Sonderausstellung Die Erschaffung der Welt. Illustrierte Handschriften aus der Braginsky Collection

Detail aus Megilla (Esther-Rolle), um 1900, Indien. © Braginsky Collection, Zürich, Foto: Ardon Bar-Hama

Die Braginsky Collection ist die weltweit größte und wertvollste Privatsammlung hebräischer illustrierter Handschriften und früher Drucke.

Unter dem Titel „Die Erschaffung der Welt. Illustrierte Handschriften aus der Braginsky Collection“ eröffnete das Jüdische Museum Berlin am 03.04.2014 eine spektakuläre Sonderausstellung mit seltenen kulturhistorischen Schätzen jüdischer Tradition aus Europa, Asien, Afrika und dem Mittleren Osten.

Ketubba (Hochzeitsvertrag), 1900, Cochin (Indien). © Braginsky Collection, Zürich, Foto: Ardon Bar-Hama

Mehr als 120 Objekte geben Einblick in den Reichtum und die Vielfalt jüdischer Buchgeschichte und demonstrieren die zentrale Stellung von Text und Schrift im Judentum. Nach Stationen in Amsterdam, New York, Jerusalem und Zürich kommt die Sammlung erstmals nach Deutschland. Neben neuen Erwerbungen und bedeutenden Leihgaben aus Berlin, Hannover und Amsterdam vereint die Berliner Ausstellung die schönsten Bücher, Hochzeitsverträge und Esther-Rollen auf 600 Quadratmetern Ausstellungsfläche.

Megilla (Estherrolle), Detail, 19. Jh., Frankreich. © Braginsky Collection, Zürich, Foto: Ardon Bar-Hama

Die Ausstellung lebt von Kontrasten: Die kräftigen Farben der Ausstellungsarchitektur bringen die illustrierten Handschriften zum Leuchten. Die jahrhundertealten Manuskripte lassen sich auch an Bildschirmen durchblättern. iPads, eine Hörstation und ein Film über die Herstellung von Handschriften bringen die vergangene Schriftwelt faszinierend näher. Überdies wird ein Toraschreiber vor den Augen der Besucher das 1. Buch der Tora auf traditionelle Weise anfertigen.

Leihgeber René Braginsky in der Ausstellung anlässlich der Eröffnung in Berlin. © Jüdisches Museum Berlin, Foto: Martin Adam

Leihgeber René Braginsky
Seit drei Jahrzehnten komplettiert der Leihgeber und Zürcher Unternehmer René Braginsky seine Sammlung von außerordentlichem ästhetischen und kulturhistorischen Wert: „In unserer schnelllebigen, oftmals hektischen Zeit, erfüllt mich die Betrachtung dieser Handschriften mit Ruhe und Gelassenheit und vermittelt mir die Zuversicht, dass das wirklich Wesentliche fortbestehen wird“, sagt Braginsky über sein persönliches Engagement als Sammler. Das Jüdische Museum Berlin zeigt zum letzten Mal die Schätze aus der Braginsky Collection, bevor sie wieder in die Privatbibliothek des Sammlers zurückkehren.

Highlights der Braginsky Collection
In drei Themenkomplexen werden reich illustrierte Bücher, Hochzeitsverträge (Ketubbot) und Esther-Rollen (Megillot) kunstvoll präsentiert. Jeder Objektgattung ist ein Farbton zugeordnet, der die Besucher visuell durch die Ausstellung führt. Schräg in den Raum gestellte Flächen ziehen sich wie kalligrafische Linien durch die Ausstellungsräume.

Blauer Raum: Bücher
Den Schwerpunkt der Sammlung bilden Handschriften. Eine Auswahl von mehr als 70 Büchern wird in der Ausstellung gezeigt. Zu den kostbarsten Handschriften zählt eine Abschrift des von Moses Maimonides verfassten bedeutenden Gesetzeskodex »Mischne Tora«, der als wichtigste systematische Zusammenfassung des Religionsgesetzes gilt. Die Abschrift entstand im Jahr 1355 in Deutschland. Die älteste Handschrift in der Sammlung, »Das große Buch der Gebote«, wurde 1288 im Wallis geschrieben.

