Living History Römische Metamorphosen

Römerdarstellerin von Timetrotter in Kalkriese: Das Buch hilft Einsteigern in die Materie. © Marcel Schwarzenberger

Kompetente Sachbücher, die den Einstieg in die Living-History-Szene erleichtern, sind Mangelware. Mit „Römer selbst erleben!“ gibt der Theiss Verlag vor allem Zivildarstellern einen vorzeigbaren Leitfaden in die Hand.

Werbung für Authentizität

Geschrieben haben das Buch Juliane Schwartz, Leiterin des Römer- und Bajuwaren-Museums Kipfenberg, sowie Ermelinde Wudy, Leiterin der Museumspädagogik im Römermuseum Aalen.

Im Vorwort sprechen die Autorinnen vor allem Museumspädagogen an, ferner an einer Römerdarstellung Interessierte und solche, die bereits erste Schritte in diese Richtung getan haben. Hier beziehen sie auch Stellung zur Dauerbrenner-Frage um die „Authentizität“ sowie zur Notwendigkeit neuzeitlicher Kompromisse. Nach Möglichkeit, so schreiben die Autorinnen, sollten das gleiche Material wie in der Antike und den Originalen ähnliche bis identische Werkzeuge verwendet werden, um den Bearbeitungs- und damit Lernprozess nachvollziehbar zu gestalten.

Nach dem Mini-Kapitel „Werkzeug und Material“ geht es dann zur Sache. Auf etwa 80 Seiten verteilt folgen sechs übersichtliche Kapitel, in denen Kleidung, römisches Leben, Schönheitspflege, Religion, Freizeitgestaltung und Schriftkultur behandelt werden. Die Sachinformationen sind gut recherchiert. Anleitungen wie auch Rezepte erfüllen durchweg den Anspruch, finanzierbar und auch ohne größere Vorkenntnisse umsetzbar zu sein. Hier wurde eindeutig mit Wissen, Verstand und Herzblut geschrieben, und man bekommt Lust, das eine oder andere bald mal auszuprobieren. In diesem Buch ist wirklich für jede Neigung und jeden Geschicklichkeitsgrad etwas dabei.

Gute Qualität trotz kleiner Mängel

Doch vielleicht gerade, weil die Autorinnen auf ihrem Terrain so sicher sind, haben sich einige Patzer eingeschlichen. Eine Aussage wie „[die Thorsberghose] weist eine ungewollte ‚Sollbruchstelle’ im Schritt auf“ ist befremdlich und unwissenschaftlich. Welche Sollbruchstelle? Ungewollt von wem? Dito das Zitat von Marion Mannsperger zur Verwendung von „künstlichem Haar“ für römische Frisuren. Künstlich? Was darf man sich für die Antike darunter vorstellen? Hier besteht Klärungsbedarf.

In dem Rezept Moretum & Mostbrötchen verschmelzen Moretum und Brötchen zu einer amorphen Masse – es liest sich nämlich so, als ob Moretum und Brötchenteig zusammengemengt gebacken würden. Im Schnittmuster des Geldbeutels aus Drenthe hat der Fehlerteufel zugeschlagen: Bei der Maßangabe „0,40 cm“ müsste es „4 cm“ heißen. Leider sind auch die im Text erwähnten blauen Linien des Schnittmusters selbst bei Tageslicht schwer als solche zu erkennen.

Schade auch, dass beim Bildmaterial nicht genauer hingesehen wurde: Zahlreiche Brettchengewebe mit neuzeitlichen Mustern und der moderne Filzhaarschmuck einer Peplosträgerin auf Seite 17 verweisen exemplarisch auf eine Schwierigkeit, die sowohl die historische Darstellung als auch die Museumspädagogik betrifft: Bis zu welchem Punkt sind Kompromisse akzeptabel, und worauf sollte man lieber verzichten, wenn man nicht absolut sicher ist, dass ein bestimmtes Detail historisch belegt ist?

Dies entscheidet letztlich jeder für sich, doch bei einem ansonsten gelungenen Buch mit einer Fülle interessanter Abbildungen römischer Artefakte und Repliken sowie guten Vorschlägen für die Museumsarbeit hätte ich mir an dieser Stelle mehr Sorgfalt gewünscht, da sich gerade visuelle Eindrücke dauerhaft einprägen. Dieser Aspekt ist vor allem Anfängern in der historischen Darstellung nicht bewusst – der Gruppe, die neben den Museumspädagogen am meisten von diesem Buch profitieren dürfte.

Fortgeschrittenen gewährt „Römer selbst erleben!“ ebenfalls interessante Einblicke in Handwerke, die vielleicht der Nachbar auf Veranstaltungen betreibt, zu denen jedoch bislang der Zugang fehlte. So ist das informative Werk trotz der oben erwähnten Schwächen auch wegen des attraktiven Preis-Leistungsverhältnisses zu empfehlen.

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4 Kommentare

  1. In Ergänzung zu den im Artikel genannten problemhaften Schilderungen:

    Wer nun genau wissen möchte, wie Moretum & Mostbrötchen auszusehen haben, kann sich unter anderem auf der Webseite des Römerparks Köngen diverse Rezepte anschauen.

    Die antike Geldbörse (Denthe) hat Oliver Teske (Antike-Heilkunst.de) nachgebaut. Ein PDF mit detaillierter Beschreibung gibt es hier.

    07. Mai 2010, 16:05 Uhr • Melden?
    von Marcel Schwarzenberger
    chronico
    1
  2. eine schöne und hilfreiche Rezension, so soll es sein…

    09. Mai 2010, 16:05 Uhr • Melden?
    von Michael Theren
    2
  3. Ich muss sagen dass ich “Chronico” bis jetzt nicht so viel unterschwelligen Humor zugetraut hätte, oder ist diese Aufzählung der “kleinen Mängel” wirklich ernst gemeint?

    Nun denn, wenn das die einzigen Kritikpunkte sind muss das Buch ja wirklich sehr gut sein. ; )

    Viele Grüße

    18. Mai 2010, 17:05 Uhr • Melden?
    von Lina
    3
  4. Ich will doch meinen, dass wir nicht als humorlos gelten :-)
    Aber, ja, Mängel, die uns auffallen, sollten freilich auch benannt werden. Das mag der eine mit Augenzwinkern wahrnehmen, dem anderen sind sie wichtig.

    18. Mai 2010, 17:05 Uhr • Melden?
    von Marcel Schwarzenberger
    chronico
    4

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