Europas Neubeginn Politik und Kriegführung im 15. Jahrhundert

Fußvolk mit neuen Waffen: Reenactors beim Landsknechtstreffen 2007 in Sterckshof, Antwerpen (Zeit: um 1500). © Marcel Bieger

Vor 600 Jahren begann ein Jahrhundert der Wandlungen: Entdeckungen, die Geburt neuer Reiche – und die Rückkehr der Infanterie. Marcel Bieger geht dem 15. auf den Grund.

Jahrhundert der Umwälzungen

Jeder kennt es aus seinem privaten Leben, im Rückblick finden sich einige Jahre, in denen sich anscheinend nichts getan hat, und wiederum andere, die vollgepackt waren mit Entscheidungen und Ereignissen. Genauso verhält es sich mit der Geschichte, in der sich Jahrhunderte finden, in denen sich an jeder Ecke etwas Neues getan hat oder eine neue Entwicklung angestoßen wurde.

Eines dieser Jahrhunderte ist sicher das 15., in dem sich das Mittelalter endgültig verabschiedet und eine neue Zeit anbricht, welche die Historie – wenig originell – die Neuzeit nennt. Drei Datenfixpunkte stehen für den Übergang: 1453 der Fall von Konstantinopel, 1492 die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus und schließlich 1517 Luthers Thesenanschlag. Alle drei sind mittelbar und unmittelbar mit dem 15. Jahrhundert verbunden.

Auch kulturell tut sich einiges. Der Buchdruck wird erfunden, die Einheit der Kirche wird angefochten (zu Anfang des Jahrhunderts die Hussiten, im späteren Verlauf die Strömungen, die im 16. Jahrhundert den Protestantismus möglich machen), und nicht zu vergessen die Renaissance, die sich, etwas früher in Italien aufgekommen, nun über ganz Europa ausbreitet und in der erstmals der Mensch als Einzelperson in den Blickpunkt der Betrachtung rückt.

Wirtschaftlich regen sich erste schon ganz kräftige Bestrebungen dessen, was später zu Kapitalismus und Industrialisierung führen wird, und staatspolitisch geht die alte feudale Ordnung ihrem Ende entgegen. Nationalstaaten bilden sich heraus, und das Gerüst der Lehnsordnung verliert seine letzten Stützen.

Europas Staaten im Wandel

Ein Blick auf die politische Landkarte zeigt so viele Veränderungen an wie in kaum einem anderen Jahrhundert: Der hundertjährige Krieg zwischen Frankreich und England findet sein Ende – England verliert seine riesigen Besitzungen in Frankreich, führt in der Folge die „Rosenkriege“ (einer seiner vielen Bürgerkriege), und verabschiedet sich erst einmal wieder für eine ganze Weile aus der Weltpolitik. Frankreich erlebt im Frieden Aufstieg und Fall eines militärisch starken und wirtschaftlich reichen Nachbarn, Burgund nämlich, das, weil immer noch zu mittelalterlich ausgerichtet, an einer Strömung der neuen Zeit zu Grunde geht (gehen muss) – den Schweizer Söldnern. Frankreich geht gestärkt aus seiner Dauerkrise, die das erste Dreiviertel dieses Jahrhunderts angehalten hat, hervor, steigt zur europäischen Großmacht auf und lässt sich diesen Platz bis heute nicht mehr nehmen.

Im Süden vertreibt Spanien nach siebenhundert Jahren endgültig die Mauren, einigt die ganze iberische Halbinsel (bis auf Portugal) unter der kastilischen Krone und wird im folgenden dank seines Kolonienerwerbs zur ersten Weltmacht und zur stärksten Militärmacht Europas. Vom Ende des 15. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts findet in der Westhälfte Europas kein Krieg mehr ohne Beteiligung und Beeinflussung durch Spanien statt. Eine neue Bedrohung erwächst Europa im Südosten – die Osmanen erobern Konstantinopel (nach über 1000 Jahren hört das oströmische Reich auf zu bestehen) und breiten sich über den ganzen Balkan aus.

Im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts und noch einmal Ende des 17. Jahrhunderts stoßen sie gar bis nach Wien vor, ehe ihre Macht ab dem 18. Jahrhundert darniedergeht. Im Osten kommt Russland nach dem Sieg über die Mongolen 1380 wieder auf die Füße. Vor allem Iwan III. (1462-1505), der sich erstmals „Zar (also: Selbstherrscher) von ganz Russland“ nennt und in seinem Fürstentum Moskau einen einheitlichen Staat begründet, schafft den Staat Russland. Gleichzeitig geht der Deutsch-Ordensstaat, mehrere Jahrhunderte lang an den Ufern der östlichen Ostsee eine ernst zu nehmende Macht, nach der Schlacht bei Tannenberg (1410) seinem Ende entgegen. Seine Feinde Litauen und Polen erstarken dadurch, allerdings einstweilen nicht über das 15. Jahrhundert hinaus.

