Reenactment international From Aquileia to Kelmarsh Hall

Frühchristlicher Bischofssitz und römische Stadtgründung: Aquileia hat auf kleinem Raum viel zu bieten. © Fondazione Aquileia / Tempora in Aquileia

Das English Heritage und eine norditalienische Stiftung nutzen das Mittel der lebendigen Geschichte. „Tempora Aquileia“ läuft; das „Festival of Living History“ steht bevor. Ein Blick über den deutschen Tellerrand.

Italien: Römische Provinz

Was hat diese Stadt in der nordostitalienischen Provinz Udine (Region Friaul) nicht alles erlebt. Von der republikanischen Zeit bis zum Zerfall des römischen Imperiums während der Völkerwanderung machte Aquileia alle Blüte- und Tiefphasen mit. Gegründet von Veteranen der republikanischen Legionen um 180 v. Chr. – unter anderem zum Schutz gegen keltische Einfälle –; Entwicklung zum Verkehrsknotenpunkt und Handelsmetropole; Feldherrenquartier für Marc Aurels Krieg gegen die Markomannen oder früher Bischofssitz.

Römische Legionäre und Keltendarsteller treten in Aquileia auf. © Fondazione Aquileia / Tempora in Aquileia

Es gibt kaum ein wichtiges Ereignis in der Geschichte des Imperiums, das sich nicht auch in Aquileia niedergeschlagen hätte. Entsprechend reichhaltig sind die archäologischen Funde. Und weil sich der Ort keineswegs zur Großstadt entwickelte, sondern mit heute nicht einmal 4.000 Bürgern ein überschaubares Städtchen blieb, ist auch eine Menge zu finden.

Dass die Langobarden ihre Zentren anderswo suchten und Venedig allen anderen Städten der Region später den Rang ablief – auch dies dürfte zur übersichtlichen Entwicklung Aquileias in der poströmischen Ära beigetragen haben.

Kelten und Römer treffen sich

Spuren wie der römische Flusshafen oder das antike Forum sind heute zu bewundern. Funde werden in einem Archäologischen Museum und einem Museum für das frühe Christentum gezeigt. Diese Geschichte sowie der Charme des Städtchens sollen auch touristisch besser vermarktet werden. Dafür – und für die Begleitung und Förderung von Forschung und Grabungen – wurde 2006 die „Fondazione Aquileia“ gegründet. Die Stiftung wird von der Kommune, der Provinz Udine und der Region Friaul-Julisch Venetien getragen.

Gladiatorenspiele bilden einen Schwerpunkt von „Tempora in Aquileia“. © Fondazione Aquileia / Tempora in Aquileia

Living History ist in Italien durchaus schon lange ein Thema. Auch in dem Provinzstädtchen wird das als willkommenes Instrument für das Eintauchen in die Geschichte genutzt. An diesem Wochenende, vom 29. Juni bis 1. Juli, findet „Tempora in Aquileia“ statt. Über 400 Reenactors treten dort auf. Das Thema sind Frühzeit und Blüte der einstigen antiken Metropole. Veranstalter ist hier mit der Aquileia-Stiftung die öffentliche Hand. Mit dabei sind unter anderem Keltendarsteller Aes Torkoi oder Legionäre der Legio VI Ferrata.

Rollenspiel, etwas Folklore und ganz viel Living History sind der Mix von „Tempora“. Die Organisatoren haben dafür einen straffen Zeitplan aufgestellt. Dem Datum entsprechend, beginnt das Spektakel mit einer Sonnenwendfeier und keltischen Gruppen. Gerahmt von einer Spielszene: Römische Soldaten marschieren in Aquileia ein, weil es zu Unruhen mit Angehörigen benachbarter Keltenstämme kam.

