Gralsfamilie Auf dem rechten Weg

Nein, Bruder Tuck war gar nicht Bruder Tuck. Gemütliches Aussehen, braune Kutte, ein Kruzifix und der unvermeidliche Wanderstab, den Robin Hoods Beichtvater gern als Prügel benutzte - all das hatte auch der Abt Gyrf aufzuweisen. "Aber ich werde oft mit Tuck verwechselt", bekannte der Berliner Uwe Röllig. Als Wanderprediger machte er auch das Heerlager von „Die Gralsfamilie“ in Philippsthal bei Potsdam unsicher. Am ersten Augustwochenende feierte die dort beheimatete Knappenschänke ihr zehnjähriges Bestehen mit Markt, Turnier, Musik und Gelage. „Die Gralsfamilie“ brachte auch gleich den Märkischen Ritterbund und die Templer-Komthurey Berlin mit. Und Abt Gyrf rollte mit seinem Berliner Nimbus-Clan, inklusive Schotten (Dank für den Whisky!) und der Bärenfamilie an.

Es muss einmal gesagt werden: Alle Kämpfer standen auf der in der Hitze brodelnden Stechbahn ihren Mann – beziehungsweise ihre Frau. Ja, auch einige Damen warfen sich mit Waffenkleid und Kettenhemd ins Turnier, eine Dame des Märkischen Ritterbundes trug an einem Tag gar den Sieg davon. Im Getümmel dabei auch die wehrhafte und – dürfen wir so sagen? – „großmäulige“ Katharina von Roggenfeld sowie Alexandra van Nordwijk auf ihrem prächtigen schwarzen Friesen (beide Märkischer Ritterbund). Vielleicht ist das nicht ganz historisch, aber keinen hatÂ’s gestört. Und warum bitte, sollen die Frauen immer nur auf der Tribüne mit Tüchern winken? Die Exerzitien auf der Stechbahn blieben immer noch die historisch korrekten.

Den Zuschauern ein besonderes Vergnügen bereitete der 62-jährige Chevalier de Lille – der Ritter der Lilie. Mit seiner hageren Figur und seinem etwas traurig blickenden Pferd nahm er sich wie eine Paradefigur des Don Quichote auf seiner Rosinante aus. Allerdings zeigte sich der Chevalier alles andere als melancholisch. Der Turniermarschall Hanno von Kettenburg (Die Gralsfamilie) konnte sich noch so sehr mühen – und er tat es weiß Gott redlich – den Chevalier und seine „Rosinante“ brachte nichts aus der Ruhe. Sogar mit der hölzernen Sau hatte der edle Recke Mitleid und brach in Jubel aus, als sein Spieß daneben traf. Statt dessen beglückte er die Kinder mit einigen Handvoll Bonbons.

Abseits der Kämpfe gab es auch reichlich Gelegenheit zu anregenden Gesprächen. Das ist etwas, das Ritter Michael der Löwe von der Gralsfamilie auch regelmäßig am Rande der Feldlager sucht. Seine Gruppe stellt in der Mittelalterszene schon etwas Besonderes dar. Die Ideale und Tugenden des Hochmittelalters haben die Mitglieder verinnerlicht. Der Ehrenkodex und die zehn Gebote sind das Leitbild der Ritter. „Letztlich sind das ganz normale Alltagsregeln“, sagte Hanno von Kettenburg, „die leben wir auch im Alltag“. Der Gral ist für Ritter Michael ein Sinnbild für das Ideal, für den rechten Weg im Leben. „Ich suche natürlich nicht nach irgendeinem Becher“, schmunzelte der Recke, „es geht vielmehr um Dinge wie Glaube, Liebe, Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit.“ Vor diesem Hintergrund hat die Gruppe auch erstmals einen eigenen sonntäglichen Gottesdienst organisiert. Abt Gyrf waltete hier seines Amtes. Ein Bild, das den Anwohnern, die neugierig vorbeikamen, so schnell nicht vergessen dürften. Und genau das war auch Ritter Michaels Absicht. Die Leute sollen sehen, dass er und seine Mitstreiter nicht nur martialisch auftreten.

Der Pfarrer von Philippsthal stellte seine Kirche zur Verfügung, obwohl sie gerade renoviert wird. Die Brüder der Templer-Komthurey stellten einfach die Sitzbänke wieder an ihrem alten Platz und sorgten auch sonst für Ordnung im Lager. Dieser Verein – wohlgemerkt: es ist kein Orden – hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Leben der Kriegermönche im 13. Jahrhundert nachzustellen. Lebendige Geschichte) ist das Motto der modernen Templer.

Zur Hitze der Nacht trug beim Gelage auch die Bauchtänzerin Tasnima aus Hannover bei. In drei Kostümen wirbelte sie geschmeidig über die Bühne – zünftig angefeuert von Rittern, Söldnern und Damen gleichermaßen. Das Publikum konnte kaum genug bekommen. Ein wenig in den Hintergrund gerieten dabei die Videobilder, die ein Philippsthaler ausstrahlte. Wer genauer hinschaute, erkannte auf den Bändern aus dem Jahr 1988 vertraute Gesichter des Turniertages wieder. Der Ort ist schon in alten DDR-Zeiten vom Rittertum geprägt gewesen. Missmutig von der Obrigkeit beobachtet, aber immer wieder trat die Rittertruppe mit den selbst gefertigten Waffen und Gewandungen in und um Ostberlin auf. Zu Pferd natürlich, und mit allem, was zum Turnier gehört: Rolandreiten, Ringstechen und Tjost. Womit bewiesen wäre, dass die Szene längst in der DDR bestand, und nicht bloß von drüben in den Osten schwappte.

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