Domkapitel Der Bischofssitz als regionales Machtzentrum

Mit der allmählichen Verfestigung kirchlicher Strukturen ging auch die Organisation der Hierarchien einher. Eine besondere Bedeutung kam dabei den Vorstehern der großen Kirchenbezirke, den Bistümern zu. Die Bischöfe waren nicht selten auch Stadtherren wichtiger Gemeinden. Die Bischofskirche ist der Dom.

Die in den frühmittelalterlichen Bischofsstädten am Dom und den anderen städtischen Gotteshäusern wirkenden Geistlichen lebten in einer Gemeinschaft zusammen, ähnlich einem Kloster. Entsprechend war das Leben in diesen Domkapiteln von einer Regel bestimmt, die auf den Vorschriften fußte, die seit dem 9. Jh. dem heiligen Augustinus zugeschrieben wurden. Der Name Domkapitel rührt von den Regelkapiteln her, die täglich bei den Zusammenkünften der Kleriker vorgelesen wurden. Die wichtigste Aufgabe des Kapitels war die Wahl des Bischofs. Seit dem 12. Jh. war es hauptsächlich dafür zuständig.

Zuvor waren mit dem englischen König Heinrich I., dem Deutschen Heinrich V. und dem französischen Monarchen Ludwig VI. Herrscher an der Macht, die das Verhältnis des Staates zur Kirche neu ordneten. Denn eben weil ein kirchlicher Hirte zugleich auch weltlicher Machthaber in seiner Region war, war die Zuteilung der Pfründe eine stets delikate Angelegenheit. Nicht selten kam es beim Streit, ob König oder Papst das letzte Wort bei der Ernennung der Bischöfe haben, zum Kirchenbann gegen das betreffende Land.

Der englische König verzichtete also auf jede geistliche Autorität und damit auf die Bischofsinvestitur mit Ring und Siegel. Ein entsprechendes Konkordat erging 1106. Allerdings behielt er den Anspruch auf den Lehnseid für das Kirchengut. Bevollmächtigte des Papstes übernahmen mithin die Weihe, die Konsekration des erwählten Bischofs. Doch schon vorher musste der Kandidat seinem König den Lehnseid schwören – mit diesem Schachzug kontrollierte der König dennoch die Wahl des Bischofs und sicherte seinen Einfluss auf den weltlichen Machtbereich des Bischofs. Auf ähnliche Weise erzielte man auch in Deutschland einen Ausgleich zwischen Staat und Kirche. Im Wormser Konkordat erkannte Heinrich V. 1022 das freie Wahlrecht des Domkapitels an.

Im Gegenzug gewährte Papst Calixt II. dem König die Teilnahme an der Wahl und bestätigte die weltliche Lehnspflicht des Kandidaten für den Bischofsthron. In Frankreich herrschte seit Ludwig dem VI. ein eher stillschweigendes Übereinkommen in ähnlichem Sinne.

Ergebnis dieser Entwicklung war, dass Bischöfe nicht länger als königliche Beamte angesehen worden, sondern als tatsächliche geistliche Führer – mit weltlichen Aspekten. Mehr noch, die Bischöfe standen nun mit der weltlichen Elite, dem Adel, auf einer Stufe. Mit der Folge, dass seit dem Spätmittelalter verstärkt adelige Kandidaten auf den Bischofssitz drängten. Die weltliche Machtfülle und die Domherrenpfründe entfalteten zunehmend eine unwiderstehliche Attraktivität für Edelleute auf der Suche nach Versorgungsstellen. Selbst die Mitgliedschaft im Kapitel bot einen gewissen Reiz. Neben der Mitsprache bei der Verwaltung des gesamten Bistums, standen die Domherren auch Teilen des Distrikts vor. Nicht selten kam es allerdings auch zu einer Pfründenhäufung, was oft genug eine Vernachlässigung der Amtspflichten nach sich zog. Wie auch immer – die Annehmlichkeiten der Pfründe konnten frei genutzt werden.

Bis ins 15. Jh. standen diese Stellen auch Mitgliedern der Ratsbürgerfamilien offen. Später entwickelte sich die Anwartschaft zum Kapitel zu einer exklusiv adeligen Veranstaltung.

Literatur: Wilhelm Volkert; Adel bis Zunft, Ein Lexikon des Mittelalters; C.H.Beck; München; 1991;
Reinhard Elze und Konrad Repgen (Hrsg.); Studienbuch Geschichte, Band I; Klett-Cotta; Stuttgart; 1994

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