Living History Napoleons Gegner auf Zeitreise

Braunschweiger Leibbataillon mit Engländern in Aktion. © IG Leibbataillon von 1815

2000 Jahre als Multiperiodevent in Dorstadt: Roms Truppen, ritterliches Leben, napoleonische Politik und Braunschweiger Widerstand, europäische Mode zwischen Biedermann, Queen Victoria und Nachkriegszeit.

Tempus – Zeit erleben

Wie beginnen? Vielleicht mit trockenen Daten zunächst: „Tempus – Zeit erleben“, so heißt das Event der gleichnamigen Veranstaltungsagentur von Claus Meiritz und Konstantin v. Löbbecke. Ein ganzes Wochenende lang, am 16. und 17. Mai 2009, gastieren mehrere Hundert Living-History-Akteure auf dem Rittergut von Löbbeckes in Dorstadt im Landkreis Wolfenbüttel (Niedersachsen).

2000 Jahre Kulturgeschichte umspannen die Zeitinseln, die als eine Art Parcours auf dem weiträumigen Gelände aufgebaut werden. Wer sich die von Meiritz initiierten Großveranstaltungen in der Kaiserpfalz Werla (2005) oder in der Goslar (2006) angeschaut hat, weiß in etwa, was ihn erwartet. Und doch wird vieles anders. Dafür sorgt schon der zeitliche Schwerpunkt, den die „Tempus“-Zeitreise im Mai setzen wird.

Schwarzer Herzog will Rache

Hier nun wird es kerniger im Ton. Untermalt mit etwas Schlachtenlärm und Bildern wie diesem: Europa zittert unter dem Marschtritt der napoleonischen Armeen. Im ländlichen Thüringen, bei Jena und Auerstedt, erleidet Preußen 1806 eine verheerende Niederlage – für Napoleon ist der Weg nach Berlin frei. Unter den vielen Opfern der Doppelschlacht ist auch der Braunschweiger Herzog Karl Wilhelm Ferdinand. Seine letzte Amtshandlung war die Einsetzung seines Sohnes Friedrich Wilhelm als Nachfolger. Doch Napoleon erklärte das Herzogtum kurzerhand für ausgelöscht; er hat seine eigenen Pläne für die deutschen Fürstentümer. Und bringt die geschassten Landesherren gegen sich auf. Der Rachedurst des rebellischen Braunschweiger Herzogs mündet in der Schaffung einer eigenen Truppe – dem Herzoglich Braunschweigischen Feldkorps. Das war 1809.

Genau 200 Jahre später treten nun Living-History-Darsteller in originalgetreuen Uniformen des Freikorps in Dorstadt auf. Insgesamt rund 400 Menschen stellen dort die napoleonische Zeit nach. Die Gruppen, die unterschiedliche Regimenter und das zeitgenössische zivile Alltagsleben präsentieren, kommen aus Deutschland, Österreich, den Niederlanden, Frankreich oder aus Großbritannien auf das Rittergut. Im Zentrum stehen zwei Vereinigungen, die sich jedoch mit der Truppe des Braunschweiger Herzogs befassen und auch aus der Region stammen.

Da ist also der Verein „Braunschweiger Feldkorps“. Seine Zeit sind die Jahre 1809 bis 1814. Jene Zeit, in der sich das Korps in den Dienst Englands stellte und unter anderem in Spanien gegen Napoleons Truppen einen Namen machte. Schwarz war die Uniform der Soldaten, als „Schwarzer Herzog“ ging Friedrich Wilhelm in die Geschichte ein, seine Truppe als die „Schwarze Schar“, die in England als „Black Brunswickers“ geradezu Heldenstatus genoss. Nach Napoleons Verbannung nach Elba wurde das Korps aus dem englischen Dienst entlassen.

Doch der Franzose kehrte bald auf den europäischen Schauplatz zurück. Unter den gegnerischen alliierten Truppen befand sich auch das neue Braunschweigische Leibbataillon. Wiederum hatte es Herzog Friedrich Wilhelm aufstellen lassen. Den Kern bildeten die Veteranen des alten Freikorps. Das Kontingent kämpfte sich bis Waterloo durch, der Herzog starb allerdings zwei Tage vor dieser Entscheidungsschlacht durch eine französische Kugel. Und dieses Bataillon erweckt heuer die Interessengemeinschaft „Braunschweigisches Leibbataillon von 1815“ zu neuem Leben.

Vermittlung mit Fingerspitzengefühl

Geschichten erzählen. Von blutigen Schlachten einerseits, von den ganz alltäglichen Dingen andererseits. Das können, das wollen Vereinigungen wie jene, die den schwarzen Braunschweigern per Reenactment im Grund neues Leben einhauchen. Was auch für die anderen Akteure gilt, die sich etwa mit der frühen römischen Kaiserzeit befassen (wie die Germanengruppe Chasuari), mit dem Sachsenaufstand im 11. Jahrhundert (franko-flämisches Kontingent) oder der staufischen Kaiserzeit (IG Wolf).

