Kaiserpfalz Werla Eine Art „Klein Hastings“

Den Kampf um die Publikumsgunst hat Claus Meiritz schon gewonnen. Der Chef der Werkstätten für lebendige Geschichte organisierte im Auftrag des Tourismusverbandes Wolfenbütteler Land erstmals ein historisches Event auf der verlassenen Kaiserpfalz Werla, rund 15 Kilometer südlich der niedersächsischen Stadt. "Wir wollten Top-Darsteller mit Top-Qualität und das in einer großen zeitlichen Breite", markierte Meiritz seinen Anspruch. Hunderte Darsteller von Früh- bis Spätmittelalter bot er auf - und die Besucher kamen an diesem Wochenende zu Tausenden auf die grandiose Freifläche an der Oker.

Action nach strengen Regeln

“Blasn, aufg‘merkt!” Weithin dröhnte der Bass von Harald Maußner, seines Zeichens Vorsitzender und Hauptmann des Nürnberger Aufgebots 1474. Nicht nur die Zuschauer konnten sich zuweilen das Lachen kaum verkneifen, als Maußner seine 16 Mann starke Bürgerwehr mit kräftigem Dialekt und würzigen Sprüchen durchs Lager traktierte. Doch schnell waren die Mitglieder des Aufgebots wieder ernsthaft bei der Sache. Schließlich ging es um harten Drill an den Stangenwaffen. In voller Montur, was bei manchem Haudegen schwere Plattenpanzerung und Helm inklusive Gesichtsmaske bedeutete. Kein Zuckerschlecken in der feuchten Schwüle des Pfalzgeländes.

Die fränkische Truppe sei eine der besten Darstellungen des deutschen Spätmittelalters, sagte Meiritz. Neben der exzellenten Ausrüstung gab auch das gute Training der Nürnberger den Ausschlag für deren Teilnahme am Geschichts-Experiment “Kaiserpfalz Werla”. Das Aufgebot bezog sein eigenes Lager am Ende des symbolischen Zeitstrahls quer durchs Mittelalter.

Drei so genannte Zeitinseln bauten die Organisatoren am sanft geschwungenen Hang des Pfalzhügels auf. Der Beginn des Besucherpfades war naturgemäß der Zeit um 1000 gewidmet – dem Schwerpunktthema des Events. Hier tummelten sich Slawen, ottonische Krieger, Normannen, ungarische Bogenschützen und zahlreiche Handwerker. Sie alle handverlesen durch Claus Meiritz. “Quantität ist schließlich nicht alles”, sagte er, “mir ging es vor allem um Qualität.” Das heißt, um möglichst wissenschaftlich fundiertes Arbeiten der Akteure. Dass er bei der Auswahl der Darsteller so manchen Bewerber ausschließen musste und damit zuweilen auch auf Unverständnis stieß, das sieht Meiritz inzwischen gelassen.

Neutrale Bewertungsnormen, die aussagen, was nah dran an der Authentizität ist und was nicht, gibt es hier zu Lande nicht. Und auch keine Institutionen wie etwa in England, die strenge Auswahlkriterien geschaffen haben. Also musste sich Meiritz und sein Team auf die eigene, jahrelange Erfahrung im Bereich Living History und “lebendige Archäologie” verlassen. Wie das funktionieren kann, erfuhr Meiritz als Teilnehmer der Reenactmentveranstaltung “Battle of Hastings 1066” im Herbst 2000 in Südengland. “So etwas sollte es auch in Deutschland geben”, habe er sich damals gesagt, erklärte Meiritz.

Auch in Deutschland gebe es eine Reihe hervorragender Gruppen, sagte der Organisator. Jedoch nicht genug, um etwa die gewünschte Anzahl von rund 300 Akteuren nur für die Epoche um 1000 zu bekommen. Englische Reenactments wie das von Hastings genießen europaweit einen guten Ruf – für die Briten ist es kein Problem, mehrere Tausend Darsteller anzuziehen. So hoch war das zahlenmäßige Aufgebot in Werla zwar nicht, dennoch musste Meiritz aus der Not eine Tugend machen. Kurzerhand konzipierte er die Veranstaltung zu einer Art Zeitreise. Drei Epochen des Mittelalters sollten dem Publikum gezeigt werden.

