlafen und tonnenweise Stroh für ihr Nachtlager ausbreiten. Frontbildung, Märsche, Diskussionen von Feldherren und jede Menge Kriegsmusik. Und dann – eine riesige Schlacht. Das sind auf der einen Seite die regelmäßigen Zutaten für eines der größten Reenactments Europas: der Inszenierung der Schlacht von Waterloo im Juni 1815.

Auf der anderen Seite: Riesige Erwartungen und Anspannung bei den Darstellern. Riesige Mühen, um Akteure aus zig Ländern und jahrelang erprobte und selbstbewusste Gruppen in einer Choreografie unter einen Hut zu bringen; für medizinischen, logistischen und kulinarischen Nachschub zu sorgen. Akteure, die Teil einer Inszenierung sein wollen, die ihnen besondere Erfahrungen bringen soll. Und eine besondere Nähe zur Geschichte.

Schließlich sind da noch die Erwartungen des Publikums, das ebenfalls weite Anreisen auf sich nimmt, für Übernachtungen, Anfahrt und Zutritt zum Gelände rund um den Löwenberg (der einige Jahre nach der denkwürdigen Schlacht als Denkmal aufgeschüttet wurde) tief in das Geldsäckel greift. Vom Freitag, 18. Juni 2010, bis zum Sonntag, 20. Juni, kam da für den Besucher schon eine erkleckliche Summe zusammen. Allein am Freitag kostete ein Ticket zum Besuch der Gedenkstätten und des spektakulären Feuerwerks für Vollzahler 35 Euro.

Der große Aufmarsch

Das Reenactment von Waterloo findet schon seit Jahren einen großen Zulauf. Die Geschichte um Napoleons letzte große Schlacht, in der Frankreich mit seinen Verbündeten den alliierten Truppen unterlag, fasziniert seit jeher die Menschen. Besucher wie Akteure. Jedes Jahr ziehen mehr als 1000 Darsteller historische Uniformen an. In diesem Jahr aber, zum 195. Jahrestag der Schlacht, legten es die Organisatoren vom „ASBL Bataille de Waterloo 1815“ besonders auf Größe und Masse an. Gut 3500 Reenactors folgten der Einladung zu den Originalschauplätzen am Löwenberg, dem Anwesen Hougoumont oder Plancenoit.

Wer immer einen guten Platz auf den Zuschauerrängen ergatterte – der Anblick war grandios. In einschlägigen Foren der teilnehmenden Darsteller überschlugen sich später die Akteure mit lebendigen Berichten. Nicht immer aber ist Masse auch gleich Qualität oder gar eine Garantie dafür, dass nun wirklich jeder auf seine Kosten kommt. Größe allein ist jedenfalls kein Qualitätsmerkmal. Das ist eine Lektion, die auch bei den Organisatoren im belgischen Waterloo noch ankommen muss. Wie jemand die Geschehnisse erleben kann, der mittendrin steckte, hat Holger Rinke (alias „Zeitreiser“) aufgeschrieben. Seinen Bericht – zugespitzt auf die organisatorischen Rahmenbedingungen – gibt es in diesem Dossier.

Medienkritik trifft daneben

Das Medienecho auf derartige Großevents ist überwältigend laut. Ob Römer oder eben Napoleoniker – die Massenaufläufe in historischen Kleidern und mit all der prächtigen Entfaltung militärischer Aktionen ziehen Leser und TV-Zuschauer magisch an. Der Medienhype reichte bis in den fernen Osten nach China.

Dass der britische Telegraph das Thema aufgriff, ist wohl kaum überraschend. Immerhin stellten englische Truppen unter dem Herzog von Wellington einen Großteil der alliierten Kräfte. Allerdings hatte so mancher Darsteller seine Probleme mit dem Telegraph-Report des Journalisten Jasper Gerard. Der tönte nicht einfach den Song vieler Medien nach, die in dem Event einfach ein buntes und prächtiges Spektakel sahen, das mit schönen Bildern und Szenen von fröhlicher Fremdartigkeit aufwartete. Diese Unreflektiertheit verzerrt eine korrekte Darstellung der Living-History-Szene tatsächlich. Allerdings packte Gerard das Thema von einem anderen Extrem aus an.

