Theater Parzival. Der Rote Ritter

Es ist der Roman um die Sinnsuche schlechthin. Die Ursprünge - irgendwo verloren im Dunkel der Geschichte. Aufgegriffen von einem gewissen Chretien de Troyes, um 1200 verfeinert von einem kriegerischen Rittersmann namens Wolfram von Eschenbach und schließlich 1993 von dem Schweizer Adolf Muschg auf 1000 Seiten neu erzählt. Die Geschichte von einem „Ding, das ist der Gral“. Gesucht, gefunden, verloren und erneut gesucht von einem Schelm, der in ehrlicher Dummheit – also unbelastet von zivilisierter Steifigkeit – durchs Leben schreitet: „Parzival, der Rote Ritter“. Muschg arbeitete 30 Jahre an seinem Lebenswerk und bekam dafür den deutschen Büchnerpreis. Sein Buch erlebte gestern im hannoverschen Schauspielhaus seine Uraufführung in der Theaterwelt. 1000 Seiten in zweieinhalb Stunden: Ein uraltes Epos kommt endgültig in der Moderne an, und hält auch für uns Heutige eine Botschaft bereit. Doch Muschg wäre nicht Muschg, wenn er nicht ein gewaltiges Wörtchen hinzugefügt hätte.

Regisseur Stefan Otteni wollte den Roman in seiner ganzen Komplexität. Er hat den Stoff aber um die Sprünge in die Gegenwart, die Muschg formulierte, bereinigt. Der Autor nutzte Wolframs Parzival als Therapie. Persönliche Krisen und heftige Kritik am „galoppierenden Schwund der ökologischen Lebensgrundlagen“ verwob er mit dem mittelalterlichen Versepos. Die Figuren und der rote Faden (welch passendes Synonym) wirken auch in der Theaterfassung (Dramaturgie: Thomas Laue) so als wären sie direkt dem Wolframschen Werk entsprungen. Mancher Dialog mag dem Kenner des „echten“ Parzival wie eine Übersetzung aus dem mittelhochdeutschen Urtext vorkommen.
Doch Muschg hat nicht nur gut konserviert, sondern auch hervorragend fabuliert. Er beschreibt den Ausgangszustand so: „Bei Wolframs Parzival geht es um die Frage, ob die Menschen Schwarz oder Weiß sind. Zerfallen sie in Gut und in Böse?“ Dieser Ansicht zumindest ist auch in der Bühnenfassung noch Parzivals Mutter, die Königin Herzeloyde (zu abgedreht: Isabelle Menke). Von Gott kommt das Licht, das Dunkel vom Teufel. Diese Worte gibt sie ihrem Sohn auf dessen erste Frage „Was ist Gott?“ zur Antwort. Und er solle sich ja hüten, je zwischen beiden zu schwanken. Hier offenbart sich noch Wolframs höfisch-christliches Denken, das die Welt sauber einteilt. Von diesem Punkt an führt Muschg seine Handlung mit dem Ziel voran, dieses Schwarz-Weiß-Denken zu verwaschen, bunt zu färben. Er selbst beschreibt es so: „Ich werde zum Suchenden, notwendig auch zum Irrenden und zum Verirrten. Das ist das Schicksal des Menschen.“
Clemens Schick in der Rolle des Parzival erfüllt diese Aufgabe mit unglaublicher Präzision und Hingabe. Den Knaben, dessen Mutter ihn in Abgeschiedenheit von der Welt erzieht, um ihn vor den Gefahren und Leiden des Ritterdaseins zu schützen, mimt er mit herzerfrischender Naivität. Er ist wahrhaftig der Narr, der über den weltlichen Dingen steht – weil er sie nicht kennt. Die Welt indes dringt in Gestalt eines schillernden Kriegers zu Parzival vor. Der hält ihn zunächst für Gott und erfährt sodann erstmals von Wesen, die sich Ritter nennen. Und ein solcher kann man am besten am Hof des Königs Artus werden.
Parzival bricht auf in die Welt und verstreut Leiden an seinem Weg: die Mutter, die allein zurückbleibt; die erste Frau, die er sieht und deren Ehre er in seiner Unwissenheit raubt; und schließlich sein Auftritt am Artushof. Ein Tor, dem alles viel zu lange dauert, bis er seine Ritterschaft erhalten soll. Wie einen Paukenschlag lässt Schick seine Figur in den in Dekadenz verharrenden Königshof einbrechen. Abenteuerlust schlägt sich hier nur noch in sinnentleerten Partyspielen nieder. Mit einem Mord an Ither, dem roten Ritter, beginnt Parzival sein weltliches Dasein. Er streift dessen Rüstung über, ohne sich im Geringsten seiner Schuld oder gar der Erwartungen bewusst zu sein, die das Rittertum ihm abverlangt.
Der in grelles Licht gehüllte Hof des Artus und die düsteres Siechtum verbreitende Gralsburg des Fischerkönigs Anfortas greifen noch einmal das Schwarz-Weiß-Motiv auf (verdeutlicht durch Gesime Völlms wunderbar klares Bühnenbild). Und beide Fürsten – der feiernde Artus und der schwer verwundete, lebendig-tote Anfortas – werden in ihrer Gegensätzlichkeit hervorragend von Roland Renner verkörpert. Parzival wird zum Gral berufen. Doch inzwischen ist er durch die Schule des (ritterlichen) Lebens gegangen. „Frag nicht zu viel“ war ihm auf den Weg mitgegeben worden. Und so stellt er die erlösende Frage nicht. Im entscheidenden Moment ist ihm durch Konvention der Mund versiegelt, tut er nicht das Richtige: Teilnahme zeigen, zu fragen „Herr, was fehlt Euch?“