Das Fußvolk kehrt zurück

Auch in militärischer Hinsicht ist vor über 500 Jahren einiges los. Das 15. Jahrhundert bietet – ähnlich der politischen Entwicklungen – eine Fülle von Neuerungen, von denen einige Episode bleiben, andere aber neue Maßstäbe setzen und einige Entwicklungen einläuten, die zum Teil erst Jahrhunderte später zum Tragen kommen. Zu nennen sind hier die Schweizer Gewalthaufen, die hussitischen Wagenburgen, das Aufkommen von Gewehren, das Erstarken der Artillerie, die Ordonanzkompanien in Frankreich und Burgund, und, am Ende des Jahrhunderts, das Erscheinen der Landsknechte.

Vor allem aber fängt die Infanterie wieder an, das Schlachtfeld zu bestimmen. Haben das ganze Mittelalter hindurch die Reiterheere der Ritter auf dem Schlachtfeld den Ton angegeben, beherrschen nun in zunehmendem Maße wieder Fußsoldaten das Bild. Fußsoldaten sind immer schon die Hauptstreitmacht der Städte gewesen, da die einzelnen Kontingente von den Zünften oder den Patriziern (den Kaufleutegilden) gestellt wurden. Der Einzelne darin besaß selten die nötigen Mittel, um sich ein Pferd leisten zu können oder es auch noch regelmäßig ausreiten zu können. Und im 15. Jahrhundert stellen die Städte die wirtschaftlichen und damit im zunehmendem Maße auch politischen Schwergewichte dar. Das Geld, und damit der Reichtum, sitzt in den Städten und nicht mehr beim (vorwiegend auf dem Land wohnenden) Adel, der sich im Mittelalter nur zögerlich für den Handel entschieden hat und lieber bei der Naturalwirtschaft geblieben ist. Dadurch hat er nun das Nachsehen.

Die Städte erleben schon seit dem 14. Jahrhundert einen beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung und ziehen Menschen aus den umliegenden Dörfern an, die in der Stadt ihr Glück machen wollen. Damit entziehen sich diese Dörfler ihrem ehemaligen Leibherren, deren Macht und Einfluss somit schwindet. Auch ist der technische Fortschritt in den Städten zuhause, wo dank des Zunftwesens ganze Straßen zum Beispiel das Schmiedehandwerk ausüben – und so nicht nur eine Massenproduktion von Waffen ermöglichen, sondern auch gemeinsam neue Modelle entwickeln können. Die Herstellung von Schusswaffen ist außerhalb einer Stadt daher undenkbar. Um an Schusswaffen zu gelangen, muss der Adlige diese von der Stadt kaufen und begibt sich so in eine Abhängigkeit. Nicht umsonst findet man Gewehrschützen im 15. Jahrhundert vor allem in städtischen Aufgeboten.

Das Raubrittertum

Da der Adel auch in anderen Hinsichten gegenüber den Städten in eine unterlegene Position gerät – was den niederen Adel naturgemäß noch stärker trifft als Grafen und Herzöge –, kommt es auch zum Erstarken des Raubrittertums. Natürlich hat es das ganze Mittelalter hindurch Adlige gegeben, die durch Raubüberfälle auf Handelszüge ihre Kasse aufzubessern trachteten. Aber jetzt, im 15. Jahrhundert, sehen sich viele Ritter und kleine Fürsten auf Grund der vielfältigen Umwälzungen in ihrer ökonomischen Existenz bedroht. Kurzum, es bleibt ihnen kaum etwas anderes übrig, als sich das, was sie nicht (mehr) erwirtschaften können, mit Gewalt zu nehmen.

Da man sich aber nicht als gemeiner Räuber hinstellen lassen möchte, verfällt man auf einen Kniff und bedient sich des Mittels der Fehde. Schon Nichtigkeiten reichen aus, sich in der Ehre beleidigt zu fühlen und Genugtuung zu verlangen, kurzum, dem Gegner die Fehde zu erklären. Dabei kommt es dann zu dem Phänomen, dass ein einzelner Ritter einer ganzen Stadt die Fehde erklärt. Natürlich ist jener sich durchaus des Umstandes bewusst, dass er mit seinem anderthalb Dutzend Getreuer niemals wagen kann, eine ganze Stadt zu belagern und anzugreifen. Aber die Städte hatten eben viel Geld, und so fand sich gewiss rasch ein Grund, mit ihnen in Fehde zu treten. Dann brauchte man nur noch Bürgern aus dieser Stadt aufzulauern, um sie gefangenzunehmen und für sie Lösegeld zu verlangen, oder Vieh zu stehlen oder Handelszüge, die unter dem Schutz der Stadt stehen, auszurauben. Das alles im Namen der wiedergutzumachenden Ehre natürlich. Der König und spätere Kaiser Friedrich III. (1448-1486) hat während seiner Regierung viel Zeit und Energie zur Bekämpfung des Fehdeunwesens aufwenden müssen.

