Freie Ein Stand schmilzt dahin

Der Freiheitsgedanke füllt Bände. Doch jenseits der Gedankenspiele der Philosophen, und auch jenseits revolutionärer Bürgerbewegungen hatte das Frei-sein eine geradezu körperliche Bedeutung für den mittelalterlichen Menschen.

Schon in der germanischen Zeit galt derjenige als frei, der voll waffen- und rechtsfähig war, und daher in der Rechtsprechung und in der Volksversammlung mitwirken konnte. Dieser Grundgedanke wurde auch in den poströmischen Staaten übernommen. Natürlich waren die Adligen frei. Doch als frei bezeichnete man vor allem die unteren Schichten, die zwar genauso wie der Adel an der Landrechtsordnung teilhatten, aber nicht dessen Machtbefugnisse und Lehnsrechte besaßen. In manchen Stämmen, etwa bei den Sachsen, bestand gar ein Heiratsverbot zwischen Adligen und Freien.

Freie waren Grundbesitzer und Herren über ihren Hausstand – einschließlich darin lebender Unfreier. Diese hatten lediglich eingeschränkte Persönlichkeitsrechte, sie waren ihren Herren durch Dienstbarkeit unterworfen und verpflichtet. Der Herr hatte außerhalb des Hauses für einen Unfreien vor Gericht einzustehen.

Freiheit im Sinne von Frei-sein erlangte man durch Geburt. Und doch waren die Stände in sich stark differenziert – Besitz und Herrschaft regelten die Zuordnung. Maßgeblich, und das bis ins Hochmittelalter hinein, war ein Landbesitz, zu dessen Bewirtschaftung meist abhängige Menschen – also Unfreie – nötig waren. Daraus entwickelte sich die hofrechtliche Herrschaft der Freien (Hofrecht: Gesamtheit der Rechtsnormen in einem Hausstand; regelt die Abhängigkeiten zwischen freiem Herrn und unfreien Abhängigen).

Die Entwicklung des Wehrwesens und der Herrschaftsdrang des Adels brachte vor allem seit dem 10. Jh. große Einschnitte für den Stand der Freien mit sich. Ihre Zahl wurde schlicht immer weiter reduziert. Der Stammesverband mit seiner Masse an einfachen Kriegern – die meist auch Haus und Hof zu versorgen hatten – wurde den militärischen Ansprüchen bald nicht mehr gerecht. Schwer gepanzerte Reiter und aufwändig gerüstete Söldner dominierten immer mehr die Aufgebote. Und deren Ausrüstung war kostspielig. Eine enge Bindung an die Landwirtschaft war dem kriegerischen Erfolg abträglich – man denke nur an die Ungarnzüge der Ottonen und die späteren Italienfeldzüge.

Langsam, aber unaufhaltsam wurde die Masse der freien Bauern in Abhängigkeit der Adligen gebracht, um so auch die Bewirtschaftung und Versorgung selbst in Kriegszeiten zu sichern. Und manchmal wurden ehemals Freie in die Vormundschaft von Vermögenden ihrer eigenen Klasse kommendiert. Bei der Kommendation konnte der Freie seine persönliche Rechtsstellung aufgeben, er wurde leibeigen, oder auch nur die sachrechtliche, also seinen Grundbesitz betreffend. Persönlich blieb er frei.

Diese Entwicklung setzte sich bis ins 13. Jh. fort. Der frühmittelalterliche Stand der Freien löste sich auf, entweder stiegen die Mitglieder in den Herrenstand auf oder sie wurden zu Unfreien in persönlicher oder sachenrechtlicher Sicht. Ein starker freier Bauernstand hielt sich nur noch in wenigen Gebieten (Tirol, Niedersachsen, Westfalen, Friesland, Ostmitteldeutschland). Doch diese Stände scheinen durch Loslösung aus ehemaligen Abhängigkeitsverhältnissen zu stammen.

Eine besondere Form der Freiheit entwickelten die Bürger mit dem zunehmenden Erstarken der Städte, vor allem seit dem 13. Jh. (siehe Bürger). Sie waren meist persönlich frei, standen jedoch in sachenrechtlicher Abhängigkeit zu einem Stadtherrn.

Literatur: Wilhelm Volkert; Adel bis Zunft, Ein Lexikon des Mittelalters; C.H.Beck; München; 1991

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