Mindener Zeitinseln Reenactors inszenieren Stadtgeschichte

FotoStory
Spätmittelalter-Zeitinsel in Minden: ritterliche Fußkämpfer vor Publikum beim Turnier. © Melanie Horne

Was kommt heraus, wenn man Darsteller, die mit unterschiedlichen Zeiten und Konzepten arbeiten, in einer Stadt wie Minden verteilt? Und ihnen Raum zur Entfaltung gibt? Eine spannende Vielfalt, wie diese FotoStory zeigt.

1 „Lebendige Geschichte“ – kaum ein Begriff wird im Zusammenhang mit historischen Festen, Mittelaltermärkten und Stadtgeschichten so häufig abgenutzt wie dieser. Mir ist der etwas griffigere Terminus „Living History“ lieber, wenn es um das Eintauchen in die Geschichte mit eng an historischen Vorbildern orientierten Kleidungen, seriösem Rollenspiel und detailgetreuen Ausrüstungsstücken geht. Die Vergangenheit wird dadurch freilich nicht wirklich lebendig; aber bei der Beschreibung, sprich: Inszenierung, vergangener Lebenswelten kommt buchstäblich Leben in die Bude. Minden ist bei der Vermarktung seiner Geschichte diesen Weg gegangen. © David Maciejewski
2 Minden ist erstmals in fränkischer Zeit um 800 urkundlich erwähnt worden. Seither hat die Weserstadt eine durchaus wechselvolle Geschichte erlebt. Als Zeitreise in mehreren Etappen gestaltete Minden Marketing Ende Juni 2012 die „Mindener Zeitinseln“. Sie sind Teil einer ganzen Kampagne, die sich noch bis 2014 erstreckt. Eine dieser Inseln, die am Juniwochenende in der gesamten Stadt verteilt waren, war folgerichtig das Spätmittelalter. Im Bild zu sehen: Vorbereitung auf einen ritterlichen Zweikampf – zu Fuß. © David Maciejwski
3 Der Historiker und Living-History-Akteur Rainer Kasties hat für Minden vieles an historischen Hintergründen zusammengetragen. Das nützt nicht nur für die Besucherinformationen auf der Webpräsenz zu den Mindener Zeitinseln. Auch die Konzepte der Inseln lassen sich so gut darstellen. Schließlich haben die Akteure ihre Darstellung nicht eigens auf Minden ausgerichtet. Aber was sie zu bieten haben, passt (meistens) sehr gut, um lokale Alltagssituationen aus der Vergangenheit zu veranschaulichen. Ein Beispiel ist der Auftritt der Mitglieder der Compagnie d’Ordonnance in der Zeitinsel 6. Die schwer gerüsteten „Kämpfer“ sind in den ersten Bildern dieser FotoStory zu sehen. Hier im Bild Details von Beinschutz und Schuhwerk, 15. Jahrhundert. © David Maciejewski
4 Dieser Kombattant präsentiert sich in kompletter Panzerung eines adligen Kriegers um 1467. Er ist jetzt nach mühseligen Vorbereitungen bereit für das Fußkampfturnier, das in unserem Startfoto ganz oben zu sehen ist. Unterschiedliche Bewaffnungen und deren Anwendung werden den Besuchern präsentiert – erläutert von den Mitgliedern der Compagnie d’Ordonnance. © David Maciejewski
5 Groß war das Sichtfeld mit diesem Helm sicher nicht. Reenactors lernen durch ihre Feldversuche und bei Reenactments mit diesem Nachteil umzugehen. Auch wenn sie nicht wie die historischen Kämpfer von klein auf trainieren und Jahre Zeit dafür haben, lassen sich durch solche realen „Einsätze“ einige Aussagen über die Kampfbedingungen treffen. Übersetzt auf das Geschehen in Minden: Besucher kamen auch durch solche konkreten Problemstellungen mit den Akteuren ins Fachsimpeln. Exakt der gewünschte Effekt, dem auch die Gruppe um den Niederländer Arne Koets nachkamen. Mit ihm gewannen die Mindener einen ausgewiesen Praktiker der spätmittelalterlichen Tjoste. Einen solchen gestaltet er Ende August beim Turnier von St. Wendel mit. Koets, derzeit bei der Fürstlichen Hofreitschule Bückeburg als Kurator tätig, ist auch Kenner für spätmittelalterliche Kampfesweisen. Die Ergebnisse fließen in Videos wie dieses der Compagnie d’Ordonnance ein. © David Maciejewski
