Javier Sierra Da Vincis neue, alte Geheimnisse

Neuer Roman um die Geheimnisse in da Vincis Kunst. © chronico

Schüchtern wirkt er zunächst: der Mann, der die Nachfolge von Dan Brown antreten soll – findet sein Verlag. Javier Sierra geht mit dem Roman „Das geheime Abendmahl“ ins Rennen um die Publikumsgunst. Und kommt auf Touren.

Ein Autor, ein Verlag und Mysterien

Thematische Anklänge zu Browns Megaseller „Sakrileg“ sind nicht zu übersehen. Verschwörungstheorien sind noch immer begehrter Lesestoff, zumal wenn sie religiös verbrämt sind. Auch „Das Geheime Abendmahl“ ist in Spanien und den USA bereits erfolgreich in die Verkaufslisten eingestiegen. Und so wundert es nicht, dass der Münchener Limes-Verlag zur Bucheinführung in Deutschland in eine Lesereise investiert. Der Verlag lässt Anfang Januar nicht nur den Autor selbst, sondern auch einen Schauspieler zum Lesen der deutschen Übersetzung sowie eine Moderatorin antreten. Nur drei deutsche Stationen umfasst die kleine, exklusive Lesereise.

Zusammen wollen Sierra und die Limes-Crew den Zuhörern das Geheimnis des „Letzten Abendmahls“ schmackhaft machen: In Sierras Geschichte soll Leonardo da Vinci verdeckte ketzerische Botschaften in seinem berühmten Bild versteckt haben, das im Refektorium des Klosters Santa Maria delle Grazie im Mailand des Jahres 1497 seiner Vollendung entgegen sieht. Die Gerüchte rufen den Inquisitor der Dominikaner, Augustin Leyre, auf den Plan, der sich auch noch mit mysteriösen Todesfällen in der Gemeinschaft des Klosters auseinander setzen muss.

Technikwirrwarr und Sprachgemisch

Der für das Pressefoto auf leicht dämonisch getrimmte Sierra entpuppt sich bei der Lesung in der Buchhandlung Leuenhagen und Paris in Hannover als sympathischer, bescheidener Mann mit liebem Lächeln, der hinter dem riesigen schwarzen Lesepult fast nicht zu sehen ist. Und das ist auch schon der einzige Kritikpunkt an der Leseveranstaltung: Zu viel Gerät auf der Bühne, hinter dem die Hauptpersonen des Abends fast verschwinden – neben zwei schwarzen Lesepulten noch ein Gestell für den Beamer, eine Leinwand, viele Kabel.

Der Schauspieler Tim Bergmann steht neben dem Autor und schaut ihm beim Lesen über die Schulter und die Moderatorin Margarete von Schwarzkopf weiß auch nicht recht, wo sie sich am besten aufhalten soll, sie setzt sich schließlich unter die Leinwand. In diese Präsentation hätte man mit wenig Aufwand sicher etwas mehr Ruhe bringen können.

Sierra, in Spanien erfolgreicher Journalist und Fernsehmoderator einer Wissensshow, liest davon unbeeindruckt ein Kapitel seines Buches in seiner Muttersprache. Auch wenn sich die Bedeutung dieses Gespräches zwischen Leonardo und seinem Lieblingsschüler in voller Breite vermutlich nur dem spanischen Generalkonsul entfaltet, der extra zur Lesung nach Hannover kam, bietet sich auch für die Gäste ein Genuss, die nicht des Spanischen mächtig sind: Sierra liest lang genug, um sich in die Klangfarbe des Spanischen einzuhören, aber nicht so lang, dass Langeweile aufkommt.

Als besonderer Gewinn stellt sich das Engagement von Tim Bergmann heraus, der aus der deutschen Übersetzung liest. Bergmann, bekannt aus diversen Fernsehrollen, zeigt sich gut vorbereitet. Er legt so viel Präsenz in seine Stimme, dass er die ungemütliche Atmosphäre komplett vergessen lässt. In drei Kapiteln gibt er den Hörern ausreichend Möglichkeit, in Erzählstil und Stimmung des Buches zu schwelgen.

Überhaupt nimmt er sich viel Zeit, was zwar selbstverständlich klingt, es aber bei weitem nicht ist: Bergmann lässt jedem Satz die Möglichkeit, sich bis zum Ende zu entwickeln. Die bildhafte reiche Sprache des Romans kommt dabei voll zur Entfaltung.