Der Zeitinsel “Europa um 1000” schloss sich damit der ebenfalls abgetrennte Bereich “Welfen und Staufer” an, der sich ganz der feudalen Ära des Hochmittelalters widmete. Auch hier reisten Gruppen aus ganz Deutschland an. Und schließlich das bereits erwähnte Lager des Spätmittelalters mit den Nürnbergern sowie einer Darstellung der Hansezeit.

Hastings-Reenactor präsentieren sich

Im Gegensatz zu zwar kleineren, aber vom Anspruch an die Authentizität ähnlich gelagerten Veranstaltungen, ging es auf der Pfalz weniger museal zu. Eine Vielzahl kleinerer Vorstellungen wie kommentierte Modenschauen, eine hochmittelalterliche Schwertleite und Reitervorführungen lockerten das strenge Lagerleben auf. Doch buchstäblich krachen ließen es die Akteure auf den größeren Plätzen zwischen den Zeitinseln. Auf ihrer Schießbahn präsentierten die Nürnberger eine urtümliche Kanone, die Reitarena gehörte ottonischen und ungarischen Reiterkriegern in großer Formation.

Einen Vorgeschmack auf ihren Einsatz in Hastings 2006 bekam das franko-flämische Kontingent. Seit gut zwei Jahren bereitet sich die Truppe auf das europäische Highlight der Reenactment-Szene im nächsten Jahr vor. Ihr Ziel: die realistisch anmutende Darstellung normannischer und franko-flämischer Krieger wie sie tatsächlich an der legendären Schlacht im Jahre 1066 teilgenommen haben. An dieser Gruppierung nehmen Kämpfer aus ganz Europa teil. Organisiert wird das Projekt von den Freien Wikingern zu Köln. Mindestens 145 Mitglieder will das Kontingent im Oktober 2005 mit nach England nehmen.

Das Kontingent nutzte Werla als wohlfeilen Übungsplatz. Hier übernahmen sie den Part der kaiserlicher milites (abhängige Soldaten), die in einer nachgestellten “Schlacht” den historisch überlieferten Sachsenaufstand gegen die Macht der Salier niederzuschlagen hatten. Gut 40 Mann standen sich schließlich in der “Arena” gegenüber. Was nun passierte, kommentierte Meiritz als eine Zwei-Varianten-Schlacht. “Wir zeigen mal den Unterschied zwischen Hollywood-Schlachten und überlieferte Waffengänge”, schrie Meiritz dem dicht gedrängten Publikum über sein Mikrofon zu.

Mehrmals ließ er die Kämpfer aufeinander treffen. So lief es a la Hollywood: Wildes Geschrei und ungeordnetes, aber sehr effektvolles, Zurennen auf den Gegner. Sofort droschen de Krieger in völlig aufgelösten Einzelkämpfen aufeinander ein. Und so soll es tatsächlich abgelaufen sein: Die feindlichen Linien – auch schreiend und waffenklirrend – schritten in gemäßigtem Tempo und festen Linien gegeneinander. Im Treffen selbst versuchten jede Seite konzentriert die Lücken der anderen zu finden.

Lob und Kritik

Schon am ersten Abend gab es Lob für die Organisation. “Mensch, da ist nichts Langweiliges dabei”, sagte ein Besucher. Sichtlich zufrieden war auch Meiritz selbst. Und er findet seinen Anspruch bestätigt: Mit der Größe und der Qualität sei das Event für Deutschland “einzigartig”, sagte er.

Um die in sich geschlossene Darstellung der Akteure nicht zu verfälschen, gab es im Vorfeld ein Gewandungsverbot für die Besucher. Dennoch habe es immer wieder Passanten mit fragwürdigen Kostümierungen gegeben, kritisierte Sylvia Crumbach, die als Slawin in der Zeitinsel “Europa um 1000” mitwirkte. “So etwas ist nicht gut, das verwirrt nur die anderen Besucher”, meinte sie. Sie organisiert in diesem Herbst selbst die Wikingertage des Freilichtmuseums Oerlinghausen. Dort werde strikt auf die Gewandungsvorschriften geachtet.