Zustände im Reich

Überhaupt ist es im Heiligen Römischen Reich mit Frieden und Sicherheit nicht weit her. Spätestens seit dem Aussterben der Staufer Mitte des 13. Jahrhunderts und dem nachfolgenden Chaos des Interregnums kann man nicht mehr von einem einheitlichen politischen Gebilde sprechen. Die größten Herrscherfamilien – Habsburger, Bayern und Luxemburger – versuchen daher, ihr Territorium zu erweitern und die Königs- beziehungsweise Kaiserkrone zu erlangen. Daher verlagern sich die Schwerpunkte ihrer Macht, interessanterweise nach Osten.

So sitzen die Luxemburger bald hauptsächlich nicht mehr in Luxemburg, sondern in Böhmen, Mähren und Schlesien. Und die Habsburger, die ursprünglich ihr Zentrum in Südwestdeutschland und der Schweiz hatten, werden nun zu den Österreichern, als die man sie heute noch kennt. Der Norden des Reiches bleibt während all der Zeit weitgehend sich selbst überlassen – wie überhaupt seit dem Untergang der Welfen und der Zerschlagung ihres Herzogtums Sachsen (genauer: das heutige Niedersachsen) keine größere Fürstenmacht dort mehr nachfolgen konnte –, und so schließen sich die norddeutschen Städte zum Wirtschafts- und Schutzbund der Hanse zusammen.

Andere Fürstenhäuser steigen ebenfalls auf, aber das deutsche Gebiet verwandelt sich immer mehr in einen Flickenteppich. Zwar schulden die Fürsten dem Kaiser immer noch – dank des Lehnssystems – Heeresgefolgschaft, doch die existiert vor allem im 15. Jahrhundert fast nur noch auf dem Papier (respektive Pergament). So ist der Herrscher im wesentlichen auf die Mittel angewiesen, die seine eigenen Besitzungen ihm zur Verfügung stellen können.

Sigismund, der letzte Luxemburger (1410-1437 deutscher König, ab 1434 auch Kaiser) hat sogar das (mitverschuldete) Pech, dass in seinem Gebiet Böhmen die Anhänger des ermordeten Kirchenreformers Johann Hus einen Aufstand beginnen. Erst nach einem halben Jahrhundert findet Böhmen seinen Frieden wieder. Sigismund hat über dieses Gebiet keine Autorität mehr und kann im wesentlichen nur das Reichsaufgebot gegen die Hussiten ins Feld schicken. Und ungarische Truppen. Ungarn gehört zwar nicht zum Heiligen Römischen Reich, Sigismund ist aber seit 1387 auch König von Ungarn. Doch die sind ihm nur zur militärischen Gefolgschaft verpflichtet, wenn ihr eigenes Territorium angegriffen wird, so bleibt ihre militärische Unterstützung unzuverlässig.

Da Sigismund ohnehin während seiner gesamten Herrschaft stets kurz vor dem Bankrott steht, sieht die Sache in Böhmen bald übel für ihn aus. Zwei Faktoren kommen ihm jedoch zugute: Zum ersten besitzt er genügend diplomatisches Geschick, um sich mit seinen Rivalen, den Habsburgern, zu verbünden, die daraufhin für ihn zu den Waffen greifen. Zweitens gehen die, nach Anfangsschwierigkeiten, stets siegreichen und zum Teil extrem fanatischen Hussiten so aggressiv vor, dass Böhmens benachbarte Fürsten schon aus Selbstschutz ein großes Interesse daran haben, sich militärisch gegen die Hussiten zu schützen. Was bedeutet: sich aktiv auf Sigismunds Seite schlagen. Dabei stellen die Hussiten nur eine der vielen Veränderungen und Neuerungen in der Kriegsführung des 15. Jahrhunderts dar, worauf später näher eingegangen werden soll. Gleichwohl kämpfen auch sie in erster Linie zu Fuß.

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1 Kommentare

  1. Hallo – gefällt mir echt gut, was Ihr hier macht.

    Schöne Grüße aus Düsseldorf
    der Jan

    07. Dezember 2007, 22:12 Uhr • Melden?
    von Jan
    1

Ihr Kommentar zum Artikel „Politik und Kriegführung im 15. Jahrhundert“


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