Margarete von Schwarzkopf hat es hingegen etwas eiliger. Kaum ist das letzte Wort von Bergmann gesprochen, prescht sie schon mit Erklärung zu Inhalt und Entwicklung der Geschichte vor. Ihre Übersetzungen im zweiten Teil des Abends sind dagegen leicht, gewandt, unverkrampft. Sie bringt auch den Zuhörern, die dem charmanten Englisch des Autors nicht folgen können, die Fragen nahe, die das Abendmahl aufwirft. Und die Antworten, die Sierra bei seinem vom Beamer gestützten Vortrag darauf gibt.

Porträtierte sich da Vinci selbst?

Wer „Sakrileg“ gelesen hat, dem kommt spätestens jetzt einiges bekannt vor. Schon aufgrund der ähnlichen Motive kommt man kaum umhin, Vergleiche zu ziehen. Es gibt thematische Übereinstimmungen bis ins Kleinste hinein: Warum hält Petrus ein Messer in der Hand? Zeigt die Darstellung des Johannes in Wirklichkeit eine Frau? Warum fehlt den Abgebildeten der Heiligenschein?

Wie Dan Brown baut auch Sierra seinen Roman auf der Annahme auf, dass eine geheime Gegenlehre zur anerkannten katholischen Lehrmeinung existiert. Doch Sierra geht grundlegend anders mit dem Stoff um. Er schickt seine Protagonisten nicht auf eine hektische Suche, scheucht weder Leser noch Helden von Cliffhanger zu Cliffhanger, um am Ende vor dem Gral auf die Knie zu sinken.

Das Geheimnis, dem der Dominikaner Leyre auf die Spur kommt, wird bedächtig ausgebreitet und in seiner vollen Dimensionen erst nach und nach entfaltet. Den Erzählton gibt der Ich-Erzähler vor, der langsam, etwas behäbig, aber nicht langweilig, sondern bildreich und lebendig aus dem Rückblick berichtet und manche Umwege macht, bis er schließlich zum Ziel kommt. Viel tiefer und glaubhafter als Brown taucht Sierra in die Verwicklungen der Religionsgeschichte ein. Sein Hauptanliegen ist es, das Rätsel, das da Vinci in seinem Bild anlegt, zu entschlüsseln und dem Leser eine Symbolsprache nahe zu bringen, deren Verständnis heute weitgehend verloren gegangen ist.

„Main thing, I have learned by writing this book is: This painting is not just a painting, but a book, written by da Vinci”, erklärt Sierra bei seinem Vortrag. Der Autor sieht da Vincis Meisterwerk also eher als ein Buch, in dem sich lesen lässt. Und er berichtet mit sichtbarem Stolz, dass er „CSI-Methoden“ angewandt habe, um dem Rätsel des Bildes auf die Spur zu kommen. So benutzte er für seine Recherchen ein auch von der Polizei verwendetes Gesichts-Erkennungs-Programm, um zu verifizieren, ob da Vinci sich im „Letzten Abendmahl“ tatsächlich selbst dargestellt habe. Dazu verglich er das Antlitz des Jüngers Judas Thaddäus mit einem Selbstporträt da Vincis – mit dem Ergebnis einer 87-prozentigen Übereinstimmung.

Das Erbe von Eco und Brown

Mit seiner Untersuchung, die er schließlich in Form eines Romans kleidete, legt Sierra keinen schnellen Reißer vor, der sich zwischen Zähneputzen und Einschlafen verschlingen lässt, sondern anspruchsvolle Lektüre, bei der auch Kenntnisse des Lateinischen, der Antike und der Renaissance hilfreich sind. Leider werden längst nicht alle unklaren Begriffe und Wendungen, die der Roman aufwirft, in den Anmerkungen erläutert. Dafür hat der Verlag bei der Ausstattung des Buches nicht gespart. Als besonders sinnvoll erweisen sich die Abbildungen des Abendmahls auf den inneren Umschlagseiten, man kann diese immer wieder nutzen, um im Roman aufgeworfene Theorien nachzuvollziehen.

Das Rätsel um das Bild wird erst am Ende gelöst – ebenso wie das Rätsel um den Ich-Erzähler, der während der gesamten Geschichte merkwürdig verhalten agiert, nicht mit der Härte auftritt, die man von einem römischen Inquisitor erwarten würde. Doch Pater Leyre will nicht nur einem Geheimnis, sondern der Wahrheit auf den Grund gehen. Nicht nur hierin zeigt „Das geheime Abendmahl“ Parallelen zu einem weiteren großen historischen Roman, jenseits von „Sakrileg“. Sierra selbst sieht seinen Roman viel näher an „Der Name der Rose“. Recht hat er – auch wenn er in Spannungsaufbau und Sprachkraft an Umberto Eco noch nicht heranreicht. Auf die nächsten Romane des spanischen Autors kann man aber durchaus gespannt sein.

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