Schicks Parzival merkt man die Erstarrung an, die jenem nach dem Weggang aus der naturnahen Umgebung in Welt überkommt. Aus einem außer Rand und Band Tobenden wird ein Zweifler. Es liegt indes weniger an Schick als vielmehr an der Regie und der Nuscheligkeit einiger Darsteller, dass einige zähe Momente den Genuss am Stück mindern. Die Situation rettet indes die Live-Musikbegleitung. Als Possenreißer und Erzähler agiert der Sänger Thomas Kürstner (in Begleitung von Violinist Sebastian Vogel und Anne Riedel an der Harfe). Er ist das humoristische Element mit seinen malerischen Stolperreimen, die das Geschehen kommentieren – und manchmal den Schauspielern die Show stehlen. Es darf gelacht werden.
Kommen wir zu Gawan und Lähelin. Bei Wolfram von Eschenbach stellen Parzival und Gawan im Prinzip zwei Seiten einer Medaille dar: Gawan dient der Minne, stellt das weltliche Rittertum dar, während Parzival die geistliche Komponente, die christliche Sittlichkeit verkörpert. Von dieser Komposition bleibt bei Muschg/Otteni nur die Rolle des Gawan übrig. Parzival sucht hier nicht Gott, sondern seinen Platz im Leben, den Sinn seines Daseins. Und Gawans gnadenloser Dienst an den Frauen – von Peter Knaack herrlich ins Komische gehoben – hilft Parzival, die eigene Unzulänglichkeit zu erkennen. So gerüstet, könnte er seiner Liebe Condwir Amurs (modern und fraulich: Aglaja Stadelmann) endlich gerecht werden. Doch findet er sie beeinflusst vom Ritter Lähelin – eigentlich Verwalter über die Güter des Königssohns Parzival. Lähelin, bei Wolfram noch Nebenfigur, hat Muschg zum Gegenspieler seines Helden erkoren.
Lähelin hätte der Gatte von Herzeloyde werden können, wenn es Parzivals forschen Vater nicht gegeben hätte. Doch nach dem Rückzug der Königin aus der Welt hat er die Verwaltung des Reiches übernommen. Und dies in überaus moderner kapitalistischer Manier – in Nadelstreifen und Seitenscheitel exquisit von Matthias Neukirch dargestellt. Er ist die personifizierte Globalisierung, die alles möglich macht, was Geld bringt. Ein Stück davon stecke in jedem von uns, meint Muschg. Parzival oder Lähelin? Schwarz oder Weiß? „Wir sind eben beides“, sagt der Autor.
Das Finale: Vor dem Ehestreit flüchtet sich Parzival geradezu zur Gralsburg. Er bekommt seine zweite Chance – und stellt die richtige Frage. Und das Ende ist gar keines. Bei Wolfram von Eschenbach entsagt der geheilte Anfortas dem Minnedienst, um in Reinheit zu sterben, während Parzival nunmehr Gralskönig wird. Ende. Bei Muschg/Otteni erwacht der Fischerkönig zu neuem Leben. Der Gral entzieht sich durch schlichte Auflösung: Er ist einfach nicht mehr. Kein Heilsversprechen, kein Märchenende. Und genau das ist macht das Stück dann doch noch kraftvoll.
Parzival hat sein Ziel erreicht und muss erkennen, dass auch dies nur Zwischenstation ist. Der Gral ist nicht an Burgen leidender Könige zu finden, sondern ist immer nur Meilenstein. Und er ist nicht käuflich, wie Lähelin erkennen muss. „Ich weiß nicht, was der Gral war. Aber er ist das Wichtigste auf der Welt“, sagt er. Für Muschg symbolisiert er die Zweideutigkeit auf dem Weg, Lebenskunst zu erlernen. Und mit dieser beruhigenden Botschaft entlässt uns das Stück. „Ist das das Ende der Welt?“, fragt Parzival zweifelnd. Mit herzlichem Lachen funkelt ihn seine Frau an: „Du siehst eher wie ein schöner Anfang aus.“

Weitere Termine: 2.4., 9.4., 14.4., 17.4. sowie im Mai: 5.5., 25.5., 30.5. Weitere Termine im Internet.

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2 Kommentare

  1. mich würde interessieren, wie der rote ritter ither mit parzival in verwandtschaft stand. ist er der onkel oder der cousin? und von welchen elternteil parzivals ist er der Neffe /Bruder?

    30. Januar 2008, 20:01 Uhr • Melden?
    von cornelia
    1
  2. Die Verwandtschaft Parzivals ist groß und bei Wolfram von Eschenbach wird sie auch nach väterlicher sowie mütterlicher Seite ausgiebig aufgefächert.
    Ich habe mir mal die Eschenbach-Geschichte vorgenommen (in der fantastischen Prosafassung von Wilhelm Stapel). Demnach ist Ither ein Neffe von Parzials Vater Gahmuret – also sein Cousin. Ither war zudem Knappe bei Trevrizent, dem Eremiten der Geschichte und zugleich Parzivals Onkel (mütterlicherseits).

    14. Februar 2008, 18:02 Uhr • Melden?
    von Marcel Schwarzenberger
    chronico
    2

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