Blick in die Ausstellung Im Vordergrund: eine Abschrift der „Mischne Tora“ von Moses Maimonides, die 1355 in Deutschland entstanden ist. © Jüdisches Museum Berlin, Foto: Martin Adam

Roter Raum: Ketubbot
Die Ketubba (Pl. Ketubbot), der jüdische Hochzeitsvertrag, hält den rechtlichen Status sowie das Eigentum der Frau schriftlich fest und regelt die Verpflichtungen des Bräutigams. Bei der Hochzeitszeremonie spielt die Ketubba eine wichtige Rolle, sie wird vorgelesen und den Anwesenden gezeigt. Familien investieren oft viel Geld und Mühe in die Herstellung der Ketubbot. In der Hochblüte des 17. und 18. Jahrhunderts wetteiferten die Familien um die kunstvollste Ausgestaltung. Die Obergrenze für die prachtvolle Gestaltung wurde von den Gemeindevorständen sogar festgelegt. An einer Hörstation können Besucher den traditionell gleichlautenden Vertragstext auf Aramäisch anhören und die 30 prachtvollen Ketubbot betrachten und miteinander vergleichen.

Blick in die Ausstellung: Roter Raum mit 30 reich illustrierten Ketubbot. © Jüdisches Museum Berlin, Foto: Martin Adam

Gelber Raum: Megillot
Verzierte und illustrierte Esther-Rollen (Pl. Megillot) sind seit dem 16. Jahrhundert in der jüdisch-religiösen Kunst weit verbreitet und noch heute für die Feier des Purimfestes unverzichtbar. Das Fest erinnert an die wundersame Rettung der Juden vor der Vernichtung durch ihren Erzfeind Haman im persischen Großreich vor 2500 Jahren. Unter den 32 ausgestellten Megillot befindet sich auch die älteste bekannte illustrierte Megilla: Sie wurde im Jahr 1564 in Venedig vollendet. Einzigartig ist auch die längste Megilla der Sammlung: Auf bildreichen sieben Metern ist sie ein Beispiel der Verschmelzung von jüdischen kalligrafischen Traditionen und indischen Gestaltungsformen.

Blick in die Ausstellung: Gelber Raum mit 32 Megillot. © Jüdisches Museum Berlin, Foto: Martin Adam

Die Erschaffung der Welt: Bedeutung der Schrift im Judentum
Mit dem Verlust des geographischen religiösen Zentrums übernahm der Wort-Gottesdienst den Platz des Opfer-Gottesdienstes, ortsungebundene Synagogen übernahmen die Rolle des zerstörten Tempels in Jerusalem. Überlieferte Texte wurden damit zum wichtigsten und zentralen Moment des Ritus. Bis heute bilden das Studium und die Deutung der biblischen Schriften den Mittelpunkt des geistigen jüdischen Lebens.

Tora-Schreiber in der Ausstellung
Das Schreiben einer Tora ist ein heiliger Akt, der von besonders ausgebildeten Schreibern ausgeführt wird. Die Tradition verpflichtet den Tora-Schreiber zur Perfektion. Mit jeder Tora-Rolle lässt er die Welt aus der Schrift neu entstehen. „Mit seiner Arbeit kreiert der Tora-Schreiber die Welt noch einmal; sie darf nicht weniger perfekt sein als Gottes Schöpfung selbst“, erklärt Cilly Kugelmann, Programmdirektorin des Jüdischen Museums Berlin. Beim Abschreiben soll eine exakte Kopie der Vorlage entstehen, das Muster des Urtextes immer vor Augen. Während der gesamten Laufzeit wird sonntags bis donnerstags der Tora-Schreiber und Rabbiner Reuven Yaacobov in der Ausstellung am Pentateuch arbeiten.

Rabbiner Reuven Yaacobov beim traditionellen Schreiben einer Tora in der Ausstellung. © Jüdisches Museum Berlin, Foto: Martin Adam

An den anderen Tagen läuft ein Video seiner Arbeit. Er beginnt mit dem Buch „Bereschit“, das erste Buch des Pentateuch, das mit dem Satz beginnt: „Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde“. Er wird auch Pergamente für die Mesusa und für Tefillin beschreiben und eine Ketubba herstellen.

Kalligrafen in der Ausstellung
In asiatischen Kulturen ist die Kalligrafie, die Kunst des Schönschreibens, die höchste Form der Kunst. In Ergänzung zu jüdischen illustrierten Handschriften demonstrieren auch Kalligrafen ihre arabische, lateinische und chinesische Handwerkskunst in den Ausstellungsräumen.

Im Begleitprogramm lädt das Museum erstmals sonntäglich zum Kunstfrühstück ein. Am 16. Mai findet ein Symposion zum Bilderverbot im Judentum und Islam im Rahmen des Jüdisch-Islamischen Forums statt.

Laufzeit der Ausstellung: 4. April bis 3. August 2014
Ort: Altbau, 1. OG
Eintritt: mit dem Museumsticket (8 Euro, erm. 3 Euro)