Wissen Medienschlacht der Religionen

Was haben die Kreuzzüge Europa gebracht? Die Lepra, sagte im 18. Jh. der Aufklärer Voltaire. Die Aprikose, meinte der französische Historiker Jaques Le Goff. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Den militärischen Aspekt keinesfalls vergessend, bescheinigt der italienische Wissenschaftler Franco Cardini den Kreuzzügen zumindest eine positive Folge: die schrittweise Entdeckung der "Anderen" durch die Christen. Und seit jener Zeit hat dieses Interesse selten abgenommen.

Das antike Erbe und der Prophet

Umgekehrt hatten die ersten Muslime schon früh enge Kontakte zu Christen – meist Anhängern der östlichen Kirchen, von denen viele ihrerseits zum Islam konvertierten. Auch Mohammed selbst dürfte sich oft in christlichen Gemeinden bewegt haben. Bis heute gehören starke christliche Gemeinden zur islamischen Welt. Im Mittelalter hatten die Muslime den Christen also auch dieses Wissen voraus. Die Europäer indes hatten zunächst wenig Informationen über die neue Religion, die da an ihre Grenzen brandete.

Die Muslime verfolgten alles andere als eine Kultur der Zerstörung. Alles, was sie an Nützlichem bei ihren Eroberungen vorfanden, nahmen sie bereitwillig auf, getreu Mohammeds Aufforderung, Wissen zu sammeln. Und in den ehemaligen byzantinischen Provinzen fanden sie einen besonderen Schatz vor: die griechisch-römische Philosophie und Wissenschaft. Aristoteles, Platon, Philoponos, Plutarch – sie alle wurden ins Arabische übersetzt. Nach der Einnahme Spaniens gab es in der islamischen Welt mit Bagdad und Cordoba zwei große wissenschaftliche Zentren, in denen das antike Erbe gepflegt und kommentiert wurde. Während die Franken mühsam ihr Reich erkämpften, arbeiteten sich islamische Gelehrte durch das gewaltige Aristoteles-Werk. Um die Mitte des 9. Jhs. lag seine “Metaphysik” komplett auf Arabisch vor, noch im 10. Jh. war das ganze “Corpus Aristotelicum” übersetzt.

Bis ins 12. Jh. hinein wurde der Aristotelismus im arabischen Raum gepflegt. Die Verehrung der antiken Philosophie, wie auch der Ansätze antiker “Naturwissenschaft” beruhte auf dem “Logos”, dem die Griechen huldigten. Von heidnischem Götterkult wollten sie selten etwas wissen – genau das machte ihre Schriften mit dem islamischen Monotheismus gewissermaßen kompatibel. Dabei beschränkten sich muslimische Gelehrte aber nicht auf die reine Rezeption der Schriften, sondern entwickelten die Ideen weiter. Sie bewahrten das Wissen vor einem Untergang, der ihm im frühmittelalterlichen Europa beschieden war. Über den Umweg Islam gelangte das Abendland später wieder an sein antikes Erbe. Bezeichnend ist indes, dass die antike Lyrik keinen Eingang in die islamische Kultur fand – nicht eine einzige griechische Tragödie wurde übersetzt.

So ist etwa das aristotelisch-gnostische Werk “De intellectu” der wichtigste Beitrag des großen arabischen Gelehrten al-Kindi (um 805-873) zur Philosophie des lateinischen Mittelalters. Thomas von Aquin und Albertus Magnus schöpften daraus. Eine bedeutende islamische Quelle der europäisch-christlichen Philosophen war Avicenna (Ibn Sina, um 973-1037), der zur maßgeblichen Autorität der neuplatonischen Aristoteles-Rezeption avancierte. Insgesamt nahm die Philosophie im lateinischen Mittelalter während der ersten drei islamischen Jahrhunderte weit mehr von der arabisch-persischen Philosophie auf, als gewöhnlich angenommen wird. Die Muslime waren die besten Lehrer, die sich die Christen vorstellen konnten.