6 Ruhe nach dem Turnier. Auch im Minden des 15. Jahrhunderts dürften derart Gerüstete ein vertrautes Bild gewesen sein. In der alten Bischofsstadt mit ihrem Dom heiratete Heinrich der Löwe 1168 seine zweite Frau Mathilde. In jener Zeit war der vom Bischof eingesetzte Wichgraf der Verwaltungschef der westfälischen Stadt. Dessen herrschaftliche Stellung litt aber im gleichen Maße, wie die Mindener zu selbstbewussten Bürgern wurden; spätestens ab Ende des 13. Jahrhunderts. Aber auch 1467, der von der Compagnie d’Ordonnance vorgestellten Zeit, hatte der Wichgrafenhof noch seine Aufgaben. Die edlen Dienstmannen hatten sich auch zu jener Zeit noch in Übung zu halten. © David Maciejewski
7 Ohne Mampf kein Kampf. Das Thema Essen und historische Küche zog sich ebenfalls durch etliche Zeitinseln. Meist indirekt, weil auch Living-History-Akteure einmal essen müssen. Nicht immer geht es dabei tatsächlich um zeitgenössische Küche. Aber die Accessoires und die liebevolle Gestaltung der Tische spricht Bände. Verlieren wir an dieser Stelle also nicht zu viele Worte… © Melanie Horne
8 Warum sollte man Akteuren und Besuchern nicht auch einmal den Roten Teppich ausrollen? Wichtiger für das Finden der 13 Zeitinseln waren aber sicher die Flyer samt Stadtplänen und die Hinweisschilder, die eigens für das Veranstaltungswochenende aufgestellt wurden. Die chronico-Fotografen David Maciejewski und Melanie Horne fanden sich problemlos mit dem Material zurecht. Hilfreich war, dass die meisten Zeitinseln im Zentrum verteilt waren; rund um den Dom, die Kirche St. Simeonis oder am schönen Weserufer. Lediglich der Bahnhof Oberstadt war abseits gelegen. Dort inszenierten Darsteller den Bahnhofsalltag im kaiserlichen Jahr 1912. Damals wurde eine neue Dampflok für die Mindener Kreisbahn in Betrieb genommen. In schönen Spielszenen nahm dieses Ereignis Gestalt an; mit Bürgern, Bahnangestellten und einer originalen Lok. Mangels eigenem Bildmaterial verweise ich auf den schönen Report im Blog von Oliver Hallmann, der eine Szene treffend beschreibt und klasse Fotomaterial beilegt. © Melanie Horne
9 Herold und Sympathieträger in einer Person. Das Event diente schließlich zu Werbezwecken für die Stadt. Auch die lokale Brauchtumspflege fehlte nicht; die Veranstalter arbeiteten unter anderem mit dem Mindener Bürgerbataillon zusammen. Auch andere Walking-acts und Begleitprogramm wie Holzspiele im Stadtzentrum sind keineswegs in allen Details historischen Vorbildern nachempfunden. Sie rahmten die Zeitinseln aber auf unterhaltsame Weise ein. © David Maciejewski
10 Was hat ein Theaterstück wie „Carilló“ der Theatergruppe La Tal aus Barcelona auf einem historischen Event verloren? Die Frage kann man sich stellen, muss man aber nicht. Auch in vergangenen Epochen erlebten die Besucher bei Festspektakeln die kreative Szene ihrer Zeit. Reisende Sänger oder Schauspieler womöglich, die in den Orten für ein paar Tage ihr Lager aufschlugen und das Publikum unterhielten. Insofern war die Theatergruppe eine gute Idee der Mindener. © Melanie Horne
11 Das Thema des Theaterstücks passte zu den Zeitinseln. Denn eben um das Verstreichen der Zeit drehten sich die Szenen der Pantomimen von „La Tal“. Oder, passender vielleicht: Die Akteure gingen mit ihren Zuschauern auf eine ganz eigene Art Zeitreise. Vom Publikum gab es jedenfalls viel Applaus. © Melanie Horne
12 Der Dom mit seinem Kreuzhof war Standort gleich mehrerer Zeitinseln, die das hohe und späte Mittelalter nachzeichneten. Die Blütezeit des Adels, aber auch das aufstrebende Bürgertum und Handwerk waren dort zu sehen. Architektur und historische Szenen bildeten auch hier eine gute Möglichkeit, die Mindener Geschichte mit Living History zu verbinden. © Melanie Horne