Dem Publikumserfolg schadet dies indes kaum. Vor allem Besucher aus Niedersachsen kamen angereist – und so war es von den Veranstaltern auch geplant. Denn die Aktion war als Werbung für einen geplanten Archäologischen Park gedacht. Und so warben die Veranstalter, unter anderem auch die Gemeinden Schladen und Werlaburgdorf sowie die Städte Braunschweig und Wolfenbüttel vor allem in der lokalen Presse. Denn noch ist das Bodendenkmal Werla bedroht, die vorhandenen Bausubstanzen der alten Pfalz aus dem 10. Jh. verbergen sich unter einer nur zentimeterdicken Erdschicht. Gerade unter den Saliern habe die Pfalz eine große Rolle gespielt – auch im Umfeld der langen Kriege gegen die Ungarn. Trotz leerer Kassen von Land und Gemeinden herrsche in den politischen Gremien der Optimismus vor, einst einen neuen Museumspark als Publikumsmagneten etablieren zu können. Um dafür den Boden zu bereiten, diente auch das Projekt “Kaiserpfalz Werla – Leben vor 1000 Jahren.” Gut möglich, dass die Sache im nächsten Jahr wiederholt wird. “Der Wille ist da”, sagte Meiritz.

Fazit und Kommentar

Das Experiment ist gelungen! Selten hat sich ein so groß angelegtes Spektakel so übersichtlich dargestellt. Mit dem Gelände der ehemaligen Kaiserpfalz haben die Veranstalter ein goldenes Händchen bewiesen. Und die Idee, die verschiedenen Epochen sauber getrennt in einzelnen Zeitinseln zu zeigen, ist gut umgesetzt worden. So konnte sich der Besucher ganz auf “seine” Zeit einlassen, ohne Gefahr zu laufen, von dicht an dicht gedrängten Gruppen unterschiedlicher Couleur verwirrt zu werden.

Eine Wiederholung des Events ist unbedingt wünschenswert – warum nicht ein “deutsches Hastings” im Okertal? Doch einen solchen Ruf muss sich ein Ort erst durch dauerhafte Bespielung und striktes Qualitätsmanagement erwerben. Ohne Beteiligung der Region und Kommunen wird das kaum gehen. Die Gefahr ist groß, dass die Fortführung des Events an die Entstehung eines Archäologischen Parks geknüpft ist. Und das erscheint mehr als unsicher. Doch kurzsichtig wäre es seitens der Politik anderenfalls das Geld zu streichen. Denn mit dem Projekt “Kaiserpfalz Werla” kann europaweit Aufmerksamkeit erzeugt werden – mit allen guten Segnungen für die Touristik.

Warum ist die Mitwirkung der Politik so wichtig? Die Pfalz liegt mitten in einem Landschaftsschutzgebiet. Und diesmal stellten die Gemeinden etliche kostenlose Parkplätze in der Umgebung sowie einen wunderbaren und ebenfalls kostenlosen Busshuttle zur Verfügung. Dieser Service machte den Erfolg erst möglich. Doch für künftige Veranstaltungen wäre mehr überregionale Werbung angebracht. Eine bloße Konzentration aufs lokale Publikum ist kurzsichtig.

Ein Wort zu gewandeten Besuchern: Der Veranstalter gibt die Bedingungen vor. Allerdings muss er auch dafür sorgen, dass jeder weiß, was ihn erwartet. Dann ist ein Gewandungsverbot eben das: ein Gewandungsverbot. Im Sinne der geschlossenen Darstellung und damit auch der anderen Besucher sollte sich jeder daran halten. Das ist auf kommerziellen Märkten anders – das ist auch gut so.

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1 Kommentare

  1. Hallo,
    eine sehr schönes Fazit für eine gelungene Veranstaltung.
    Ich möchte nur kurz Nachtragen, daß ich nicht alleine die Oerlinghausen Orga bestreite, sondern nur daran mitarbeiten darf. Das Team besteht aus: Chris Wenzel, Antje Klokkenberg und mir.
    MfG
    Sylvia Crumbach

    23. Mai 2005, 12:05 Uhr • Melden?
    von Sylvia Crumbach
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