Die Wahrnehmung der “Anderen”

Propaganda ist keine Erfindung der Moderne. Die dürftigen Kenntnisse, die das christliche Abendland im Mittelalter über den Islam besaß, wurden – je nach Zielgruppe – verzerrt und lückenhaft wiedergegeben. Allenfalls war eingeweihten Geistlichen der monotheistische Charakter der Religion bekannt. Außerhalb dieses elitären Kreises galten die “Sarazenen” und “Mauren” schlicht als Heiden. Vielfach fanden sie Eingang in die epischen Dichtungen Europas, meist in Verbindung mit magischem Background und dämonischen Eigenschaften. Sarazenen tragen in Literatur und bildender Kunst vor allem monströs-diabolische Züge. Der Islam ist ein Irrglaube, das verbreiten diese Dichtungen. Ausschweifungen, Götzendienerei, Zauberkünste – alles war den Arabern scheinbar zuzutrauen.

Diese literarischen Auseinandersetzungen nahmen die unausweichliche Schlacht zwischen den Mächten der Finsternis und des Lichts vorweg. Das himmlische Licht war natürlich mit den Waffen der Christen, entsprechende Legenden kamen im Geleit der Kreuzzüge vielerorts auf. Eine regelrechte Kreuzzugspropaganda stilisierte in den zwischen dem 13. und Anfang des 14. Jhs. entstandenen Epen Figuren wie Gottfried von Bouillon zu Kriegshelden. Mit ihnen sollte der Kreuzzugsgedanke, der durch die herben Niederlagen der Christen in Palästina zum Erliegen kam, neu entfacht werden.

Doch die intensiven Beziehungen, die seit den Kreuzzügen zwischen Christen und Muslimen herrschten, milderten allmählich auch die Dämonisierung des Islams. Wertschätzung, ja Sympathie tauchten vermehrt auf. Mut und Ritterlichkeit wird nun auch auf Seiten der Muslime gewürdigt. Der anonyme normannische Autor der “Gesta Francorum” beschrieb nicht nur die kämpferischen Qualitäten der feindlichen Türken, sondern stellte auch fest, dass Franken und Türken gemeinsame Nachfahren der Trojaner seien. Eine Feststellung, die sich gegen die Byzantiner richtete. Wolfram von Eschenbach schließlich ließ in seinem “Parzival” den exotischen Feirefiz auftreten, der als edelmütiger “Heide” beschrieben wird.

Eine neue Richtung in der Literatur breitete sich aus, der Exotismus. Nichts konnte fantastisch genug sein, um das Fremde zu beschreiben. Reisebücher kamen in Mode – im Zuge von Reisen eines Marco Polo und anderen Kaufleuten sowie Missionaren, die diesem Genre unendlich viel Stoff boten.

Das Interesse wird wissenschaftlich

Das Interesse am Fremden nahm nach und nach auch wissenschaftliche Dimensionen an. Die Frage, die sich den christlichen Gelehrten stellte, war diese: Enthielten auch die Schriften der Muslime eine Wahrheit, die es zu entdecken galt? Die Schätze der islamischen Gelehrsamkeit in Besitz zu nehmen, fand ab Mitte des 12. Jhs. positiven Widerhall. Als die “Philosophen” waren die Araber inzwischen bei den europäischen Intellektuellen bekannt. So soll einst Abaelard damit gedroht haben, zu den “Philosophen” zu flüchten, um seine Würde zu bewahren, als Bernhard von Clairvaux gegen ihn einen Prozess anstrengte.

Spanien, England und Italien waren die Zentren emsiger Übersetzertätigkeit islamkundlicher Texte und des Koran. Neben der Neugier (und der Inbesitznahme der antiken Schriften) gab es auch einen praktischen Grund. Die Gelehrten wollten den Islam kennen lernen, um ihn besser widerlegen zu können – etwa bei Missionen unter den Christen der Ostkirchen. Der Brixener Bischof Nikolaus von Kues warb im 15. Jh. für einen ideologischen Kreuzzug, der ihm geeigneter schien als der Waffengang.