„Es sind Bilder zur Geschichte“, sagt Veranstalter Meiritz. Geschichtsbilder also, die von längst vergangenen Epochen berichten. Freilich sind das auch Bilder, die sich beim Publikum festsetzen – ein Problem, mit dem alle historischen Veranstaltungen zu tun haben, die Rekonstruktionen anbieten. Und jede Rekonstruktion kann nur Annäherung sein. „Wir haben also eine große Verantwortung“, sagt Meiritz. Das „Wir“ schließt ihn, den Orga-Stab und die Darsteller gleichermaßen ein.

Entsprechend sorgsam sei die Auswahl der Teilnehmer, betont Meiritz. Was einen ordentlichen Aufwand bedeutet; immerhin sollen insgesamt bis zu 700 Darsteller das Rittergut und die angrenzenden Wiesen beleben. Und so gut wie alles, was an Programmen stattfindet, soll auch mit Kommentaren begleitet werden. Darin liegt die eigentliche Herausforderung: Selbstbestimmt sollen die Besucher durch die Zeitinseln laufen. Die sind zwar chronologisch aufgebaut, doch je nach Stimmung und gebotener Action werden die Menschen zwischen den Epochen „springen“. Stets aber soll klar sein, wo man sich befindet, was gerade geschieht – und warum die gebotene Ausrüstung so ist, wie sie ist. „Kommunikation und Vermittlungsarbeit liegen also an erster Stelle“, betont Meiritz, der mit den Werkstätten für lebendige Geschichte und auch als Stadtführer in Wolfenbüttel selbst jahrelange Erfahrung damit hat.

Greifen alle Rädchen ineinander, wird „Tempus – Zeit erleben“ zu einer Art Zeitmaschine, die Geschichte für alle Sinne bietet. „Auf diese Weise vermittelst du leichter Informationen als bei einer reinen Vitrinenschau“, findet der Organisator. Das Publikum komme auf seine Kosten, aber auch die Darsteller selbst. Für sie soll „Tempus“ auch eine Art Messeschau sein. Bei Erfolg sollen Multiperiodevents jedes Jahr stattfinden.

Landsknechte und elegante Damen

Für das Rittergut Dorstadt wird es die erste historische Veranstaltung sein. Ein Shuttleservice soll die meisten Besucher zum südlich von Wolfenbüttel gelegenen Gut bringen. Die Anlage mutet als perfekte Kulisse an. Seine Geschichte führt ins hohe Mittelalter zurück, ein altes Augustinerinnenkloster hat deutliche Spuren hinterlassen. 1810 erreichte die von Napoleon angestrengte Säkularisierungswelle auch Dorstadt; das Kloster wurde aufgegeben. Danach bewirtschaftete die Familie v. Löbbecke das Gut. Sie tut es bis heute.

Alte Gemäuer, enge Höfe, Kirchenruine und weite Felder. Überall sieht Meiritz hervorragende Orte für die geplanten Zeitinseln. „Dort passen die Landsknechte gut hinein“, sagt er und deutet auf einen dieser Höfe, die durch einen Rundbogen zu betreten sind. Fast automatisch baut sich das Bild von Soldaten aus der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs auf. Aus dem Oberfränkischen kommt die Gruppe „Hortus Bellicus“. Ihre Zeit ist die um 1632, in der protestantische Freiwilligenregimenter gegen die katholische Liga antraten. Ein solches Regiment stellt die Truppe dar.

Es gibt andere Räume, einen Wandelgang darunter, in denen Musiker unterwegs sein können. Und es gibt genügend Platz für ausgiebige und rein zivile Betrachtungen. Gruppen wie „Victorias Enkel“ sollen ein Gegengewicht zur militärischen Seite schaffen. Deren Liebhaberei gilt der Mode zwischen 1837 und 1901. Elegante Damen und Herren schlüpfen stilecht in Kleider aus dem Biedermeier, Gründerzeit oder der Belle Époque.

Für eine Augenweide wird auch die Berlinerin Ann-Dorothee Schlüter sorgen. „Arts et Metiers“ heißt ihr Atelier rund um historische Kleidung. Der Kostümhistorikerin haben es vor allem das 18. und ebenfalls das 19. Jahrhundert angetan.