13 Die Zeit um 1200. Ein standesbewusster Kriegeradel hat sich entwickelt. Auch solche Herren, wie sie hier Andreas Kuhnert von Hortus Lupi präsentierte, dürften seinerzeit in Minden unterwegs gewesen sein. Auf die Stadtgeschichte bezogen, bildet die Gruppe das hochmittelalterliche Pendant zur später angesiedelten Ausstattung, wie sie die Compagnie d’Ordonnance zeigte. © Melanie Horne
14 Der Kreuzhof des Doms mit einem mittelalterlichen Zeltlager. Ein solches Lager bezogen die Zeitgenossen freilich nicht, wenn sie die Stadt betraten. Aber der Rückzugsraum für die modernen Living-History-Gruppen bot dennoch ein schönes Bild, wie die Reisenden jener Zeit unterwegs untergebracht waren. © Melanie Horne
15 Ein Blick hinter die Kulissen von Hortus Lupi. Mit liebevoll gestalteten Details ist dieses Zelt ausgestattet. Es ist die Interpretation eines Reiselagers des niederen Adels um 1200. Die Leinenzelte sind mit essigsaurer Tonerde imprägniert und hielten auch kräftigem Regen stand. Am regnerischen Sonntag war das ein guter Umstand. Die Feldbetten sind mit Spannseilen und Strohsäcken bestückt. © Melanie Horne
16 Das 14. und 15. Jahrhundert war in Minden ganz überwiegend von Akteuren der Vruntlike tohopesate vertreten. Das ist ein Netzwerk aus Einzeldarstellern und Gruppen, die sich mit spätmittelalterlichem Alltag und Handwerk befassen. Dass dazu wiederum eine zeitgemäße Küche gehört, zeigte Claudia Zimmermann. Sie ist bei diversen Auftritten der Tohopesate die Expertin für gutes, sprich: historisch nachempfundenes Kochen. © Melanie Horne
17 Malerei mit spätmittelalterlicher Finesse und Farbenmixtur. An dieser Leinwand ist Gisela Michel am Werk. Die Archäologin ist unter anderem bei Ars Replika – Verein für lebendige Archäologie engagiert, der seit 1992 Geschichte auch mit Mitteln der Living History vermittelt. © David Maciejewski
18 Ein genauer Blick lohnt immer. Ob in Kochtöpfen, am Gürtel oder auf den Tischen finden sich bei vielen Akteuren so schöne Details wie diese so reich illustrierte Buchseite. So spannend Massenszenen etwa bei großen Reenactments auch sein mögen; in solchen Stillleben lässt sich das Engagement der Darsteller am besten erkennen. Es sind diese Details, die oft in zeitraubender Kleinarbeit entstehen. Dinge, die Handwerkskunst und Fertigkeit der Altvorderen erst so richtig ermessen lassen. An dieser Seite arbeitete Darstellerin Maren Beckebrede auch im Mindener Domhof. © David Maciejewski
19 Für eine Museumsausstellung konstruierten und bestückten Maren und Jan Beckebrede diese Ausstellung zum Thema mittelalterliches Scriptorium. Verschiedene Pergamentsorten, Federkiele und deren Anwendung, die Rezepturen für Farben und Tinten – wie sie dabei vorgehen, beschreiben sie auf ihrer Webseite Pergamena illuminata . In Minden trat Maren Beckebrede als Illustratorin auf. In spätmittelalterlichen Städten waren tatsächlich auch Frauen in Berufen als Illustratoren und Schreiber tätig. © Melanie Horne
20 Genügend Zeit, Geschick und die Wahl der richtigen Mittel: Wie in jedem Beruf, so war all dies auch für Illustratoren wichtig. Schreibstoff, Feder und Tinten mussten stets den Ansprüchen genügen. Je nachdem, ob Urkunden, Bücher oder Briefe gefertigt wurden. © David Maciejewski
21 Jan Beckebrede demonstriert die Pergamentherstellung. Wichtige Voraussetzung einerseits für den Schreiber, der lange Zeit auf Beschreibstoff aus Tierhaus zurückgriff, bis sich im Spätmittelalter langsam die Vorteile von Papier herumsprachen. Andererseits auch ein wichtiger Beruf in den mittelalterlichen Städten mit ihrem Bedarf an Material für die Kontore der Kämmerer und Kaufleute. Insofern passte auch dies ganz hervorragend ins Konzept der Tohopesate. © Melanie Horne