Gerard setzte die Szenerie mit tausenden Reenactors in Waterloo einem Comedy-Studio gleich, verglich sie mit „Theatertruppen“ und machte sich über die Darstellerriege lustig, die historische Feldherren wie Napoleon oder eben Wellington mimten. Dem Reporter missfiel das gigantische Spiel mit einem brutalen und blutigen Ereignis, wie es die Schlacht bei Waterloo im Juni 1815 nun einmal war. Er wunderte sich darüber, dass jeder Akteur so erpicht darauf war, diese Schlacht noch einmal zu schlagen – „It might seem a mystery why anyone would wish to refight a battle“, schrieb er. Um kurz darauf auch der Touristikbranche Belgiens eines auszuwischen. Belgien, sagte Gerard, sei alles andere als ein touristischer Hotspot. Aber jedes Jahr, und besonders in 2010, rolle eine „Invasion“ über das Land hinweg – Besucher, die nach Waterloo strömen.

Der Reporter setzte noch einen drauf und zitierte Akteure, die jenes Gemetzel von Waterloo als „romantische Schlacht“ bezeichneten, in der noch Mann gegen Mann – und ohne Panzer oder Raketen – aufeinander eingedroschen wurde. Ähnliche Kritik erntete voriges Jahr – zum 2000. Jahrestag der Varusschlacht – auch das Reenactment in Kalkriese. Auch damals sah so mancher darin eher eine ungerechtfertigte Jubelfeier eines schlimmen Ereignisses, denn ein ernsthaftes Gedenken.

Eine solche Sicht auf Reenactments ist ebenso falsch wie das völlig unkritische Jubilieren vieler Medien über eine schön lebendige Vergangenheitswelt, in der auch die um Originaltreue bemühte Living History unbekümmert mit fantasievollen Ritterspielen und Mittelaltermärkten gemischt wird.

Eine solche Sicht lässt die verschiedenen Gründe der Akteure außer acht, sich auf diese spezielle Weise einem historischen Ereignis zu nähern. Mag sein, dass Einzelnen im Eifer des Gefechts die Brust schwillt im Angesicht des „Feindes“. Das mag in Waterloo so sein, in Kalkriese oder auch im englischen Hastings. Und doch ist das nicht der wichtigste Grund. Ich meine, gerade Akteure, die tage- oder wochenlang in historischer Kleidung herumlaufen, mehr als rustikal leben, sich in die Materie hineinarbeiten – und am Ende ebenso ernsthaft bemühten „Gegnern“ gegenüberstehen – können sich auf ganz eigene Weise in die Dinge hineindenken. Ihnen eine Freude am Gemetzel zu unterstellen, verfehlt schlicht das Ziel.

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2 Kommentare

  1. Die Medienkritik trifft keineswegs daneben. Das Problem von weiten Teilen der R.-Szene ist, dass sie keinen Dialog zulässt.

    Geschichte lässt sich nicht über Uniformen und Schlachtszenen vermitteln, jedenfalls wird hier nichts erkennbar, was uns heute in irgendeiner Beziehung hilft. Im Gegenteil, dem Laien, und vor allem jungen Menschen wird eine Art Kriegsnostalgie vorgelebt, die tiefgründiges Reflektieren von Geschichte verhindert.

    27. Februar 2011, 15:02 Uhr • Melden?
    von Xylander
    1
  2. Eine Veranstaltung wie diese kann auch keine Geschichte vermitteln. Das ist aber auch gar nicht der Ansatz. Es ist völlig verfehlt die historische Darstellung auf derartige Großveranstaltungen zu reduzieren, die Gesamtheit besteht auch aus zivielen Darstellungen und Veranstaltungen bei denen die Inhalte im direkten Gespräch an die Besucher vermittelt werden.
    Was eine solche Veranstaltung allerdings sehr wohl kann ist ein Bild liefern, das sich beim Betrachter festsetzt und an das wiederum Wissen gekoppelt werden kann. Gerade solche Bilder oder auch Landmarken auf einer ansonsten recht leeren historischen Karte können Bücher kaum liefern. In der Didaktik wird dem Erlebnis als Werkzeug der Vermittlung mehr und mehr Aufmerksamkeit gewidmet und gerade da kann ein Battle-Reenactment und historische Darstellung großartiges leisten.

    29. März 2011, 10:03 Uhr • Melden?
    von Andrej Pfeiffer-Perkuhn
    2

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