Pfahlbaumuseum Freilichtmuseen machen Geschichte

Experimentelle Archäologie seit 1922: Pfahlbaumuseum Unteruhldingen. © Pfahlbaumuseum

Premiere in Unteruhldingen: 200 Darsteller aus acht Ländern zelebrieren das Geschichtsspektakel „H8“. Mit dem Multiperiod-Event wird auch die Zukunft von Freilichtmuseen ausgelotet.

Namhafte Akteure

Das Jahr 1922 markiert den Beginn eines bis heute andauernden Experiments. Wie haben stein- und bronzezeitliche Pfahlbauten am Bodensee einst ausgesehen? Dieser Frage geht seither der Verein für Pfahlbau und Heimatkunde nach. Das Freilichtmuseum wird damals wie heute von ihm betrieben – und gilt inzwischen als das größte nichtstaatliche Freilichtmuseum Deutschlands.

Was am Wochenende, 23. und 24. Mai 2009, passiert, ist wiederum ein Experiment für sich. „H8 – acht Länder präsentieren lebendige Geschichte“ schlägt einen Bogen durch 10.000 Jahre. Schwedische „Wikinger“ sind dabei, Experimentalarchäologen aus Italien, „Germanen“ aus den Niederlanden oder ungarische Darsteller frühmittelalterlicher Steppenreiter. Der Historiker Marcus Junkelmann schaut mit seiner römischen Gladiatorengruppe vorbei, auch die Keltengruppe „Carnyx“ ist dabei, und die Alamannendarsteller „Ulfinger“ zeigen spätantiken Alltag. Auch auf dem Wasser ist Action geplant: Der Hobbyhistoriker Dominique Görlitz testet auf dem Bodensee sein prähistorisches Schilfboot. Görlitz war 2007 bei seinem Versuch gescheitert, mit einem solchen Schiff den Atlantik zu überqueren. 2010 soll ein neuer Anlauf starten. Am Samstagmorgen trainiert Görlitz also auf dem Bodensee. Insgesamt vier Schauflächen mit Lagerleben, Schaukämpfen oder experimentellen Vorführungen sind vorgesehen.

„liveARCH“ rückt Museumsbild zurecht

Archäologische Freilichtmuseen haben es nicht leicht, sich gegen die Übermacht der klassischen Museumshäuser durchzusetzen – meint Gunter Schöbel, der Leiter des Pfahlbaumuseums. Der Ruf sei zuweilen nicht eben der beste. „Es gibt in Europa aber auch viel Wildwuchs“, sucht Schöbel nach einer Begründung. Immerhin: Die schönsten und wichtigsten Fundstücke der Archäologen landen in den großen Ausstellungshäusern. Freilichtmuseen leben in der Regel komplett von Rekonstruktionen. Die – je nach Forschungsstand der jeweiligen Gründungszeit oder vorhandenem Budget – in höchst unterschiedlicher Qualität ausfallen können. Nach einigen Versuchen der Nationalsozialisten, das „germanische Urbild“ ideologisch zu steuern, kamen die Freilichtmuseen vor allem hier zu Lande nach dem Zweiten Weltkrieg schwer in Verruf.

Doch was Schöbel und viele seiner Kollegen in anderen Freilichtmuseen heute vorweisen können, ist längst eine Stärke: die inzwischen meist jahrzehntelange Erfahrung mit Rekonstruktionen. „Darauf beruhen ja auch unsere Vermittlungskonzepte“, sagt Schöbel. Nicht von ungefähr ist eben auch die lebendige Geschichte, Living History also, ein wichtiges Element geworden. Das haben Freilichtmuseen schon längst eingesetzt, als in den klassischen Häusern noch über die Seriosität dieser Darstellungsform debattiert wurde. Inzwischen sind Akteure der Living-History-Szene auch in den Geschichtsmuseen gern gesehene Gäste, weil sie das Publikum mit ihren nachgebauten Ausrüstungen in besonderem Maße in ihren Bann ziehen können.

Das Stichwort „Seriosität“ ist überhaupt eines, das der studierte Ur- und Frühgeschichtler Schöbel oft benutzt. „Wir wollen zeigen, dass es gute, seriöse Freilichtmuseen gibt. Und wir wollen zeigen, was wir bieten können“, sagt er. Seit Jahren schon gibt es den Verbund archäologischer Freilichtmuseen (EXARC). Aus ihm heraus haben sich von Skandinavien bis Südosteuropa acht Einrichtungen zu „liveARCH“ zusammengeschlossen. Das Projekt ist nur für einige Jahre angelegt, wird von der EU gefördert – und läuft in diesem Jahr aus. Die große Abschlussmesse, so könnte man sagen, ist eben „H8“ in Unteruhldingen. Das Pfahlbaumuseum ist der deutsche Teilnehmer der europäischen Projektgruppe.

