Quedlinburg Als das Mittelalter noch Zukunft war

Zugegeben, das Jahr 9 nach Christus hat wenig mit dem Mittelalter zu tun. Doch das Jahr der für die Römer verlorenen Varusschlacht markiert eine Trendwende im politischen Leben zwischen Römer und Germanen. Im ersten nachchristlichen Jahrhundert wurde der Grundstein nicht nur für den Limes, sondern für die Beziehungen zwischen dem Imperium und den germanischen Volksgruppen gelegt. Und das wirkte sich natürlich auch auf die Anfänge des Mittelalters aus. Zu seinem Stadtfest am Wochenende 13./14. September 2003 schlägt das sachsen-anhaltinische Quedlinburg etliche Brücken zwischen Antike und Mittelalter. Die Freilichtausstellung „Römer und Germanen“ ist eine davon.

Für zwei Tage errichten germanische Dörfler und römische Soldaten ihre Lager im Stadtzentrum rund um den Neustädter Kirchhof. Dass die Atmosphäre eines Marschlagers bis aufs letzte i-Tüpfelchen stimmt – dafür sorgt der Kreisarchäologe des Landkreises Quedlinburg, Oliver Schlegel. „Wir haben hier einen deutlichen museumspädagogischen Anspruch“, erklärt der Archäologe. Gut 50 fachkundige Darsteller, Wissenschaftler und erprobte Handwerker wollen den Besuchern einen authentischen Eindruck des Lebens vor 2000 Jahren verschaffen.

Das Quedlinburger Stadtfest fällt mit dem Tag des offenen Denkmals zusammen. Klar, dass sich auch die mittelalterliche Altstadt – die zum Weltkulturerbe zählt – in besonderem Maße öffnet. Und so birgt das Wochenende für die Freunde der Antike und des Mittelalters gleichermaßen etwas. Zumal Quedlinburg zurzeit die „bundesweit größte Ausgrabungsstätte“ bietet, wie es Schlegel formuliert. Aufgrund von geplanten Straßenbauprojekten arbeiten die Wissenschaftler um den Archäologen seit Anfang 2003 mit Hochdruck an mehreren Stellen zugleich. „Die Palette reicht von der Jungsteinzeit bis zum Mittelalter“, sagt Schlegel. Auch in diese Projekte kann Einsicht genommen werden.

Wem es um handfeste Hintergrundinformationen geht, ist bei den Darstellern der Ausstellung „Römer und Germanen“ doppelt gut aufgehoben. Aus verschiedenen Städten kommen sie angereist. Darunter auch die hannoversche „Cohors prima germanorum“ – die erste germanische Kohorte. Dies war eine historisch verbürgte Hilfstruppe der Römer.

Die militärischen Aspekte dieser Auxiliareinheit wollen die Hannoveraner darstellen. „So echt, wie es nur geht“, betont Mitglied Werner Pollak. Doch die gut 30 Leute, die hinter diesem 1993 gegründeten Projekt stehen, haben noch weit mehr auf Lager. Die zweite Epoche, die sie mit hohem Anspruch bearbeiten, ist die Zeit um 1000.

„Auf die Wikinger konzentrieren wir uns in dieser Epoche“, sagt Pollak. In beiden Bereichen ist die Gruppe inzwischen so gut, dass sie fast ausschließlich für Ausstellungen mit einem museumspädagogischen Ansatz – wie eben in Quedlinburg – gebucht werden. Gleiches gilt für die anderen Gruppen an diesem Wochenende. Der Besucher darf sich also auf harte Fakten in historischen Gewandungen freuen. Und die mittelalterliche Atmosphäre Quedlinburgs sowie das ja noch „nebenbei“ bestehende Festprogramm mit Musik und Straßentheater tun ein übriges.

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