Übers Wochenende folgen Prozessionen der Akteure durch die Stadt, die Inszenierung von Gladiatorenspielen oder einem Prozess gegen einen säumigen Legionär, Festmähler und eine Kampfinszenierung, bei der keltische Krieger das frühe Castrum belagern (aus einem Kastell ist Aquileia einst entstanden). Musik, zeitgemäße Speisen und ein Markt ergänzen das Programm.

England: Festival of Living History

Von Steinzeit bis Neuzeit reicht die Palette an historischen Objekten, die vom English Heritage verwaltet werden. Die staatliche Einrichtung arbeitet seit Jahrzehnten mit Living-History-Akteuren zusammen. Deren Auftritte sind willkommene Ereignisse. Den Höhepunkt eines jeden – an Reenactments nicht eben armen – Jahres markiert in England das „Festival of Living History“.

Dieses Festival fand einst in Kirby Hall statt; seit etlichen Jahren wird es aber vom English Heritage in Kelmarsh Hall in Northamptonshire zelebriert. Das alte Herrenhaus aus den 1730ern Jahren bietet eine perfekte Kulisse und vor allem reichlich Platz. In diesem Jahr entwickelt das Event am 14. und 15. Juli 2012 seinen Zauber; rund 2.000 Akteure erwarten die Organisatoren.

Das britische Geschichtsportal Historic UK bietet auf seiner Webseite unter anderem einen Liveblog zum Event an. Von unseren Kollegen dieser Agentur stammt auch das folgende Video mit einer Kelmarsh-Zusammenfassung von 2011:

Turniere, Literatur und Wargames

Britannien und römische Legionäre, Hastings 1066, hochmittelalterliche Turniere, Rosenkriege, das Militärwesen der frühen Neuzeit, die Napoleonische Ära, Viktorianisches Zeitalter – und die beiden Weltkriege. Es gibt kaum einen dramatischen Zeitpunkt der englischen Geschichte, der nicht irgendwie in Kelmarsh Hall mit einer lebendigen Inszenierung bedacht wird.

Die militärischen Reenactments und Spielszenen dominieren; auch wenn English Heritage seit einiger Zeit durchaus bemüht ist, auch deutliche zivile Aspekte unterzubringen. Im Rahmenprogramm und den Lagern wird davon einiges zu spüren sein. Eingebettet ist auch das „Festival of historical writing“: Autoren historischer Bücher; darunter Robyn Young, geben sich ein Stelldichein.

Witzig finde ich das Angebot für Wargamer. Am Rande des Spektakels können Strategiespiele mit bemalten Miniaturen „ausgefochten“ werden. Das passt, denn solche Spiele haben selbst eine historische Wurzel. 1812 präsentierte Georg Leopold, Baron von Reiswitz, ein taktisches Kriegsspiel zur Ausbildung preußischer Offiziere: eine Kommode mit ausklappbarem Spielfeld und Schubläden voller Spielmaterial, um Heereseinheiten und Landschaften zu simulieren. Infanterie oder Kavallerie, schweres Gerät oder leichte Bewaffnung – all das wurde in einem Regelwerk berücksichtigt, um Entfernungen und Leistungsfähigkeit abzubilden. Daraus entwickelten sich über mehrere Etappen die modernen TableTops.

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1 Kommentare

  1. So kann es gehen: English Heritages Besucherdienst-Chef Steve Bax hat heute endgültig abgesagt. Das Festival findet wegen heftiger Regenfälle nicht statt. Die komplette Anlage in Kelmarsh Hall stehe unter Wasser, ließ Bax heute mitteilen.
    Wer da schon ein Ticket hat, kann dafür ua mit freiem Eintritt in andere Sehenswürdigkeiten rechnen. EH ist also gerade dabei, ene Art Wiedergutmachung auf die Beine zu stellen. Am besten dem Festival-Account bei Facebook folgen.
    Mich erinnert das an das Unwetter vor ein paar Jahren in Xanten; damals wurde das große Römerfest abgebrochen. Erst in diesem Jahr wurde es erstmals wieder aufgelegt.

    14. Juli 2012, 11:07 Uhr • Melden?

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