Siegfried und Krimhild Der Untergang des Nibelungen

Ein Frage vorneweg: Wer bitte ist John Schazman? Ich gestehe, es ist mir nicht gelungen, mehr über ihn zu erfahren, außer die so unglaublich klingende Geschichte des Germanisten Jürgen Lodemann. Im Vorwort seines Romans „Siegfried und Krimhild“ schreibt er von einer uralten Chronik aus dem 5. Jahrhundert, die irische Mönche auf ihre Insel gerettet und ins irische Keltisch übertragen hätten. Im 19. Jahrhundert sei diese Chronik auf den Schriftsteller Schazman überkommen, der es wiederum ins Englische übersetzte. Niemand interessierte sich jedoch für dieses Geschreibsel aus dem geschichtlichen Dunkel Europas. Bis, ja bis Jürgen Lodemann kam, sah und eine Mordsgeschichte daraus schrieb.

Man möchte ihm glauben, dass es so war, doch ist das, was Lodemann da schrieb zu sehr neumodischer Roman, um wirklich eine Chronik aus der Spätantike zu sein. Doch wischen wir diese wirren Gedanken einmal beiseite. Es gibt zwei Kategorien von Menschen auf der Welt, die dieses Buch lesen sollten. Zur ersten gehören jene, die mit dem Begriff „Nibelungen“ etwas anfangen können. Zur anderen die Zeitgenossen, die noch nie davon etwas gehört haben, aber durchaus bereit sind, sich den Weg ins dunkle Zeitalter Europas erhellen zu lassen.

Nur, der Leser stelle sich auf keine leichte Zeitreise ein. Denn Lodemann hat keine Gelegenheit ausgelassen, wichtige Stellen der angeblichen Chronik zu kommentieren. Und es gibt anscheinend fast nichts, was in dieser Geschichte nicht wichtig wäre. So leuchten denn dem Leser die Kommentare auf fast jeder Seite in roter Farbe entgegen, dadurch aber leicht von der eigentlichen Geschichte zu unterscheiden. Den Lesefluss hemmt es dennoch.
Doch der Lohn der Mühen ist gewaltig. Nicht nur, dass Lodemann eine Sprache gefunden hat, für die es nur das Prädikat „saftig“ geben kann – nein, er lässt in dem Buch buchstäblich Welten aufeinander prallen. Die Nibelungengeschichte wird zum Schlüssel, mit dem der Leser verstehen kann, was die Welt damals bewegte.

Das Römische Reich war zerbrochen, germanische Völker hatten im 5. Jahrhundert vielerorts das Erbe angetreten. Und nicht nur am Hofe der Burgunder zu Worms tobte die Schlacht zwischen altem Götterglauben und der neuen Religion, die mit den Missionaren von Roms Gnaden verbreitet wurde. Mag sein, dass Lodemann ein wenig hart mit der katholischen Kirche abrechnet, doch die Überspitzung trifft den Kern: Die alte Macht Roms war zwar vergangen, doch auf ihren Trümmern baute eine neue, geistliche Macht ein Völker umspannendes Netz auf. Und vertreib unbarmherzig den alten Glauben.

Siegfried der Xantener nun tritt im Roman als der große Widersacher dieser Entwicklung auf. Geistreich, voller Witz und Tatendrang – beileibe kein wütender Barbar, als den ihn manche Legenden darstellten. Doch es ist die Tragik dieses Zeitalters, das für Helden der vergangenen Tage keinen Platz mehr lässt. Auch Siegfried verstrickt sich in einen Wahn – den Wahn Altes und Neues zu verbinden. Er wird zum Spielball im Netz der Intrigen, und ist letztlich selbst nicht ohne Schuld. König Gunther, der finstere Hagen, der lustige Giselher und die streitenden und streitbaren Frauen Brünhild und Krimhild – sie alle bekommen im Roman durchaus vertraute Züge. Lodemann mischt sie aber ungeniert mit neuen Interpretationen. Heraus kam ein saftiger Mix aus historischen Gegebenheiten, alten und neuen Legenden, einem Kriminalfall und dem beinah minutiösen Gesang eines Untergangs.

Artikel aus der Rubrik „Medien“

  • Schräge Dichter, minnende Könige

    426 Pergamentblätter, 140 Dichter, davon 137 porträtiert, und 5240 mittelhochdeutsche Strophen. Das ist der Codex Manesse. Wem Zahlenmagie nicht genügt, kann der Liederhandschrift auch lauschen. Eine Ohren-Reise ins Mittelalter.

  • Fechtstunde nach Talhoffer

    Es gibt wenige Bücher, die in der Mittelalterszene Wellen schlagen. Die Reihe des Verlags Philipp von Zabern „Mittelalterliche Kampfweisen“ hat das Zeug dazu. Sie nimmt Talhoffers Fechtbuch auseinander. Band eins ist jetzt erschienen.

  • Ritterorden im Mittelalter

    Endlich ein Übersichtswerk, das sich der Entwicklung der abendländischen Ritterorden vollständig annimmt. Verfasst von Fachautoren, die mit wissenschaftlicher Gründlichkeit die Organisationen von Templer, Johanniter und Co. untersuchten.…

  • Da Vincis neue, alte Geheimnisse

    Schüchtern wirkt er zunächst: der Mann, der die Nachfolge von Dan Brown antreten soll – findet sein Verlag. Javier Sierra geht mit dem Roman „Das geheime Abendmahl“ ins Rennen um die Publikumsgunst. Und kommt auf Touren.

2 Kommentare

  1. Der Artikel hat mein Interesse geweckt.

    Als ich dann jedoch die Rezensionen auf der Amazon-Seite las (besonders eines “Cristian v. Montford”) fand ich dass in dem Artikel hier die Fiktivität der verwendet Quellen nicht deutlich gut dargestellt sind.

    Für Kenner der Nibelungen-Materie sicher klar, aber für den unbedarften Besucher dieser Website?

    Dennoch: danke für den Hinweis auf dieses Buch!

    21. Januar 2010, 23:01 Uhr • Melden?
    von DerKelte
    1
  2. “Der Lodemann” is wirklich sprachgewaltig. Ein lesenswertes Buch, dem man die Leidenschaft des Autors auf jeder Seite anmerkt.
    Für mich persönlich einer der besten historischen Romane überhaupt.

    Empfehlenswert!

    P.S.
    Wenn ich historische Wahrheiten suche, dann kaufe ich mir ein Fachbuch, keinen Roman.

    15. März 2010, 14:03 Uhr • Melden?
    von der Indy
    2

Ihr Kommentar zum Artikel „Der Untergang des Nibelungen“


Sie sind angemeldet als

abmelden