Katharina Kepler Hexenjagd auf eine berühmte Mutter

Manchmal mag es beinahe banal klingen: Ja, auch die berühmtesten Menschen der Geschichte hatten eine Mutter. Frauen, die ihrerseits ein eigenes Leben bestreiten mussten. Und das, bevor der Ruhm ihrer Sprösslinge auch sie beleuchtete. Eine Binsenweisheit, aus der die Schriftstellerin Katja Doubek eine detaillierte und farbenfrohe Biografie schrieb. Mit dem kleinen Unterschied, dass ihre Heldin selbst mit Hilfe ihres gerühmten Sohnes, Johannes Kepler, nur mit Mühe dem Scheiterhaufen entkam.

Johannes Kepler, der Astronom, modernisierte das Kopernikussche Bild vom Universum. Erstmals führte er nachvollziehbare Berechnungen der Planetenbahnen ein und avancierte Anfang des 17. Jhs. zum Kaiserberater in Prag. Eine erstaunliche Laufbahn für den Sohn einer ständig um ihre Existenzgrundlage bangende Wirts- und Kräuterfrau aus Leonberg.
Minutiös recherchierte Doubek aus alten Quellen das Leben der “Keplerin”. Zwar verweist schon der Untertitel der Biografie “Die Hexenjagd auf die Mutter des großen Astronomen” auf den wichtigsten Lebensabschnitt der Katharina Kepler (1547-1621), doch beginnt die eigentliche Geschichte in der Kindheit der vom Schicksal geschlagenen Frau. Und ihr Leben hat einiges zu bieten für die Autorin, um aus dem Stoff eine Story zu schreiben, die jene Zeit der Glaubenskriege kennzeichnet.
Die Renaissance ist längst vorüber, Luthers Lehren haben eine neue Kirche hervorgebracht und ganz Europa ist im Aufruhr. Es ist die Zeit, in der Nationen geboren werden. Die Niederlande, die sich gegen Spanien erheben, die deutschen Länder, in denen die Konfessionen ganze Städte spalten. Und größer konnte kaum ein Gegensatz sein: Es ist auch die Zeit der Wissenschaft und der Entdeckungen – und zugleich eine Epoche des religiösen Wahns und des Aberglaubens. Die Inquisition steht im Zenit ihrer perfiden Maschinerie. Doch muss sie inzwischen längst nicht immer selbst in Erscheinung treten: Unbescholtene Frauen landen zuhauf auf bloßen Verdacht ihrer Nachbarn auf dem Scheiterhaufen, verurteilt durch kleingeistige Beamte.
Genau so baut Doubek auch die Geschichte der Keplerin auf. Schon in deren Jugend wird der Grundstein für die späteren Anklagen gelegt, denn die junge Katharina wächst bei einer kräuterkundigen Hebamme auf. Die Ziehmutter Renate Streicher gerät in die Fänge der Gerichte und stirbt. Fortan lebt Katharina mit dem Makel, von einer “Hexe” erzogen worden zu sein. Sie sucht ihr Heil in der Heirat mit Wirtssohn Heinrich Kepler. Ihr Erstgeborener ist Johannes, der spätere Astronom.
Was folgt, ist ein Leben unter der Knute eines gewaltbereiten Mannes, der Geburt und dem Tod ihrer Kinder, den materiellen Sorgen und dem Verschwinden des Mannes, der sich den Habsburgern als Söldner gegen die aufständischen Niederländer verdingt. Doubek nimmt sich die Zeit, um das Schicksal ihrer Heldin nachzuzeichnen. Wo Quellen Lücken aufweisen, nimmt sie zu wahrscheinlichen Interpretationen Zuflucht. Und die Biografie schreibt sie in einer lebendigen romanhaften Form.
Der Höhepunkt ist vorhersehbar, weil bekannt. Neid, Missgunst und die penetrante Furcht vor schwarzer Magie bringen die Keplerin vor Gericht. Initiator des Verfahrens indes ist ein Vogt, dessen Zuneigung zur Schwester des Astronomen Johannes abgewiesen wurde – von Mutter Katharina. Es mag eien typisch weibliche Sicht auf die Dinge sein, die dieses Rachemotiv auftauchen lässt, doch ist es sicher kein unwahrscheinliches. Doubek rollt einen klassischen Hexenprozess auf, so detailliert, dass dem Leser auch mal seitenweise Auszüge aus der überlieferten Anklageschrift zugemutet werden. Nur unter Aufbietung aller seiner Beziehungen kann der berühmte Sohn die Mutter retten. Sie stirbt nur wenige Jahre später – in Freiheit.
Es ist Doubek hoch anzurechnen, ein solch düsteres Kapitel aufgeschlagen und in leicht verständlicher Sprache dargestellt zu haben. Indessen bleiben ihre Figuren eher blass, zu wenig erfährt der Leser von dem, was in ihrem Inneren vorgeht. Diese Distanz allerdings bleibt der einzige Makel an der Biografie – von einigen etwas unbeholfen klingenden Sätzen einmal abgesehen. Wohltuend für den nach Hintergründen verlangenden Leser sind erklärende Zwischenstücke, die etwa die Verwicklungen in den Niederlanden sauber recherchiert zusammenfassen. Und weil die Keplerin sich zeitlebens als Heilerin betätigte, bietet das Buch zum Schluss ein umfangreiches Kräuterlexikon. Achtung: Angaben ohne Gewähr!

Katja Doubek: Katharina Kepler; Piper Verlag; 2004; 414 Seiten; 19,90 Euro; ISBN 3-492-04526-X

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