Das Kleine im großen Ganzen

Noch ein letzter Schlenker in eine andere Zeit: Zivil geht es auch im gut vertretenen Spätmittelalterbereich zu. Der hannoversche Historiker Rainer Kasties, der schon einmal im Wolfenbütteler Schloss mit Meiritz zusammenarbeitete, holt erneut Gruppen aus dem norddeutschen Netzwerk „Vruntlike tohopesate“ an Bord. Kämmerer, Handwerker und Händler prägen das Bild dieser Gruppen vor allem. Bunt wird es allemal zugehen an diesem Maiwochenende in Dorstadt. Und alle sollen sie auf ihre Kosten kommen, Darsteller und Publikum gleichermaßen, findet Meiritz. Die einen wollen sich und ihre Ausrüstung erproben, die anderen etwas zum Staunen und Lernen haben. „Meine Aufgabe ist, beide Aspekte zusammenzubringen“, sagt Meiritz. „Und zwar so, dass sich beide Seiten wohlfühlen.“

Auch darin wird eine große Herausforderung liegen: Dass sich vergleichsweise junge Szene-Gewächse wie eben die Darsteller der viktorianischen Zeit oder der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht im gewaltigen Angebot der Übrigen verlieren. Sondern Raum zur Entfaltung und des Entdecktwerdens durch das Publikum bekommen.

Spannend wird es allemal sein, so große Aufgebote der Napoleoniker in einem großen Ganzen eingebettet zu sehen. Dieser Subszene haftet sonst eher der Ruf an, eher unter sich zu bleiben. Die großen Treffen hangeln sich zumeist an den historischen Schlachtfeldern und Jahrestagen wie eben Waterloo oder Leipzig entlang. Die für Dorstadt besonders breit angelegte Mischung der Epochen – multiperiod – bedeutet zudem ein Aufeinanderprallen ganz unterschiedlicher Präsentationsformen und Szenekulturen. Und darin liegt der eigentliche Reiz und die Chance von „Tempus“.

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7 Kommentare

  1. Eben zurück und wieder Mensch des frühen 21. Jh möchte ich mich auch hier nochmals bei Claus Meiritz, Herrn von Loebbeke, der gesamten Tempus-Crew (insbesondere bei den fleissigen Saubermach-Kids, welche unseren Müll mit einem Lachen entsorgten) und allen Mit-Darstellern für ein Wochenende der Superlative bedanken. Ich durfte viel neues lernen, wie auch andere von mir was neues aus der Steinzeit erfahren wollten. Das Publikum war sehr neugierig und auch ansonsten, wie man es sich als Darsteller nur wünschen kann.

    Ich komme gerne wieder – wenn man mich lässt!;-)

    18. Mai 2009, 20:05 Uhr • Melden?
  2. Diese Veranstaltung war wirklich jede Mühe bei der Vorbereitung wert. Ich bin einfach nur froh darüber, dass ich als Darsteller mitwirken durfte.

    Ich hoffe, die Schäden am Park haben sich in Grenzen gehalten und die Veranstaltung war ein Erfolg, damit einer Wiederholung nichts im Wege steht.

    Vielen Dank an alle Beteiligten.

    19. Mai 2009, 10:05 Uhr • Melden?
    von Karsten Fritsche
    2
  3. Die Veranstaltung war für Besucher wie für Darsteller klasse und wir sind beim nächsten Mal gerne wieder zur “Stunde Null” bereit.

    Thumbs Up!

    19. Mai 2009, 12:05 Uhr • Melden?
    von Volker Griesser
    3
  4. Super !

    Ich war zwar “nur” als Besucher vor Ort – aber es hat sich gelohnt.

    Ein perfektes Gelände, gute Darsteller und eine klasse Orga.

    Hoffentlich gibt es eine Fortsetzung !

    19. Mai 2009, 18:05 Uhr • Melden?
    von Torsten Verhülsdonk
    4
  5. Von mir schon jetzt: Sonntag, 11 Stunden vor Ort – das war zu wenig Zeit. Ich wäre gern noch mehr Teilnehmern über den Weg gelaufen. Aber: angenehme Gespräche, feines Ambiente. Später wie gesagt mehr hier auf chronico.

    19. Mai 2009, 18:05 Uhr • Melden?
    von Marcel Schwarzenberger
    chronico
    5
  6. Danke an das ganze Orgateam und besonders Klaus und Fam. von Löbbecke für die gelungene Veranstaltung und das Vertrauen in die Darsteller. Es war ein tolles Wochenende und spannend so viele tolle Leute aus den verschiedenen Epochen zu treffen. Leider viel zu wenig Zeit um selbst mal in Ruhe zu schauen, aber so ist das ja immer. Hoffe auf ein “nächstes Mal”

    23. Mai 2009, 23:05 Uhr • Melden?
    von Metilia Amniferea
    6
  7. Kleiner Reminder!;-)

    29. September 2009, 12:09 Uhr • Melden?

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