22 Bürgertum – Kaufleute – Geldwirtschaft. Keine Frage, das Münzwesen gehörte auch in Minden auf den Tisch. Im Falle dieses „Herrn der Münzen“ an den Stand von Dirk Hülsemann. Der Soester Gold- und Platinschmied schlug Münzen nach originalen Vorbildern. Die Stempel dazu fertigt er selbst. Seine Münzerei im Domhof entsprach in seiner Ausstattung dem 15. Jahrhundert. © Melanie Horne
23 Öffentlichkeitsarbeit in Sachen spätmittelalterlicher Fechtkunst: Im zivilen Leben ist Marcus Planckh PR-Redakteur. Historisches Fechten ist seit langer Zeit eine Leidenschaft. Und dieser frönt er auch bei Auftritten wie in Minden als Gast der Tohopesate. Themen: Der Gebrauch von Hieb- und Stichwaffen, die Lehren, die aus zeitgenössischen Fechtbüchern gezogen wurden oder die Anwendung der martialischen Kunst im städtischen Leben des Spätmittelalters. © Melanie Horne
24 Kriegerische Schauobjekte neben Marcus Planckhs Tisch: Im Spätmittelalter entwickelte sich die Rüsttechnik fort. Zu den schon lange bekannten Gambesons oder Kettenhemden kamen nach und nach Panzerplatten auf. Auch städtische Milizen rüsteten sich – je nach Reichtum und Stand – mit solch defensiven Waffen aus. © Melanie Horne
25 Orts- und Zeitenwechsel: Ein paar Minuten Fußweg vom Dom über Marktplatz, Ritterstraße oder Obermarktstraße sind es bis zur Kirche St. Simeonis. Für die Zeitinsel—Besucher war es ein Sprung durch die Jahrhunderte. Vom Mittelalter ging es hinein in das 18. Jahrhundert. Eine Frau, ein Kohlenkessel und ein Altar. Nein, hier wurde keine Glut für Weihrauch vorbereitet. Es hätte zur protestantischen Kirche ohnehin nicht gepasst. Was zehn Living-History-Darsteller um Udo Brühe in der Kirche inszenierten, war eine Premiere mit kriegerischem Hintergrund. © Melanie Horne
26 St. Simeonis ist heute eine sogenannte Offene Kirche des Kirchenkreises Minden ohne eigene Gemeinde. Offen war der Kirchenkreis tatsächlich: Er ermöglichte den Darstellern ein Experiment in dem als Lazarettkirche in die Geschichte eingegangenen Gotteshaus. Pfleger, Feldärzte und verwundete Soldaten bildeten das „Personal“; der Siebenjährige Krieg den politischen und militärischen Rahmen. 1759 wurden in der später so berühmten Schlacht bei Minden verletzte Soldaten unter anderem in St. Simeonis notdürftig versorgt. © Melanie Horne
27 Ein Verwundeter wird hereingetragen. Schussverletzungen waren bei den mörderischen Gefechten, wo Infanteristen in kilometerlangen Linien aufeinander feuerten, an der Tagesordnung. Das 18. Jahrhundert kannte aber noch keine modernen Feldhospitäler. Wo immer es möglich war, taten Helfer und Feldchirurgen ihr Möglichstes. St. Simeonis musste während der Schlacht ein furchtbarer Ort gewesen sein. Im Minutentakt wurden neue Verwundete gebracht; innerhalb von zwei Minuten trennten versierte Ärzte zerschossene Gliedmaßen ab. © Melanie Horne
28 Schreie hallten durch den Kirchenraum. Pfleger eilten zwischen Ärzten und Verwundeten umher. Mit einfachsten Mitteln – wenn auch kenntnisreich – tat das Personal, was immer in seiner Macht stand. Studien über die Zustände in den Armeen der napoleonischen Zeit bewiesen, dass die meisten Soldaten eher an Mangelernährung und Krankheiten starben. Doch ereilte sie einmal im Kampf das Schicksal, waren sie auf Gedeih und Verderb auf die Kunst des jeweiligen Arztes und ihre eigene Robustheit angewiesen. Schlechte hygienische Verhältnisse in Notlazaretten konnten auch die Arbeit eines professionellen Chirurgen zunichte machen. © Melanie Horne
