Stundenbuch Die Belles Heures des Duc de Berry

Stundenbücher von überbordender Pracht nannte der Herzog (Duc) Jean de Berry (1340-1416) sein eigen. Über ihn schrieb Umberto Eco: "Dieser hochverfeinerte Mann hatte lüsterne, vergnügungssüchtige Augen, er hatte die Zerstreuung zu einer Kunst entwickelt. Es wird nicht respektlos sein, wenn wir uns vorstellen, dass der Duc de Berry im Zwielicht der Kirche die Bilder seines Buches so gierig verfolgte, wie wir heutzutage die Bilder im Fernsehen..." Eine gewagte These, doch ein Blick in die Bildgewalt des vorliegenden Stundenbuches mag sie kräftig untermauern. Zumindest ist das Buch eine Zeitreise in die Motivwelt des Spätmittelalters.

Loblied auf die Buchmacher

Handschriftenkunde sei ein Spaß, behauptet der Kunsthistoriker Eberhard König. Mit der Betrachtung des dritten Stundenbuches des als Mäzen berühmt gewordenen Duc de Berry tritt der Autor auch den Beweis an.
Nun ist das “Les Belles Heures” nicht das bekannteste Stundenbuch des Herzogs – dessen “Trés Riches Heures” hat den Status eines weltberühmten Exemplars der französischen Buchkunst erlangt. “Les Belles Heures” aber gelten als das Glanzstück der erstaunlichen Handschriftensammlung des Duc de Berry. Die fünfzehn schönsten Stundenbücher seiner Zeit gehörten immerhin dem feinsinnigen Buchliebhaber. Ihnen vor allem verdankt der Fürst, dass sein Name noch heute einen gewissen Ruf hat. Denn als Politiker von großer Durchsetzungskraft ist der dritte Sohn eines französischen Königs nie in Erscheinung getreten. Vielmehr mied er gar blutige Auseinandersetzungen – und das mitten im Hundertjährigen Krieg.
De Berrys politisches Desinteresse mag ein gewisses Licht auf seine übergroße Kunstliebhaberei werfen und auch begründen, warum er seine Macht anders als so viele kriegerische Fürsten zur Schau stellte. Für seine kostbaren Bücher warb der Herzog immerhin die namhaftesten Künstler an.
Und so ist es nicht verwunderlich, dass der Autor König ein Loblied auf die spätmittelalterlichen Buchmacher singt. Ihre Werke, und das stellt er auch deutlich in eigenen Kapiteln dar, sind das Ergebnis des Zusammenspiels verschiedener Handwerkskünste. Doch das Aushängeschild der Stundenbücher sind die Buchmaler – im Falle der “Belles Heures” die flämischen Brüder Limburg. Deren Kunst und Arbeitsweise nimmt König ausgiebig unter die Lupe.

Zeitgeschichte und Buchkunst unter der Lupe

Der vorliegende Band aus dem Theiss Verlag besteht grundsätzlich aus zwei Teilen: Im ersten spürt König der Entstehungsgeschichte des Stundenbuches nach und vergleicht es mit dem berühmteren “Trés Riches Heures” (ebenfalls von den Limburgs gestaltet). Kurze, aber frisch geschriebene Kapitel zeigen zudem etwas von der historischen Gestalt des Duc de Berry und seiner Zeit sowie den Limburgs. Diesen Teil schließt eine Betrachtung über das Wesen und die Funktion von Stundenbüchern ab. König nimmt den Leser mit auf einen kurzweiligen Trip in die Welt der Laienbreviere und de Berrys besondere Vorliebe für sie.
Der zweite Teil ist ein ausgiebiger Spaziergang durch das eigentliche Stundenbuch. Stück für Stück zeigt König die einzelnen Bildabfolgen und kommentiert diese. Wonach auch klar wird, warum dieses Werk ein wahrer Augenschmaus für den fürstlichen Leser war.
Und was genau steht nun in diesem Buche? Schöner und knapper als ein Zeitzeuge kann das kaum jemand beschreiben. Robinet d‘Estampes, der Schatzmeister des Herzogs, führte das Werk in einer 1413 abgeschlossenen Inventarliste auf: “Ein schönes Stundenbuch…; zu Beginn steht der Kalender, sehr reich beschrieben und bebildert; und danach ist dargestellt das Leben der heiligen Katharina; und anschließend sind geschrieben die vier Evangelien und zwei Gebete Unserer Lieben Frau; und danach beginnen die Stunden Unserer Lieben Frau, und es folgen mehrere andere Stunden und Gebete; und am Anfang der zweiten Seite besagter Stunden Unserer Lieben Frau steht geschrieben: audieritis; gebunden in leuchtend rotes Samt, mit zwei goldenen Schließen, in denen die Wappen des Herrn in Hochrelief eingelegt sind; und um besagte Horen gibt es einen Beutel aus leuchtend rotem Samt, gefüttert mit rotem Satin; welches Stundenbuch der Herr hat machen lassen von seinen Arbeitskräften.”

Augenschmaus in Reinkultur

Das Blättern in Königs Buch dauert seine Zeit. Und natürlich ist die Gestaltung dem Gegenstand der Betrachtung angepasst. So nimmt zwar auch der Inhalt die Aufmerksamkeit des Lesers in Beschlag – aber auf den ersten Blick sind es die üppigen Illustrationen.
Der Verlag geizte nicht mit Zitaten aus den beiden Stundenbüchern, den “Belles Heures” und den “Tres Riches Heures”. Neben Ausschnitten, die wunderbar die Details der Originale zeigen, sind es vor allem ganzseitige Reproduktionen, die einen großes Raum in dem Band einnehmen. Die Farbenpracht kommt auch im Offsetdruck gut herüber.
Und so ist schon die Buchgestaltung ein Augenschmaus. Und nur wer sich wirklich Zeit nimmt, wird auch die Fülle der zeitgenössischen Abbildungen würdigen können – und in ihnen vieles entdecken, was den Alltag zumindest der Oberschicht prägte. Faszinierend nicht nur für Bibliophile.

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