Standup-Historian Ein Historiker verfällt der Magie

Wenn er bei historischen Events auftaucht, hat Magister Rother geballtes Wissen dabei. Er kann lehrreich und gewitzt über Kreuzzüge plaudern oder den spätmittelalterlichen französischen Sänger Francois Villon interpretieren. Seit zwölf Jahren ist der studierte Historiker Stephan M. Rother in der Rolle als selbst ernannter „Standup Historian“ unterwegs. Der Magister kommt also nicht von ungefähr. Neben der Bühnentätigkeit macht sich Rother, Jahrgang 1968, auch als Romanautor einen Namen. Frisch auf dem Buchmarkt ist „Der Weg nach Altamura“ – ein Mix aus Geschichte und Fantasy. Das Interview.

Das Interview

Frage: Wieso schreibt ein Historiker mit hochgelehrtem Bühnenprogramm auch noch Romane, in denen viel Märchenhaftes steckt?

Magister Rother: Märchenhafte Geschichten haben mich interessiert, seit ich 1978 ein Buch mit dem Titel „Taran und das Zauberschwein“ in die Hand bekam; lange bevor ich erfuhr, dass ein Genre „Fantasy“ existiert. „Taran und das Zauberschwein“ und Felix Dahns „Ein Kampf um Rom“ sind die beiden Bücher, die mich in meiner Jugend am stärksten geprägt haben. Und wenn man so will, sind sie auch die Pole meiner eigenen Arbeit als Romancier. Die historischen Aspekte in meinem Buch „Adler der Frühe“ (chronologisch vor “Altamura” angesiedelt und 2000 erschienen; Anm. d. Red.) und dem „Weg nach Altamura“ habe ich nach besten Kräften recherchiert. Natürlich recherchiere ich für einen Roman anders als für eine wissenschaftliche Arbeit. Natürlich wähle ich bei dem, was mir dabei in die Hände fällt, auch danach aus, was besonders gut in das Ambiente eines Romans passt. Umgekehrt ist es mir aber wichtig, dass dieses Ambiente möglichst exakt ist.

In „Altamura“ steckt viel Fantasy – wo ist die Grenze zur Geschichte?

Letztendlich ist ein Roman ein Werk der Literatur und darf und muss nach eigenen Regeln funktionieren. Da darf der anachronistische Absinth neben dem mittelalterlichen florentinischen Fußball stehen, welcher tatsächlich existiert hat. Andere Aspekte, Anspielungen (die Hauptfiguren im „Adler der Frühe“ heißen wie die Mitglieder der Band „ABBA“) fallen wieder in ein ganz anderes Feld. Auf einen Satz: Altamura ist akribisch recherchierte literarische Fiktion. Insofern steht es in der Tradition der Werke Tolkiens.

Zum Bühnenprogramm: Was ist eigentlich ein Standup Historian? Sie machen also Comedy!

Ein Standup Historian – wie ich ihn definiere – ist ein historischer Kabarettist. Mit Comedy, wie sie in Deutschland zumeist geübt wird kann ich wenig anfangen. Comedy ist reine Belustigung – Kabarett ist mehr. Kabarett ist immer auf konkrete gesellschaftliche Zustände bezogen und meine Performance ist es auch. Sie nutzt das Mittelalter als eine Spiegelung der Gegenwart: Wenn ich ein Programm über Elisabeth I. von England ankündige, zehn Minuten lang erzähle, von Frisuren, Schönheitsidealen und dem Umgang mit dem politischen Gegner und dann sage: “Soviel zu Angela Merkel”, dann ist das ein Beispiel für diesen gewollten Anachronismus. Das ist (hoffentlich) lustig, aber eben auch mehr. Tiefer. Mein Bühnenmittelalter ist niemals Selbstzweck. Ich will Geschichte nicht „erlebbar“ machen. Das halte ich für einen vermessenen Anspruch und das halte ich auch nicht für erstrebenswert. Die Bühnenfigur Magister Rother soll Geschichte „lebendig vermitteln“. Ich sehe mich als Künstler. Mein akademischer Hintergrund ist vielleicht nicht ganz unerheblich, aber er tritt eben in den Hintergrund.

„Magister“ klingt sehr nach Mittelalter und Abspulen gelehrter Reden.

Oh nein. Das Hochmittelalter finde ich besonders interessant, aber die Spannbreite der Programme reicht bis ins Rokoko. Im Kern beschäftige ich mich neben der politischen Geschichte mit der Mentalität, der Moral, Gesellschaft, Kultur, Kunst und Literatur (inklusive Mythen) – und immer mit dem absichtlich anachronistischen Bezug auf die Gegenwart. Wo ich den Schwerpunkt setze und wie ein Auftritt konkret abläuft, ist immer auch vom Anlass abhängig: wenn ich als Incentive gebucht bin, wird das sicher launiger ausfallen als der Eröffnungsvortrag zu einem Stadtjubiläum. Auf einem anderen Blatt stehen noch einmal Bühnendarstellungen wie „Otto von Bamberg“ oder „Francois Villon“, bei denen ich in die Haut historischer Figuren schlüpfe.

Der Roman um Altamura

2005 erschien das Buch „Der Weg nach Altamura“. Rother klassifiziert es selbst mittelalterlichen Thriller mit etlichen Fantasy-Elementen. Die Beschreibung passt. Wer auf eine saftige Mischung aus gut recherchiertem Material aus der Zeit um 1290 und einem guten Schuss Märchenhaftem steht, der sollte zugreifen. Allerdings kommt man nicht umhin, auch den zuvor erschienenen Band „Der Adler der Frühe“ zu lesen. Darauf baut das Buch auf. Und Rother kündigt bereits eine Fortsetzung der Altamura-Geschichte an.

Etwas mehr Aufklärung der Motive und Geschichten der handelnden Personen wäre gut gewesen. Der Autor verlangt vom Leser einiges an Vorkenntnis. Dennoch liest sich „Altamura“ sehr flüssig. Manchmal allerdings schmuggelt sich etwas vom lehrhaften Auftritt des Magisters Rother in die Gestaltung der Dialoge – sie wirken zuweilen sehr gedrechselt.

Aber: Die Geschichte um die Suche des Romanhelden Wasmod von dem Knesebeck – natürlich ein Magister – ist eine fein gesponnene Angelegenheit. Es geht im Kern um düstere Prophezeiungen um einen Kaiser der Endzeit, um einen würdigen Nachfolger des längst verstorbenen Friedrich II., dunklen Machenschaften zwischen Papsthof, deutschem und italienischem Adel und jede Menge Mystik. Rother jagt seine Helden von Bodenteich (heute das niedersächsische Bad Bodenteich) nach Italien. Dort wartet die – fiktive – Grafschaft Altamura auf ihren Erben. Und um all diese Ereignisse herum spannt der Autor einen schönen Lesestoff.

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