29 Ein verletztes Bein wird fachmännisch und mit Methoden des 18. Jahrhunderts versorgt. Die Akteure betonten, dass sie hier kein Schauspiel inszenierten. Nicht das Rollenspiel stand im Vordergrund; auch wenn die „Verwundeten“ überzeugend agierten und die „Pfleger“ ihrer Rolle entsprechend beruhigend auf die Männer einredeten. Dem Team, das hier so gut Hand in Hand arbeitete, ging es um plastische Darstellung des Grauens, den jeder Krieg mit sich bringt. Entsprechend drastisch waren die Spielszenen; Eltern wurden darauf hingewiesen, bevor sie mit Kindern die Kirche betraten. © Melanie Horne
30 Als Chirurgin war Anja Seifert-Weßel (links) im Einsatz. Die Ärztin sorgte für den nötigen fachlichen Hintergrund. Ein kluger Zug der Organisatoren. Seifert-Wessel bringt zudem Erfahrung mit, von der Reenactors profitieren. Sie war in ähnlicher Funktion auch bei der spätmittelalterlichen Soester Fehde 2009 dabei. Solche fein ausgearbeiteten Spielszenen dürfen gern häufiger eingesetzt werden. Im Jahr 2014 wird von Living-History-Akteuren aus dem Achtzehnten erneut ein großes Reenactment rund um die Schlacht bei Minden inszeniert. Es baut auf Erfahrungen des ersten Events in Minden im Jahr 2009 auf. Wiederum werden Gruppen aus diversen Ländern erwartet, die in den Farben der beteiligten Mächte wie Britannien (und Hannover), Preußen oder Frankreich auftreten. Erneut avanciert St. Simeonis dann zur Lazarettkirche; wenn auch voraussichtlich in viel größerem Umfang. Die diesjährigen Zeitinseln waren auch ein Training. Unser chronico-Video zeigt Ausschnitte dieser Szenen. © Melanie Horne
31 Ein neuer Zeitenschwenk – und ein erster Exot im Reigen der Living-History-Szenen: Römische Legionäre und Gladiatoren, deren Ausrüstung im Bild zu sehen ist, hat es in Minden nie gegeben. Die Stadtgründung kam ja viel später. Freilich ging es den Veranstaltern von Minden Marketing auch um thematische Vielfalt. Um die Römer ins Spiel zu bringen, hätte ein schlichter Verweis auf Germanien genügt und die Funktion des heutigen Ostwestfalen als Aufmarschgebiet der Legionen. In Minden griffen die Veranstalter aber auf eine Sache mit mehr Substanz zurück … © Melanie Horne
32 … In Sichtweite von Minden liegt die Porta Westfalica. Und dort graben Archäologen seit 2008 ein Legionslager bei Barkhausen aus. Es stammt aus augusteischer Zeit und diente zumindest vorübergehend den Soldaten als Quartier. Zur Unterhaltung der Truppen waren vermutlich damals auch Gladiatoren im „Fronttheater“ im Einsatz. Das war das Szenario für Zeitinsel 10 am Weserufer. Als Gladiatoren des ersten nachchristlichen Jahrhunderts traten unter anderem Patric Hellinckx (links, als Retiarius) von der Legio XIII Gemina aus Augsburg und als Secutor Alexander Kulisch von der Hamburger Gladiatorenschule Ludus Nemesis auf.. © David Maciejwski
33 Pause zwischen den Auftritten. In wechselnden Ausstattungen und mit wechselnden Partnern boten die Kombattanten ihrem Publikum einen Ausschnitt dessen, was die Arenakämpfer in ihrer Zeit leisten mussten. Mit einem ganz ernsthafteren Anspruch als es etwa Spielfilmszenen wie jene in „Gladiator“ oder „Spartacus“ hergeben. © David Maciejwski
34 Schwere Bewaffnung gegen schnelle Wendigkeit: Svenja Grosser (mit Helm und Schild als Provocatrix) und André Tippner als Retiarius in Aktion. Beide sind Mitglieder der Ludus Nemesis. Was sie in Minden zeigten, war ein klassisches Treffen von Gladiatorentypen. Weniger typisch ist zwar der Kampf zwischen männlichen und weiblichen Kombattanten. Aber Grosser tritt mit ihrem nom de guerre „Medusa“ als weibliche Kämpferin, also Gladiatrix auf. Es gibt Hinweise auf deren Existenz. © Alexander Kulisch / Ludus Nemesis
