Krankheiten Mit Gott und schwarzer Magie

So genannte "Pestumzüge" gehören zum Standardrepertoire vieler historischer Veranstaltungen. Andere Akteure der Mittelalterszene(n) präsentieren die Folgen schwerer Kampfverletzungen. Das Bedürfnis, sich mit den Leiden der mittelalterlichen Menschen auseinander zu setzen, ist groß. Für Darsteller und interessierte Laien gibt es nun ein Werk aus berufenem Mund: Der Historiker und Philologe Kay Peter Jankrift, Forscher am Institut für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung Stuttgart, gewährt Einblicke in 1000 Jahre Heilkunde.

Zeitgenössischer Blick auf die Leiden dieser Welt

Fast willkürlich mag das Einzwängen des Themas in die Epoche vom 5.-15. Jh. erscheinen. Auch Jankrift selbst schreibt, dass mit der Entdeckung Amerikas 1492 der Mensch nicht schlagartig gesünder wurde. Zu viele Krankheiten sorgten noch Jahrhunderte lang für hilflose Helfer. Und doch legt er nun ein Buch zu einer Art mittelalterlichen Kulturgeschichte der Medizin vor.

Der Philologe widmet sich denn auch vorrangig den zeitgenössischen Quellen. Um den Umfang nicht zu sprengen, konzentriert sich der Autor auf europäische Überlieferungen – leider. So bleibt ein direkter Vergleich zwischen abendländischer und orientalischer Heilkunde aus. Natürlich fanden die arabischen Gelehrten ihren Weg in die europäische Medizinliteratur und wurden im Mittelalter rege diskutiert. Dies präsentiert Jankrift auch – allerdings lediglich als philologische Spurensuche.

Bunt, schillernd, düster, gelehrt und mystisch – so lassen sich aber auch die vielfältigen Quellen europäischer Chronisten beschreiben. Und sie weiß der Wissenschaftler unterhaltsam, aber stets im sachlichen Ton zu präsentieren.

Mitten im Leben ist der Tod

Jankrift nimmt den Leser mit durch eine Themenauswahl, die einen gut ausgeleuchteten Blick auf das Krankheitsarsenal der mittelalterlichen Welt gewährt. Die Reise beginnt mit dem medizinischen Erbe der Antike (Galen), kreuzt die vielfältigen Theorien und Praktiken der Ärzte unterschiedlicher Schulen, zeigt Heilmethoden zwischen Gelehrsamkeit und Astrologie – wie sie etwa in der Lehre der vier Körpersäfte steckt – sie führt durch Höhen und Niederungen von Klostermedizin und Hospitalwesen und schließlich zu dem ganz einfachen kranken Menschen in dessen Alltag.

Naturgemäß lässt das Quellenstudium nur einen indirekten Blick auf das einfache Volk zu. Chronisten beschrieben, wenn überhaupt, ihr eigenes Leiden und das der Herrschenden. Den Tod des heiligen Ludwigs IX. etwa, der 1270 auf Kreuzfahrt vor Tunis an einer schlimmen Durchfallkrankheit starb. Oder Richard I. Löwenherz, den eine Verletzung durch einen Armbrustbolzen 1199 auf französischem Boden niederstreckte. Dennoch gelingt dem Autoren oft der Rükschluss zur Situation der einfachen Menschen.

“Mitten im Leben ist um uns der Tod”, heißt es in mittelalterlichen Texten. Dieses Thema greift Jankrift immer wieder auf – oft mit sehr persönlichen Schilderungen seiner Chronisten. Zeugung, Geburt, Alterung – diese natürlichen Vorgänge konnten immer einen plötzlichen Tod bedeuten. Sie fanden direkten Eingang in gesellschaftlich-ethische Prozesse – etwa in religiöse Dispute um das rechte Eheleben und sexuelle Praktiken. Was hier “falsch” war konnte nach dem Glauben der Menschen schnell eine “Strafe Gottes” nach sich ziehen. Auch dieses Denken stellt der Autordar. Seine Reise beschließt er mit Kapiteln, die den großen Geiseln der Menschheit gewidmet sind: Seuchen wie Pest und Ruhr, Krankheiten wie die Lepra.

Fazit

Das Buch ist thematisch gut geordnet, hervorragend recherchiert und lässt sich flüssig lesen – trotz zuweilen langatmiger Kapitel. Der Leser muss sich auf eine Vielzahl von Quellen im Text einstellen. Was aber eindeutig fehlt, sind konkrete Beispiele für bestimmte Heilmethoden oder Rezepturen – aufgemacht in eigenen Hintergrundkästen.

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