Was bringt Living History?

„LiveARCH“ ist ein arbeitsteiliges Projekt. So untersuchte man in Schottland, wie sich der Dialog mit Besuchern verbessern lässt, in Schweden ging es um Qualitätskriterien. Denn was der internationale Museumsrat ICOM an Richtlinien vorweist, gilt für Freilichtmuseen ohne klassische Vitrinenschau ohnehin nur bedingt. Der Part der Deutschen hängt mit der Organisation der Multiperiod-Veranstaltung „H8“ unmittelbar zusammen: „Wie lässt sich ein Living-History-Event ideal in Szene setzen?“, formuliert Museumschef Schöbel die Aufgabe. Das zweitägige Geschichtsspektakel ist also ein Ergebnis dieser Überlegungen. Und zugleich Werbung für das Leistungsvermögen von Freilichtmuseen und den teilnehmenden Akteuren.

Der Veranstaltung vorgeschaltet ist eine Fachtagung, die sich mit der Organisation historischer Events befasst. „Was bringt Living History für Europa?“ ist der Titel einer Podiumsdiskussion im öffentlichen Veranstaltungsteil. Auch die teilnehmenden Reenactors sollen Zeit zur Umschau haben. Möglichst am Freitag schon sollen die Displays der verschiedenen Epochen der Gruppen und Freilichtmuseen von „liveARCH“ aufgebaut sein. Und werden dann, quasi unter Kollegen, in Augenschein genommen.

Blick über den Tellerrand

Wissenschaft pur – das wäre ein Begriff, der für „H8“ übers Ziel hinaus schösse. Hier wird Publikumsarbeit zelebriert. Das Pfahlbaumuseum will informieren und unterhalten. Und dabei zeitigen die Organisatoren um Schöbel eine gesunde Aufgeschlossenheit gegenüber Projekten, die zwar ambitioniert sind, aber nicht allein auf wissenschaftlichen Fakten beruhen. In der Fachwelt gilt zuweilen Dominique Görlitz mehr als Abenteurer denn als ernsthafter Forscher. Nicht unumstritten war auch die Fernsehdokumentation „Steinzeit – Leben wie vor 5000 Jahren“. Der SWR beobachtete 2007 über Wochen hinweg das Verhalten von Menschen in einem nachgebauten Pfahldorf. Das Experiment wurde auch von den Unteruhldingern mitbetreut. Einige Protagonisten von damals sind bei „H8“ dabei.

Der Blick über den Tellerrand geht noch weiter: Mit dem „Seehaufen“ und den „Württemberger Rittern“ sind auch regionale Mittelaltergruppen in eigenen Lagern am Bodensee. Schöbel weiß, dass er mit solchen Engagements durchaus Kritik auf sich ziehen kann. Zu groß ist für viele Darsteller der Unterschied zwischen Mittelaltermarkt-Atmosphäre und einer sich möglichst dicht am Original bewegenden Ausrüstungsschau. „Aber diese Qualitätsunterschiede zu zeigen hat doch gerade seinen Reiz“, findet Schöbel. Zumal genau diese unterschiedlichen Aspekte in der Tagung und den begleitenden Diskussionen aufgegriffen werden.

Musik soll schließlich diese Modellveranstaltung umrahmen. Auch hier wieder ein gewollter Bruch: Die österreichische Band „Global Kryner“ mischt traditionelle Musik mit Jazz und Pop. Am Samstagabend tritt die Gruppe auf. Letztlich geht es den Organisatoren auch darum, herauszufinden, was beim Publikum ankommt. Und man will auch zeigen, was alles gehen kann. Dafür scheut Schöbel auch den Blick zum süddeutschen Europa-Park nicht, der gestressten Arbeitsmenschen unter anderem einen Kurzurlaub in „ritterlichem Ambiente“ verspricht. Dass dort Archäologie kein Thema ist, weiß freilich auch Schöbel, der unter anderem EXAR vorsteht, der europäischen Vereinigung zur Förderung der experimentellen Archäologie. Ihn interessiert, wie versierte Marketingfachleute ihr Publikum ins Boot holen. Möglicherweise mit Ideen, die auch für Freilichtmuseen taugen. Denn ohne Publikum keine Vermittlungsarbeit und keine Einnahmen. Die Forschungsarbeit rund um die Zukunft der Freilichtmuseen soll übrigens weitergehen. Ein neues EU-Förderprojekt, mit zehn teilnehmenden Museen diesmal, ist in Planung.

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