35 Die Legio XIII Gemina ist ein Rekonstruktionsprojekt der Uni Augsburg. Studenten und Dozenten nehmen das Leben der Legionäre in augusteischer Zeit unter anderem mit Feldversuchen unter die Lupe. Der Nachbau von Ausrüstungsgegenständen wie diesem Scutum (Schild) im Bild ist eine Seite. Ein anderer Aspekt ist deren Verwendung bei Märschen in kompletter Ausstattung. Matthias Bofinger führt den dabei verwendeten Schild vor. Er selbst hat in einem Sammelband über die Römische Armee im Experiment darüber geschrieben. © David Maciejewski
36 Ein Kuriosum am Rande: Besucher, die offenen Auges durch die Straßen Mindens streiften, dürften über so manches Standbild gestaunt haben. Etliche im Stadtgebiet wurden mit Strickware aufgepeppt. © David Maciejwski
37 Und noch etwas Exotisches: Samurai; zu sehen in Zeitinsel 7 am Wesertor. Eine denkwürdige Entscheidung der Organisatoren. Denn intensiv werden die Überseekontakte Mindens wohl kaum gewesen sein. Die Stadt hatte im Mittelalter sogar ihren Status als Hansestadt nicht mit eben viel Leben erfüllt. Eine aufregende Entdeckung für die Besucher war der Auftritt der japanischen Krieger auf jeden Fall. © Melanie Horne
38 Die Düsseldorfer Gruppe Takeda bietet innerhalb der deutschen Living-History-Szene etwas Einzigartiges. Seit Jahrzehnten entwickelten die Mitglieder ihre Ausstattung bis ins kleinste Detail weiter. So detailverliebt und originalgetreu arbeiten sie, dass die Gruppe um Willi Fuchs auch in Japan durchaus wohlgelitten ist. Einer Zeitung diktierte Fuchs einmal, dass die Gruppe so originalgetreu sein wolle, wie es Europäer eben sein könnten. © Melanie Horne
39 Ihr Hobby begann für die deutschen Samurai unter anderem mit Aikido. Das war bereits Ende der 1970er. In Japan selbst holten sie sich das Wissen um die Geschichte, Aussehen und Leben der Elitekrieger. Der Gruppenname verweist auf Zeit und konkrete Vorlage für ihre Auftritte: Takeda Shingen war ein japanischer Fürst im 16. Jahrhundert. Diese Blütezeit der Samurai war es, was auch die Mindener Besucher zu sehen bekamen. © David Maciejewski
40 Wenn schon Vielfalt bieten, dann gern auch etwas so (auf den ersten Blick) abseitiges wie Takeda. Warum auch nicht. Für Fragen waren die Akteure auch in Minden immer zu haben. Über Rüstungsdetails, über politische Hintergründe im Japan des 16. Jahrhunderts … Immerhin: In jenem Jahrhundert nahmen die Kontakte zwischen dem fernöstlichen Kaiserreich und Europa langsam feste Formen an. Eine Parallele ließ sich immerhin auch zum europäischen Kaiserreich ziehen – ähnlich wie in Japan waren auch in deutschen Landen starke Territorialfürsten an der Macht. © David Maciejewski
41 Takeda Shingen (1521-1573) war ein Daimyō, der während der sogenannten Zeit der streitenden Reiche sein Fürstentum vergrößerte und zu einer Berühmtheit seiner Zeit wurde. Die Akteure von Takeda stellen Shingens Offiziersstab nach. Mit detailverliebten Ausrüstungsgegenständen von der zartesten Teetasse bis hin zum lackierten Helm. © Melanie Horne
42 Ein Blick vom Weserufer bei Minden in Richtung Porta Westfalica und dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal im Hintergrund. Die Bildmitte zeigt die Schiffmühle. Sie hätte eine ganz eigene Zeitinsel für einen sehr alltäglichen Aspekt sein können: dem der Nahrungsbeschaffung. Aber auch so ist die Rekonstruktion eines Mahlwerks aus dem 18. Jahrhundert ein Hingucker am grünen Flussufer. Und ein leicht verträumter Abschluss für diese FotoStory. Die Mindener Zeitinseln haben ihr starkes Potenzial entwickelt. Eben auch, weil die Akteure mit viel Sachverstand und Engagement ihre ganz gewichtige Rolle spielten. Buchstäblich und im übertragenen Sinn.. © David Maciejewski