Damit einher ging auch das Studium des Arabischen. Von großem wissenschaftlichem Wert waren Übersetzungen wie die algebraischen Schriften des al-Khwarizmi. Fast schon revolutionär für die westliche Entwicklung war die Einführung der so genannten arabischen Ziffern, die ursprünglich aus Indien kamen. Doch die Muslime waren die Übermittler dieser segensreichen Erfindung. Bis in das 17 Jh. hinein wurde der berühmte “Kanon” des Avicenna, ein klassisches Lehrbuch der Medizin, an europäischen Universitäten genutzt.

Im Gegensatz waren die Europäer für die Muslime eher “barbarische Ungläubige” von denen wenig zu lernen war. Das ganze Mittelalter über wurde nur ein Buch aus dem Lateinischen – ein spätrömisches Geschichtswerk – ins Arabische übersetzt, aus anderen abendländischen Sprachen kein einziges. Ein Interesse an nicht-islamischer Geschichte hatten die Muslime überhaupt nicht (siehe auch Beitrag “Der Islam in der Krise”).
Spätestens im 15. Jh. hatte sich das Verhältnis umgekehrt, der Islam war im Abendland besser bekannt als das Christentum im islamischen Raum. Präzise Informationen waren zunehmend für die Kaufleute wichtig, die immer internationaler operierten. Die Niederlage der Türken vor Wien 1683 und das damit einher gehende Ende der “Türkenfurcht” beflügelte die Entwicklung. 1697 erschien in Paris die „Bibliothèque orientale“ von Barthélemy d’Herbelot. Dies gilt als Beginn der systematischen Islamwissenschaft.

Schon in der Renaissance machte die Wissenschaftsbewegung Europas enorme Fortschritte. In der islamischen Welt hingegen, die Unglaubliches leistete und auch die wissenschaftliche Methode des Experiments entwickelte, kam die Forschung praktisch zum Erliegen. Das Erreichte wurde konserviert und kaum noch ausgebaut. Der ehemalige Schüler ließ seinen islamischen Lehrer weit hinter sich.

Nachtrag: Das Wissen der Muslime

Die ehrwürdige al-Azhar-Universität, die höchste Autorität des sunnitischen Islams, wurde 972 in Kairo gegründet. Jahrhundertealte Abschriften des Korans und zahlreiche Kommentare und andere Manuskripte schlummern in ihren Mauern. Allerdings kommt auch für sie nach und nach das physische Ende – die Manuskripte des ältesten islamischen Lehrzentrums zerbröseln nach und nach. In einem groß angelegten Projekt werden die Schriften digitalisiert, rund 130.000 sind es bisher. Bis 2006 soll der gesamte Bestand auf diese Weise gerettet werden. Die al-Azhar stellt diese Manuskripte sofort ins Internet (Link siehe rechte Leiste).

Quellen

- Bernard Lewis: Der Untergang des Morgenlandes – Warum die islamische Welt ihre Vormacht verlor; Gustav Lübbe Verlag; Bergisch Gladbach; 2002 – Bernard Lewis: Der Atem Allahs – Die islamische Welt und der Westen, Kampf der Kulturen?; Europa Verlag; Wien; 1994 – Gerhard Schweizer: Ungläubig sind immer die anderen – Weltreligionen zwischen Toleranz und Fanatismus; Klett-Cotta; 2002 – Franco Cardini: Europa und der Islam – Geschichte eines Missverständnisses; C.H. Beck; München; 2000 – Peter Schulthess und Ruedi Imbach: Die Philosophie im lateinischen Mittelalter; Artemis&Winkler; Düsseldorf; 2000 – Allah für alle; in: National Geographic 8/2003

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1 Kommentare

  1. Guten Tag,
    ein guter Artikel, er würde gut zu unserer Homepage passen. Ich möchte Sie bitten ihn übernehmen zu dürfen. Wir sind ein neuer reenactment Verein und thematisieren die Ära der Kreuzzüge. Als unsere Aufgabe empfinden wir auch Geschichtswissen zu vermitteln. Ab März sind wir online unter www.kreuzritterundco.de.
    Besten Dank
    Christian Engel

    03. Februar 2005, 15:02 Uhr • Melden?
    von Christian Engel
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