Ausstellung Zeitreise durch 7000 Jahre

In Quedlinburg ist immer Mittelalter. Es schaut in Form der 1070 errichteten Stiftskirche St. Servatius vom Schlossberg auf die Bewohner und Gäste der sachsen-anhaltinischen Stadt. Es prangt von zahlreichen Urkunden, die Könige und Kaiser der 922 erstmals erwähnten Stadt hinterließen. Für die Zeit zwischen 922 und 1207 sind immerhin 69 Besuche deutscher Könige und Kaiser in der Pfalz überliefert. Und es zeigt sich in jedem einzelnen der Fachwerkhäuser, von denen die Altstadt, die zum Unesco-Weltkulturerbe gehört, nur so strotzt. Eine solche Stadt darf es sich leisten, an ein und dem selben Tag einen Streifzug durch 7000 Jahre Siedlungsgeschichte und ein farbenprächtiges antikes Schauspiel zu bieten. Der Tag des offenen Denkmals am 13. August war Quedlinburg tatsächlich eine denkwürdige Angelegenheit, ist doch die Stadt ein Denkmal für sich.

Eng lagen die beiden Menschen beieinander, die Beine angewinkelt, in typischer Embryohaltung. Ein Erwachsener, dessen großer Körper wie ein Schutzschild um das Kind gekrümmt lag. Ihre letzte Ruhestätte fanden die beiden Mitglieder der so genannten Schönefelder Kultur in der Nähe Quedlinburgs. Rund 2700 vor Christus wurden die beiden dort zusammen bestattet. Dass ihr Grab gefunden wurde, verdankte die Wissenschaft der motorisierten Reiselust der Deutschen.

Seit Anfang diesen Jahres wühlen sich über hundert Wissenschaftler und Helfer im Zuge der bundesweit größten Grabungsaktion durch den geschichtsträchtigen Boden in der Umgebung der Stadt. In nur zwei Jahren müssen sie rund 80 Hektar Fläche zwischen Börnecken und Hoym untersucht haben. Dann beginnen die Arbeiten für den Mittelabschnitt der neuen Bundesstraße 6 im Kreis Quedlinburg.

Die Trassenstrecke ist längst festgelegt. Sie durchquert ehemalige Wohnhäuser einer Großfamilie, die vor 4000 Jahren in der Region lebte, kreuzt uralte Handelswege, deren Spuren – meist in Form von Wagenspuren – sich bis ins 11. Jahrhundert verfolgen lassen, und berührt Grabstätten der Kugelamphorenkultur der mittleren Jungsteinzeit (um 3000-2800 vor Christus). Wie Spürhunde folgen die Archäologen dieser Spur, die Bagger bereits vorsichtig von den obersten Erdschichten befreit haben, und aus der bis zum Jahr 2008 einmal eine vierspurige Straße werden soll.

Und Veit Dresely vom Landesamt für Archäologie hat seine Nase überall. Und vor Freude warf er beinahe seinen braunen Schlapphut in die Luft, als dem Team bei Westerhagen ein “einzigartiger” Fund gelang, wie Dresely begeistert meinte. Das so genannte Steinkistengrab eines Mannes der Kugelamphorenkultur sorgte für Furore, als es in diesem Sommer erstmals der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Tongefäße und Feuersteinbeile gaben die Lebenden dem Toten mit. Und in der Nähe fanden die Forscher die Überreste von sieben geopferten Rindern. Einen solchen Fundzusammenhang gab es für diese Zeit bislang äußerst selten. “Börni”, wie der Tote nach dem benachbarten Örtchen Börnecken getauft wurde, war die Sensation der Saison.

Die Archäologen gehen mit Akribie und Hightech-Ausrüstung vor. Mit Digitalkameras werden die Fundstellen erfasst, sämtliche Daten landen in einer zentralen Datei, wodurch die Auswertung unmittelbar nach Grabungswende beginnen kann. In Quedlinburg richteten die Archäologen ihren Stützpunkt ein. Und auf dem Schlossberg informiert seit dem 29. August die Sonderausstellung “Lebenswege – Archäologie an der B6n” über die neuesten Funde. Sie ist noch bis zum August 2005 zu sehen.

Archäologie in ganz anderer Manier zeigten rund 50 “Römer und Germanen” im Kirchhof der Nikolaikirche – ein Gotteshaus aus dem 15. Jh. mit sehr dominanten Zwillingstürmen. Es ist seit Jahren Tradition der Stadt, zum Fest Gruppen einzuladen, die mit höchstem historischen Anspruch Geschichte erlebbar machen. “Bislang war immer das Mittelalter Thema, nun wollten wir die Antike aufleben lassen”, sagte Initiator Oliver Schlegel, der Kreisarchäologe des Kreises Quedlinburg. Und es nicht einmal weit hergeholt – stießen doch die Legionäre im 1. Jh. bis an die Elbe vor. Und eben dieses Jahrhundert war Thema des Spektakels.

“Jeder der Teilnehmer kann etwas einbringen, und wir passen seit Jahren gut zusammen, weshalb wir auch von Museen gern direkt gebucht werden”, erzählte Jürgen Koitek. Zusammen mit Jens Jungebloed hatte er einen original römischen Weinausschank aufgebaut. Von den feinen Streifen Trockenfleisch bis hin zum Würzwein, dem Mulsum, stimmte es beinahe auf das i-Tüpfelchen. “Nun, mein Schwert etwa ist zu 90 Prozent originalgetreu”, schmunzelte Koitek. Mit einem Freund schmiedete und hämmerte er das römische Kurzschwert, den Gladius, an fünf Wochenenden. Die Schwertspitze sei ihm etwas zu dünn geraten, meinte er. Doch Form, Knaufgröße und die Arbeiten am Beschlag, die den Gott Mars zeigen, stimmen mit Fundstücken überein.

Eng an Funde aus Kalkriese angelehnt, dem Ort der Schlacht im Teutoburger Wald, hat auch der Hannoveraner Werner Pollak seine Rüstung eines germanischen Auxiliars, wie die einheimischen Hilfstruppen der Legionen hießen, hergestellt. Er gehört zur Cohors prima germanorum, die – historisch belegt – im 1. Jh. am Limes Dienst schob. “Bei unseren Auftritten zeigen wir das typische Lagerleben, Schanzarbeiten und den harten Drill in der Truppe,” sagte Pollak. Rund 50 Gruppen lassen bundesweit die Antike nach historischen Maßstäben neu aufleben, schätzte er. Und wie er pflegen viele eine zweite Zeitepoche – meist die Zeit um das Jahr 1000.

Da mischt auch das geschichtliche Familienunternehmen Timetrotter kräftig mit. In Quedlinburg zeigte die Gruppe römische Trachten und typische Speisen, aber auch Waffenübungen in germanischer und keltischer Tradition. Die experimentelle Archäologie, also der Nachweis von Funktionalität historischer Funde wie Waffen, Kleidung oder Werkzeug durch intensive Nutzung, liegt der Familie am Herzen. Neben der Antike hat es den “Timetrottern” vor allem das Leben der Wikinger angetan. Und die Gruppe bereitet sich auf einen Sprung in die ottonische Zeit vor. “In Magdeburg wollen wir eine Schiffswerft, die an diese Zeit angelehnt ist, errichten”, sagte Gabriele Theren, die in Quedlinburg noch als römische Bürgerin auftrat – originalgetreu bis zum römischen Fingerring mit der Aufschrift “vivas felix” (Lebe glücklich). Und so schließt sich wiederum der Kreis von der Antike zum Mittelalter.

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