6 Kommentare

  1. Habe soeben noch ein chronico-Video zur Zeitinsel “Lazarettkirche St. Simeon” hinzugefügt. Dort lässt sich das Ansinnen der Akteure auch akustisch nachvollziehen.

    04. Juli 2012, 15:07 Uhr • Melden?
    von Marcel Schwarzenberger
    chronico
    1
  2. Man muss auf die Kleinigkeiten achten: Zu den Zelten von Hortus Lupi gibt es etwas Korrigierendes zu sagen. Das hat mit Regenfestigkeit zu tun. Nicht einfach Essig und Tonerde, wie ich zunächst irrtümlich schrieb, sondern essigsaure Tonerde ist das (gar nicht so geheime) Rezept für dichte Leinenzelte. Wird just auch oben geändert. Danke an Andreas fürs scharfe Auge.

    04. Juli 2012, 16:07 Uhr • Melden?
    von Marcel Schwarzenberger
    chronico
    2
  3. Betr.: Foto 42 – die Schiffmühle
    Genau das war geplant, eine Müllerfamilie aus der Zeit des 18. Jahrhunderts sollte die Schiffmühle beleben. Doch leider klappte es nicht mit der vorgesehenen Reenactor-Gruppe. Dafür hatten wir eine andere Zeitinsel an der Schiffmühle zu Gast, die das Element Jagd und Falknerei im Grün des Glacis’ darstellte. Aktiv waren die Falkner der Fürstlichen Hofreitschule in Bückeburg.

    04. Juli 2012, 22:07 Uhr • Melden?
  4. @Hans-Jürgen Amtage
    Merci für diesen Hinweis. Schade, dass es nicht funktionierte. Das wäre dann – neben St. Simeonis – ein weiterer Standort gewesen, wo ganz konkrete stadtgeschichtliche Ereignisse mit Living History verbunden worden wären; am hist. Ort (dem Weserufer, nah der Altstadt).
    Aber ja, die Falknerei war freilich auch ein schön anzuschauender Aspekt, soweit ich das mitbekommen habe.

    05. Juli 2012, 08:07 Uhr • Melden?
    von Marcel Schwarzenberger
    chronico
    4
  5. Kleiner Hinweis: Essigsaure Tonerde ist nicht das Geheimnis regen/wasserdicher Leinenzelte. Das Leinen ist es. Das ist auch ohne Imprägnierung dicht.

    06. Juli 2012, 12:07 Uhr • Melden?
  6. Termin für die Mindener Zeitinseln 2013:

    15. bis 16. Juni

    16. Januar 2013, 15:01 Uhr • Melden?

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